Wiederholte Stromausfälle und spontane Schliessungen prägen den Alltag in Teheran und anderen iranischen Grossstädten. Unsere Reporterin hat die Stimmen Betroffener eingefangen. Eine Reportage aus der Hauptstadt von: Afra *)
Seit Monaten gehören Berichte über unvorhergesehene Schliessungen von Schulen, Unis oder Behörden zu den Hauptnachrichten in Iran, die mal mit Stromausfällen, mal mit Luftverschmutzung begründet werden und das tägliche Leben der Menschen erheblich beeinträchtigen. Für viele Iraner und Iranerinnen stehen die wiederkehrenden und lang anhaltenden Stromausfälle im Widerspruch zu den Versprechungen der Regierung bezüglich einer Verbesserung des Energiemanagements.
Die Regierung führt den Mangel an Brennstoffen in Kraftwerken als Hauptgrund für die Krise an. Doch widersprüchliche Aussagen und mangelnde Transparenz haben die öffentliche Besorgnis verstärkt. Gleichzeitig zeigen Berichte, dass viele Kraftwerke statt Erdgas umweltschädliche Brennstoffe wie Schweröl (Mazut) nutzen. Dies verschlechtert die Luftqualität in den Städten erheblich. Diese Herausforderungen, kombiniert mit mangelhafter Verwaltung und fehlender Planung für die Stromausfälle, werfen in der Bevölkerung erneut ernsthafte Fragen zur Effizienz der Energiepolitik des Landes auf.
Stromausfälle im kalten Winter
Lange galten Stromausfälle in Iran als Phänomen, das vor allem in heissen Sommern mit hohem Energieverbrauch auftrat. Doch seit 2021, als der gemässigte Präsident Hassan Rohani die Regierung an den Hardliner Ebrahim Raisi übergab, hat sich das geändert: Nun gehören auch die kalten Winter zu den Jahreszeiten mit häufigen und weitreichenden Stromausfällen.
Zwischen Frust und Resignation: die Stimmen der Bürger*innen
Jenseits der offiziellen Analysen äussern die betroffenen Menschen ihre eigenen Meinungen zu den Stromausfällen. In der Teheraner U-Bahn, wo die Menschen müde und zusammengedrängt in den Waggons sitzen, ist das Thema allgegenwärtig.
Ein Mann mit einem Werkzeugkoffer murmelt: «Wenn der Strom in der Werkstatt ausfällt, verliere ich den ganzen Tag. Der Chef nutzt das als Vorwand, um unseren Lohn zu kürzen. Als ob wir daran schuld wären.»
Eine ältere Frau seufzt: «Ohne Strom zu Hause können wir nicht leben. Meine Tochter hat wegen des Internetausfalls ihre Online-Prüfung verpasst. Und dann behaupten sie, die Zukunft der Kinder sei wichtig!»
Ein junger Mann am Eingang des Waggons sagt wütend: «In der Arztpraxis, in der ich gestern war, gab es weder Licht noch funktionierte das Kartenlesegerät. Nach zwei Stunden Warten sagte der Arzt, er könne nicht untersuchen, weil die Geräte nicht laufen.»
Die Gespräche in der U-Bahn spiegeln den Alltag der Bevölkerung wider und erzählen einfache, aber bittere Geschichten von einem Leben, das unter der Last der Stromausfälle leidet.
Wenn eine Minute ohne Strom entscheidend sein kann
In einem Krankenhaus in Urmia, einer Grossstadt im Nordwesten Irans, kam es während einer komplizierten Gehirnoperation zu einem Stromausfall. Der Notstrom des Krankenhauses schaltete sich erst mit einer Verzögerung von einer Minute ein. Laut dem verantwortlichen Chirurgen war dies einer der herausforderndsten Momente seiner beruflichen Laufbahn.
«Diese eine Minute bis zur Aktivierung des Notstroms war die längste Minute meines Lebens», sagte der Arzt gegenüber Medien: «Zumindest in Gebieten mit Krankenhäusern und medizinischen Einrichtungen sollte es keine Stromausfälle geben, oder es müssten spezielle Vorkehrungen getroffen werden. Es könnte sein, dass ein Arzt gerade eine Gehirnoperation durchführt.»
Die Nachricht über den Stromausfall während der Operation verbreitet sich rasch in den sozialen Netzwerken. Viele Nutzer kritisieren die desolate Infrastruktur und stellten die Frage: «Wie kann ein Land mit so vielen natürlichen Ressourcen nicht einmal die Stromversorgung von Krankenhäusern sicherstellen?»
Andere Stimmen wurden noch schärfer: Sie warfen der Regierung vor, das Leben der Menschen zu gefährden. Häufig zu lesen war der Vorwurf, die politischen Führer seien mehr an ideologischen Kämpfen in Palästina und Gaza interessiert als an den Problemen im eigenen Land. Ein Nutzer schrieb sarkastisch: «Hauptsache, die Revolutionsgarden können Bitcoin schürfen. Alles andere ist wohl egal.»
Belastet Bitcoin das iranische Stromnetz?
Viele Menschen sind überzeugt, dass die Stromausfälle unter anderem durch das Mining von Kryptowährungen verursacht werden, das viel Strom benötigt, und in Iran, wo die Energiepreise niedrig sind, insbesondere von der Islamische Revolutionsgarde (IRGC) betrieben wird. Berichten zufolge könnte dies eine Finanzquelle der Revolutionsgarden sein – für die die Bevölkerung die Konsequenzen in Form von Stromausfällen trägt.
Ein Bericht der US-amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press vom Dezember 2024 unterstützt diesen Verdacht: Er vermeldete, dass das US-Finanzministerium und Israel kürzlich Bitcoin-Wallets blockiert hätten, die mit den Revolutionsgarden in Verbindung stünden. Diese Wallets sollen demnach zur Finanzierung von Milizen und militärischen Operationen im Nahen Osten genutzt worden sein.
Politische Deutungen und Hoffnungsschimmer
Zwischen all diesen Reaktionen wird die aktuelle Lage des Landes auch politisch interpretiert. Einige Menschen sehen die zunehmenden landesweiten Stromausfälle und die infrastrukturellen Probleme als Zeichen dafür, dass das Ende der Islamischen Republik nahe sein könnte. Sätze wie «Es ist unklar, was ihr diesmal anrichtet, dass der Strom ausfällt, aber eines ist klar: Ihr seid am Ende eures Weges angekommen» sind nicht nur in den sozialen Medien, sondern auch auf den Strassen und in den Gassen immer wieder zu hören.
Trotz aller Kritik und Hoffnungslosigkeit äussern einige Menschen jedoch auch Optimismus, dass sich die gegenwärtigen Zustände ändern lassen. Eine dieser Meinungen lautet: «Es ist okay, dass ihr den Strom abschaltet, die Luft verschmutzt, das Geld einsteckt; denn allein zu wissen, dass ihr bald aus unserem Land verschwindet, macht uns froh.»
Ein marodes Netz: Wie fehlende Investitionen das Land lahmlegen
Abgesehen von diesen spekulativen Ursachen ist die marode Infrastruktur Irans ein wesentlicher Grund für die wiederholten Stromausfälle. Jahrzehntelange Vernachlässigung und fehlende Investitionen haben das Stromnetz veralten lassen und anfällig gemacht, sagen Experten. Ursprünglich für eine kleinere Bevölkerung und geringere Nachfrage ausgelegt, ist das System den Anforderungen einer gewachsenen Bevölkerung, zunehmender Urbanisierung und industriellem Wachstum nicht mehr gewachsen.
Um die Stromausfälle abzumildern, greift die Regierung auf den Einsatz von Schweröl (Mazut) in Kraftwerken zurück. Dies verschlimmert jedoch die Luftverschmutzung erheblich, ohne die Stromversorgung nachhaltig zu stabilisieren. Die Menschen stehen dadurch vor einem scheinbar ausweglosen Dilemma: «Entweder haben wir keinen Strom oder keine saubere Luft – unser Leben hängt zwischen diesen beiden tödlichen Optionen fest», so ein Bewohner Teherans.
Ein Land am Rande des Stillstands?
Die aktuelle Situation verschärft den Frust und die Hoffnungslosigkeit vieler Menschen in Iran. Die Regierung scheint die Bevölkerung zwischen Luftverschmutzung und wiederkehrenden Stromausfällen allein zu lassen. Eine immer wieder zu hörende Aussage auf den Strassen Teherans lautet: «In diesem Winter sterben wir – ohne Strom und ohne saubere Luft.»
*) Afra ist unsere Autorin in Teheran
Mit freundlicher Genehmigung Iran Journal