Die Serie von Mordtaten, die wie jetzt in Aschaffenburg immer wieder neu Angst und Schrecken verbreiten, verändert das gesellschaftliche und politische Klima. Die Parolen der Rechten erreichen mehr und mehr die bürgerliche Mitte, nicht nur in Deutschland. Es besteht die Gefahr, dass die politische Vernunft ganz unter die Räder gerät.
Friedrich Merz, Kanzlerkandidat der CDU/CSU, hat angekündigt, in diesen Tagen im Bundestag einen Antrag einzubringen, demgemäss die deutschen Aussengrenzen wieder lückenlos kontrolliert werden sollen. Nur wer über gültige Einreisepapiere verfügt, soll passieren dürfen. Das ist seine Reaktion auf Gewalttaten, die wie jüngst in Aschaffenburg von Ausländern begangen wurden.
SPD und Grüne werden diesem Antrag nicht zustimmen, wohl aber die AfD. Damit sei, so die Kritik insbesondere von der SPD, von Merz und seiner CDU die «Brandmauer» zur AfD eingerissen. Auf dieser vermeintlichen Brandmauer aber tanzen die Rechtspopulisten schon längst mit allergrösstem Vergnügen. Mehr als eine Ruine ist sie nicht mehr.
Zwei tektonische Verschiebungen
Denn in der politischen Rhetorik hat es zwei Verschiebungen gegeben. Die eine besteht darin, dass Tabubrüche der Rechtsradikalen nach und nach in den politischen Alltag eingesickert sind, auch wenn die bürgerlichen Parteien die gröbsten sprachlichen Provokationen noch ablehnen. Aber mittlerweile ist es fast Common Sense, dass Grenzen geschlossen werden sollen und dass Ausländer unter mehr oder weniger klar definierten Bedingungen abgeschoben beziehungsweise in ihre Heimatländer ausgeflogen werden sollen. Mit Genuss und geradezu demagogischem Vergnügen sprach Alice Weidel auf dem AfD Wahlparteitag mehrfach das Wort «Remigration» aus, eine ultrarechte Parole, für die Björn Höcke vor Jahren fast aus der AfD geflogen wäre – gerade auch auf Betreiben von Alice Weidel. Merz würde zwar nicht von Remigration reden, aber der Sache nach driftet er in Richtung Höcke-Weidel.
Die sprachlichen Provokationen der AfD gehen noch darüber hinaus. Im Jahr 2017 hat Björn Höcke das Berliner Holocaust-Mahnmal als «Denkmal der Schande» bezeichnet. Damit meinte er nicht die Schande, die sich das deutsche Volk mit dem Holocaust auf sich gezogen hat, sondern ganz im Gegenteil die Erinnerungskultur. Auf dem AfD-Wahlparteitag charakterisierte Weidel oder besser: beschrie Weidel die Windkraftwerke als «Windmühlen der Schande». Die sprachliche Überdrehung stösst sich an keiner Absurdität. Weidel konnte sich daran sichtlich und hörbar berauschen.
Friedrich Merz wiederum scheut sich nicht, anzukündigen, dass er als Bundeskanzler alle Windkraftwerke abreissen lassen würde, weil sie die Landschaft verschandelten. Dabei interessiert ihn offenbar nicht die Frage, ob er als Bundeskanzler überhaupt die rechtlichen Instrumente dafür hätte und was ein solches Vorgehen für die Energieversorgung bedeuten würde. Es zählt für ihn der starke Ausdruck im Kielwasser von Weidel. Man wundert sich ein bisschen, dass ein gelernter Jurist und angeblich in der Wirtschaft gestählter Politiker sich so treiben lassen kann.
Der Angriff auf die Rationalität
Die zweite Verschiebung, die durch die rechtspopulistische und rechtsradikale Rhetorik im politischen Betrieb stattgefunden hat, ist der völlige Verzicht auf Rationalität. Straffällige Ausländer ohne viel Federlesens auszuschaffen, ist eine fabelhafte Idee, solange man nicht daran denkt, dass sie inhuman und vor allem äusserst schwer umzusetzen ist. Dass hier einiges vereinfacht und beschleunigt werden könnte, steht ausser Frage, aber es genügt nicht, einfach mal mit der Faust auf den Tisch zu hauen. Geradezu lächerlich sind die Bilder von Trumps ersten Amtstagen. Er hatte angekündigt, ab sofort «Millionen» von Ausländern abzuschieben. In den Medien sah man davon ein paar wenige Kleinbusse.
Und die Grenzen zu schliessen ist nicht ganz so einfach, wie Friedrich Merz es gerne hätte. Erstens machen die Fachleute der Polizei darauf aufmerksam, dass ihr dafür schlicht die personellen Kapazitäten fehlen, und zweitens würde sich Deutschland damit endgültig in der Europäischen Union isolieren, weil es damit gegen die Schengen-Verträge verstiesse. Das käme Deutschland politisch und wirtschaftlich teuer zu stehen.
Das Merkmal rechter Rhetorik liegt in der demagogischen Vereinfachung und Vergröberung. Dazu kommen grossmäulige Versprechungen, die ersichtlich nicht eingehalten werden können. Das ist Absicht. Denn mit dieser Taktik wollen sie den etablierten Politikern den Boden der Rationalität wegreissen. Trumps absurde Übertreibungen und schamlose Grossmäuligkeit hat darin ihren Kern. Die nüchterne Vernunft zählt nicht mehr. Beharren die etablierten Politiker nicht mehr auf dem Vorrang rationaler Argumentation, stürzen sie ins Bodenlose. Dann können die Rechtsradikalen und die Demagogen behaupten, was sie wollen, weil sie die politische Vernunft ihrer Gegner pulverisiert haben – erst recht, wenn ein Elon Musk sich bedingungslos auf ihre Seite geschlagen hat.
Quatsch gegen Quatsch
Das einzige Mittel dagegen ist das Beharren auf den Grenzen, die die nüchterne Betrachtung den politischen Versprechungen setzt. Friedrich Merz hat sich anheischig gemacht, mit Alice Weidel zu diskutieren. Er geht von vornherein geschwächt in diese Auseinandersetzung, wenn er Forderungen von ihr übernimmt, wie weichgespült auch immer. Quatsch kann man nicht mit Quatsch widerlegen.
Man kann darüber streiten, ob Merz mit Weidel auf einer Bühne auftreten sollte. Die einzige Chance, die er dabei hätte, bestünde darin, ihre Rhetorik als das zu entlarven, was sie ist: hohle Phrasen. Stück für Stück müsste er ihr nachweisen, dass ihre Vorstellungen sich in keiner Weise mit der Realität vertragen: Rechtslagen, Daten, Fakten, Erfahrungen. Und er müsste klarmachen, dass Ressentiments als politischer Treibstoff höchst ungeeignet sind. Kann er das?
Es ist ganz sicher so, dass die politische Stimme der Vernunft keine Beifallsstürme auslöst. Sie ist leiser als das Geschrei der rechtspopulistischen und rechtsradikalen Verführer. Aber in dieser leisen Stimme liegt die einzige Chance, sich am Ende von diesem Albdruck zu befreien.