Statt Ballannahmen, Dribblings zwischen Slalomstangen, Doppelpässen lernte ich Kartenlesen, Schlangenbrot backen, Seilbrücken bauen. Die Weichenstellung war keine bewusste Auswahl, sondern ergab sich aus unbestimmten Vorlieben und zufälligen Kontakten. Sie prägte meine Kinder- und Jugendzeit.
Meine Samstagnachmittage spielten sich in den Wäldern ab. Über Pfingsten und im Sommer zogen wir ins Zeltlager. Winters ging es in abgelegene, spartanisch ausgestattete Hütten. Wie die kickenden Schulkollegen sich durch die Juniorenklassen noch oben spielten, so durchlief ich die Grade und Stufen der Pfadfinderei. Nach ein paar Jahren kamen Führungs- und Organisationsaufgaben hinzu sowie erste journalistische Taten bei der «Winterthurer Pfadertasche». Mit zwanzig war ich verantwortlich für eine Abteilung von etwa 250 Köpfen. Das bedeutete soviel Engagement, dass ich mich schwerlich des näheren mit Fussball hätte beschäftigen können.
Ein halbbatziger Fussballfan
Fussball lässt selbstverständlich auch mich nicht kalt. Bei grossen Turnieren und besonderen Spielen schaue ich gerne zu. Spannende Kämpfe, überraschende Spielzüge und herausragende Ballkünste weiss ich zu goutieren. Public Viewings machen mir Spass wegen der oft zauberhaften Atmosphäre. Selbst die Offside-Regel ist mir geläufig. Aber ein richtiger Fan bin ich nicht. Dazu fehlt es mir – die «Richtigen» mögen verzeihen! – das, was im Wort steckt: Fanatismus oder, freundlicher ausgedrückt, die rechte Leidenschaft.
Es will mir nicht gelingen, Fussball ernst zu nehmen. Und das, obschon ich von sympathischen und gescheiten Leuten weiss, die genau das tun. Manche von ihnen machen sich zu diesem Sport raffinierte Gedanken, die mich sehr faszinieren. Wird fussballerisches Feuerwerk gezündet auf dem Rasen oder im Diskurs, so gehöre ich zu den Geniessern. Es macht mir jedoch nichts aus, selbst Highlights am Fernsehen zu verpassen – ein untrügliches Indiz für einen schweren Fall von Fussballbanausentum.
Altakademiker-Fussballer
Es gab allerdings eine Zeit, da ich selbst gespielt habe. Als ich in den siebziger Jahren in St. Gallen lebte, genoss ich das Privileg, beim Hochschulsport am wöchentlichen «Altakademiker-Training» (so hiess das wirklich) teilzunehmen. In der warmen Jahreszeit schloss es meist mit einem Fussballspiel. Da kam ich als Wald-Sozialisierter dann doch zu meiner Rasen-Erfahrung. Seither weiss ich, dass erstens diese Sache schwieriger ist als sie aussieht und zweitens das Geschehen aus der Perspektive des Spielers oft gar nicht zu überblicken ist. Das hat meinen Respekt vor denen, die es können, ganz erheblich gesteigert.
Es zeigte sich bald, dass ich als Angreifer wenig taugte. Es fehlte mir an Wendigkeit, beim fintenreichen Lauf mit dem Ball am Fuss verstolperte ich mich, und bei der Überwindung grösserer Distanzen legte ich mir das Leder zu weit vor. Da fehlten einfach zwei Jahrzehnte des beharrlichen Aufbaus. Als Goalie war ich vollends indiskutabel, eine einzige Katastrophe für meine Mannschaft.
Hingegen kam ich ganz passabel zurecht mit der Verteidigerposition. Vor unserem Tor erschienen mir die Absichten der Angreifer leicht durchschaubar, sodass ich meist zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Die Rencontres mit den Stürmern scheute ich nicht – ausser es war der Noldi, der herangebraust kam, ein untersetzter, kompakter, vor Energie berstender Irrwisch (damals National-, später Bundesrat). Er hat ohne bösen Willen diverse Verletzte auf dem Platz gelassen, da halfen alle freundlichen Ermahnungen des Sportlehrers nichts. Man konnte entspannter spielen, wenn er der eigenen Mannschaft zugeteilt war.
Meine spärlichen Erinnerungen – das satte Plonk beim vollen Tritt an das Leder, die manchmal endlose Weite des Feldes, der Geruch des Rasens, das gemeinschaftliche Hochgefühl nach dem Spiel – reichen aus, mir eine Ahnung zu geben, was ich als Nicht-Fussballer und Nicht-Fan verpasst habe. Nun ja, der Wald war halt auch sehr gut.