Fast drei Monate nach den von Präsident Macron verordneten vorgezogenen Neuwahlen zur Nationalversammlung hat Frankreich endlich eine neue Regierung. Deren Zusammensetzung ist gründlich konträr zum Wahlergebnis und ihre Haltbarkeit äusserst beschränkt.
Der Élyséepalast hat gestern Abend weissen Rauch und heisse Luft zugleich rausgelassen, als sein stocksteifer Generalsekretär unter dem Goldstuck des Präsidentenpalastes endlich die Zusammensetzung der neuen Regierung verlas.
Es war eine Litanei von Namen und Zuständigkeiten, der, wie seit Jahrzehnten üblich, eine Formel vorausgeschickt wurde, die viel über die Verfassung der Fünften Republik aussagt: «Sur proposition du Premier Ministre, le Président de la République a nommé …»
Nun also, da Präsident Macron bereits mehr als zwei Monate gebraucht hatte, um nach den Parlamentswahlen vom 7. Juli in der Person des konservativen Michel Barnier einen Premierminister zu finden, hat es nochmals ganze zwei Wochen gedauert, bevor der Präsident die vom Premierminister vorgeschlagene Regierung endlich abgesegnet hat.
Stramm rechts
Das Ergebnis: eine schier endlose Liste von 39 Ministern, beigeordneten Ministern und Staatssekretären, zu gleichen Teilen besetzt von Vertretern des Macron-Lagers und der altkonservativen, stark geschrumpften Partei Les Républicains.
Mehr noch: ein notorischer Rechtsausleger dieser Partei, der bisherige Fraktionschef von Les Républicains im Senat, Bruno Retailleau, sitzt nun an der wichtigen Schaltstelle des Innenministeriums. Einer, der nicht davor zurückschreckt, dem rechtsextremen Gerede vom grossen Bevölkerungsaustausch etwas abzugewinnen und farbige Franzosen immer wieder als Personen zu bezeichnen, die nur ihren Papieren nach Franzosen seinen – ein Vokabular zu hundert Prozent kompatibel mit dem des Rassemblement National.
Ausserdem haben sich sage und schreibe fünf seiner Kabinettskolleginnen und -kollegen dadurch ausgezeichnet, dass sie einst vehement gegen die Ehe für Gleichgeschlechtliche agiert und durch homophobe Äusserungen auf sich aufmerksam gemacht haben. Erst jüngst noch sind sie gegen Abtreibung zu Felde gezogen. Auch hatten sie gegen die Aufnahme des Rechts auf Abtreibung in die Verfassung gestimmt.
Als einsames linkes Feigenblatt fungiert übrigens auf dem Posten des Justizministers ein ehemaliger sozialistischer Abgeordneter, der sich allerdings schon vor über zehn Jahren aus der Politik zurückgezogen hatte.
Insgesamt hat diese Regierung etwas Ranziges und Verstaubtes an sich, ganz so, als sei man in die Zeiten eines Jacques Chirac zurückgefallen, unter dem seine Partei, die RPR, Vorfahre der heutigen Schrumpfpartei Les Republicains (LR), und die Zentrumspartei UDI im Parlament das Sagen hatten – mit dem kleinen Unterschied, dass diese Parteien damals eine Mehrheit hatten. Präsident Macron, seinem Premierminister und ihrer Regierung aber fehlen im Parlament heute mindestens 70 Sitze für eine Mehrheit.
Diese neue Regierung trägt den Beigeschmack mit sich, wonach es einfach selbstverständlich sei, dass in diesem Land eben die Rechte – und sei sie noch so schwach – die Macht in Händen zu halten hat, weil andernfalls das Chaos droht. Und dass die Linke, wie auch immer, einfach nicht legitim sei, die Macht auszuüben.
Ein Hohn für das Wahlergebnis
«Es ist eine Schande für die Demokratie, was in unserem Land gerade geschieht.» So kommentierte ein sozialistischer Europaabgeordneter in der vergangenen Nacht die Ernennung dieser Regierung und man kann nicht gut behaupten, dass er damit übertrieben hat.
Denn man führe sich nochmals vor Augen: Da löst ein Präsident ohne höhere Not das Parlament auf und provoziert Neuwahlen. Diese Neuwahlen bringen drei wichtige Ergebnisse:
- Das linke Wahlbündnis aus vier Parteien gelangt mit 193 von 589 Sitzen auf Platz eins.
- Das Lager von Präsident Macron hat mit nur 170 Sitzen 70 weniger als vor der Wahl und ist damit der eindeutige Verlierer dieses Urnengangs.
- Und das dritte und im Grunde wichtigste Ergebnis: Im entscheidenden zweiten Wahlgang hatte die sogenannte Republikanische Front noch einmal dafür gesorgt, dass die extreme Rechte von Marine Le Pen die befürchtete Mehrheit im Parlament deutlich verpasste und mit 143 Sitzen nur auf dem dritten Platz landete.
Und, nicht zu vergessen, auf Rang vier, mit gerade noch 47 von 589 Abgeordneten, rangiert die ehemalige konservative Regierungspartei Les Républicains.
Zweieinhalb Monate nach diesem Wahlergebnis erwacht Frankreich jetzt mit einem Regierungschef, der aus den Reihen der Partei kommt, welche bei den Wahlen an vierter und letzter Stelle gelandet war.
Auf Duldung durch Le Pen angewiesen
Seit gestern Abend hat Frankreich eine Regierung, die so rechtslastig ist wie keine andere seit den Zeiten von Präsident Sarkozy und dessen Premierminister Fillon. Eine Regierung, deren Überleben zu guter Letzt vom Wohlwollen des rechtsextremen Rassemblement National abhängig ist, der Partei, der die Franzosen bei der Wahl ganz eindeutig eine Mehrheit verweigert hatten.
Schon die Ernennung von Michel Barnier zum Premierminister vor zwei Wochen ist letztendlich erfolgt, weil Marine Le Pen signalisiert hatte, man werde ihn und seine künftige Regierung dulden und ihnen nicht von vorneherein das Misstrauen aussprechen.
Nun, da die Regierung steht, ist es, als hätten Präsident Macron und Regierungschef Barnier mit der Ernennung mehrerer erzkonservativer Minister der extremen Rechten ein paar Zuckerstückchen hingeworfen, damit sie zumindest in nächster Zeit erst einmal Ruhe gibt.
Allerdings: Marine Le Pen liess bereits gestern Abend reichlich zynisch verlauten, es handle sich bei dieser ersten Regierung Barnier um nicht mehr und nicht weniger als eine Übergangsregierung.
Tun, als wäre nichts geschehen
Da wurden ein Präsident und seine Partei bei Wahlen abgestraft, doch elf Wochen später ist es, als wäre nichts geschehen. Macron scheint seine bisherige Politik einfach fortsetzen zu wollen, nur dass sie jetzt definitiv noch ein Stück weiter rechts angesiedelt ist und er sich von seinen ursprünglichen Versprechungen der Jahre 2016/17 mittlerweile Lichtjahre weit entfernt hat.
«Nach rechts und ab in die Sackgasse», so lautete einer der Kommentare der vergangenen Nacht. Dies könnte sich schon bald als Tatsache erweisen.
Denn theoretisch könnte das Haltbarkeitsdatum dieser Regierung bereits in wenigen Wochen abgelaufen sein, nämlich dann, wenn es zur Abstimmung über den mit Verspätung eingebrachten Haushaltsentwurf für 2025 kommt. Ein Entwurf, der angesichts der immer weiter steigenden Verschuldung Frankreichs (Schuldenlast: 112 Prozent des Bruttoinlandsprodukts; Neuverschuldung: 5,6 Prozent) eine Reihe von schmerzhaften Einschnitten aufweisen und für Tumult sorgen dürfte.
Keine Lösung für das Land
Die letzten drei Monate der französischen Politik sind ein einzigartiges Desaster. Macrons einsame Entscheidung, das Parlament aufzulösen und das für ihn niederschmetternde Ergebnis der Neuwahlen führten zu einer Situation, in der es den Anschein hatte, als müsste der vom Jupiter zum bockigen Jüngling gewandelte Staatspräsident erst ein paar Wochen lang bestaunen und verdauen, was er da höchstselbst angerichtet hatte.
Im Grunde aber mussten sich der Präsident, die Parteien und letztlich das ganze Land klar werden, dass am 7. Juli 2024 plötzlich ein Wahlergebnis vorlag, mit dem das System der Fünften Republik nichts anfangen kann, für das es keine wirklich tragfähige Lösung hat.
Und die extrem mühsame Lösung, die Präsident Macron nun gefunden hat, ist im Grunde auch kein Rezept. Mit Sicherheit ist sie nicht von Dauer und nicht dazu angetan, die im Land herrschenden Spannungen zu entschärfen.