Als Wahlkämpfer nahm Bundesrat Cassis im Tessin vor den Freisinnigen kein Blatt vor den Mund. Nach Bern müsse man die besten schicken, für die Liberalen, nicht fürs Tessin.
«Ich bin gekommen, um euch aufzuschrecken», sagte Bundesrat Ignazio Cassis an der Wahlveranstaltung in Sant’Antonino am 3. September. Und er hat ausgeteilt. Er lasse sich nicht von ein paar blödsinnigen Artikeln einschüchtern. Ich lese Zeitungen nicht mehr, das bringt mir nichts; seit ich sie nicht mehr lese, habe ich viel mehr Kraft. Das und anderes ist nachzulesen und nachzuhören bei Liberatv, einer privaten Fernsehstation, sowie in einem Video. Das sind erstaunliche Aussagen eines Mitglieds der Regierung; diese hatte nämlich im Vorfeld der Volksabstimmung über die Medienhilfe geschrieben, unabhängige Medien hätten in einer Demokratie eine wichtige staatspolitische Aufgabe.
Der Präsident der Vereinigung Tessiner Journalisten, Roberto Porta, schrieb in einem Beitrag im «Corriere del Ticino», Journalisten könnten auch Fehler passieren, doch er frage sich, ob es Aufgabe eines Bundesrats sei, eine ganze Berufsgattung zu diskreditieren? Porta wehrt sich gegen die pauschale Beleidigung der Presse. Man kann sich zudem fragen, wie der Aussenmister seine Aufgabe wahrnimmt, wenn er die Presse ignoriert. Vielleicht darf man seine Aussage nicht allzu wörtlich nehmen, vielleicht ist ihm als Wahlkämpfer im Tessin die Sicherung durchgebrannt.
Für die Liberalen, nicht fürs Tessin
Ins Parlament nach Bern müsse man die Besten schicken, die sich für das Stücklein Land engagierten, das in der Schweiz nicht mehr gewürdigt werde. In diesem Zusammenhang müssen wir kämpfen. «Aber wofür? Fürs Tessin? Nein, in erster Linie für die Liberalen,» betonte Cassis. Weiter kritisierte der Bundesrat die SP und die SVP. Zusammen hätten sie im Bundesrat die Mehrheit, lehnten jedoch die Krediten des Bundes in Sachen Credit Suisse ab, obschon der Bundesrat diesen Beschluss einhellig gefasst hatte. Solche Worte werden einigen Widerspruch auslösen. Gleichzeitig lobte Cassis vorbehaltlos den typisch schweizerischen Lösungsansatz, den Kompromiss, da alle einen Schritt zurücktreten müssten, um ihn zu erreichen.