So beginnt die „Hymne an die verurteilten Jünglinge“ des englischen Poeten Wilfred Owen. Er schrieb sie und weitere zehn Gedichte als 25jähriger Soldat mitten im Geschützhagel des letzten Kriegsjahres des Ersten Weltkriegs - ein Jahr, das er selbst nicht überleben sollte. Er fiel nur wenige Tage vor dem Waffenstillstand im November 1918. Seine aus dem Schützengraben geretteten, schlammverschmierten Manuskripte wurden später von der englischen Autorin Edith Sitwell entziffert. Sie dienten dem Pazifisten und Komponisten Benjamin Britten (1913-1976) als Anklagetexte für sein „War Requiem“, das er als Auftragswerk zur Erinnerung an Kriegsgräuel im Zweiten Weltkrieg schreiben sollte. Es wurde anlässlich der Eröffnung der neuen Kathedrale von Coventry in Anwesenheit von Queen Elisabeth II. am 30. Mai 1962 uraufgeführt und gilt seitdem als eines der Hauptwerke des Komponisten.
Der organisierte Massenmord
Am 14. November 1940 wurde während der Luftschlacht um England die gesamte englische Stadt Coventry samt ihrer berühmten mittelalterlichen St. Michaels-Kathedrale von der Deutschen Luftwaffe dem Erdboden gleichgemacht. Gegen 1'000 zivile Opfer, darunter Frauen und Kinder in der Überzahl, starben in 500 Tonnen Bombenhagel. Diese Form von erbarmungslosem Bombardement auf zivile Ziele erhielt im Nazi-Jargon sogar einen zynischen Namen: „Coventrieren“.
Später, kurz vor Kriegsende, sollte eine deutsche Stadt dafür bezahlen: das Totalbombardement von Dresden am 13. Februar 1945 wurde von „Bomber-Harry“, dem englischen Chefkommandanten Arthur Harris, gezielt als Racheakt anbefohlen. Gewalt gebiert Gewalt, das ist und bleibt eine bittere Binsenwahrheit.
Durchdringung zweier grosser Texte
„Mein Thema ist der Krieg und das Leid des Krieges. Die Poesie liegt im Mitleid... Alles was ein Dichter heute tun kann, ist warnen.“ (Wilfred Owen)
Diese Zeilen stellte Benjamin Britten seiner Partitur des „War Requiems“ voran. Der Komponist wandte sich zeit seines Lebens gegen Gewalt, besonders gegen kriegerische, anbefohlene Gewalt – mehrere Werke künden davon. So ist denn auch im War Requiem die Auseinandersetzung mit dem von Gott anbefohlenen Mord des Isaak durch seinen Vater Abraham eine zentrale Stelle. Aber, um nun endlich zu Brittens Werk selbst zu kommen: Der literarische Inhalt des Werkes besteht nicht nur aus Owens Texten, sondern auch aus der vollständigen Liturgie der römisch-katholischen Totenmesse (Missa de profunctis).
Die Textteile durchdringen sich fast unmerklich, doch musikalisch durch die orchestrale Behandlung voneinander abgehoben: Die Totenmesse wird vom grossen Orchester unter Schwerpunkt von viel Blech begleitet; ein kleines Kammerorchester ist den Owen-Texten und den drei Gesangssolisten – Sopran, Tenor und Bariton - zugeordnet. Hinzu kommt ein gemischter, bis achtstimmig unterteilter Chor sowie ein zweistimmiger, von der Orgel begleiteter Kinderchor. Die riesige Besetzung gilt als die grösste aller musikalischen Besetzungen des 20. Jahrhunderts.
Hervorragende Mitwirkende
Das fordert natürlich die Ausführenden, allen voran die jeweiligen Chorleiter und den Dirigenten. In Basel führte der hier schon bestens eingeführte Gabriel Feltz souverän das Basler Sinfonieorchester, den grossartigen Berufs- und Extrachor des Theaters Basel sowie verkleinerte Formationen von Knaben- und Mädchenkantorei Basel zusammen.
Sämtliche Solisten, der gross aufblühende Sopran Svetlana Ignatovich’s, der kultivierte lyrische Tenor Rolf Romei’s - beide von früheren Basler Aufführungen her in allerbester Erinnerung - sowie der grossartige Gastbariton Thomas E. Bauer bewältigten ihre riesigen und sehr schwierigen Partien nicht nur sängerisch, sondern auch szenisch überzeugend.
Szenisch eine Uraufführung
Denn mit der szenischen Umsetzung, einer Art gehaltenen, wie traumatisierten Choreografie von leidenden, hoffnungslos ausgelieferten Menschen, nähert sich der Katalane Calixto Bieito den Massstab setzenden, performenden Inszenierungen eines Robert Wilson. Er wird dabei höchst wirksam unterstützt vom beeindruckenden Bühnenbild von Susanne Gschwender. Am Ende, zum verhauchenden „dona nobis pacem“, erscheint ein kleiner Knabe in Militäruniform und nimmt jenen Platz ein, der vorher vom Sopran in der Pose von Delacroix’ „Freiheit auf den Barrikaden“ besetzt worden war. Der Knabe setzt sich im vollen Schweinwerferlicht langsam den noch viel zu grossen Stahlhelm auf und wir im Publikum sind daran erinnert: Der nächste Krieg wächst schon heran. Wir brauchen uns nur die Nachrichten ringsum anzuhören. Denn offenbar gilt, nach Heraklit, immer noch: „Der Krieg ist aller Dinge Vater“.
Dieser szenischen Uraufführung zur mächtigen und zugleich mitleidsvollen Musik Brittens zollte das Basler Premierenpublikum zu Recht frenetischen, nicht enden wollenden Beifall.
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