Am 8. Oktober werden in den beiden deutschen Bundesländern Bayern und Hessen neue Landtage gewählt. Glaubt man den Umfragen, wird sich weder in München noch in Wiesbaden an der Spitze etwas ändern. Trotzdem ist Spannung angesagt. Denn: Wie stark wird die rechtsextreme AfD?
Regionalwahlen in Deutschland, also die Bestimmung der neuen Landtage, wurden (vor allem von den Verlierern) immer gern als Urnengänge mit begrenzter Auswirkung bezeichnet. In Tat und Wahrheit stimmt das so schon lange nicht mehr. Schon beim Findungsprozess der Spitzenkandidaten, auf jeden Fall jedoch bei den beherrschenden Wahlkampfthemen spielen zumeist auch auf der so genannten unteren Ebene jene Vorgänge eine beherrschende Rolle, die das bundespolitische Parkett dominieren. Das war schon zu Bonner Zeiten der Fall. So ist es auch nach dem Hauptstadtwechsel in Berlin geblieben. Und zwar bis heute.
Unterschiedlich geprägt, ähnlich stabil
In Bayern sind am Sonntag 9,4 Millionen Bürger zur Stimmabgabe aufgerufen. Der Freistaat zwischen den Alpen im Süden und dem Main im Norden steht mit rund 70'500 Quadratkilometern flächenmässig an der Spitze der deutschen Länder, bevölkerungsmässig aber als Nummer zwei hinter Nordrhein-Westfalen. Ausserhalb seiner Grenzen werden die Menschen gern folkloristisch unter einen Gamsbarthut geschart, was jedoch den tatsächlichen, grossen Unterschiedlichkeiten zwischen «Alt-Bayern», alemannisch geprägten Schwaben und Allgäuern sowie Oberpfälzern und – vor allem – Franken überhaupt nicht gerecht wird. Trotzdem ist schon richtig: Gegenüber Kritik von aussen, die als ungerechtfertigt empfunden wird (und das ist praktisch immer der Fall) stehen die bayerischen Stämme trotz aller Gegensätze zumeist fest zusammen. Weil: «Mia san mia!» (Auf Deutsch: «Wir sind wir.»)
In dem an das südliche Bayern grenzenden, deutlich kleineren Bundesland Hessen sind 4,3 Millionen Landtagswähler registriert. Für die Aussenwirkung bestimmend sind natürlich vor allem die Wirtschaftskraft und Dynamik um die Metropole Frankfurt mit dem Flughafen als internationalem Drehkreuz und dem Bankenviertel sowie dem «hessischen» Dialekt. Obwohl dieser in der Realität nur für Südhessen gilt und völlig verschieden ist von den Mundarten, die im nördlichen Teil (der bis an die Weser reicht) gesprochen wird. Und genau so unterschiedlich sind auch die Mentalitäten. Beispiel: Als 1968 die damaligen Jugendunruhen die Universitäten in Frankfurt oder Giessen zum Beben brachten, war davon im nordhessischen Kassel kaum etwas zu spüren.
Für diese beiden, zum Teil sehr unterschiedlich geprägten, Bundesländer stehen also am Sonntag wichtige politische Entscheidungen an. Ironie des Schicksals oder vielleicht des Zeitgeists: Wenn man den seit geraumer Zeit relativ stabilen Umfragen traut, dann wird sich am Abend dieses 8. Oktober hier wie dort an der parteipolitischen Zusammensetzung der Regierungen nichts ändern. In München dürfte die bisherige Koalition von Christlich-Sozialer Union (CSU) und Freien Wählern unter Ministerpräsident Markus Söder und dessen Stellvertreter Hubert Aiwanger bestätigt werden. Das Gleiche gilt für die Wiesbadener Staatskanzlei und das schwarz-grüne Bündnis mit dem CDU-Regierungschef Boris Rhein mit Vize Tarek Al-Wazir von den einstigen Sonnenblumenfreunden. Für beide Regierungen sagen die Umfragen deutliche Mehrheiten voraus. Im Bayern haben die CSU und Söder aktuell rund 36 Prozent sowie die Freien Wähler mit Aiwanger etwa 15 Prozent Zustimmung. Und in Hessen stehen die Werte bei 32 Prozent für die CDU und 16 Prozent für die Grünen.
Hauptthema Migration
Viel Lärm und Aufregung also um Nichts oder allenfalls Wenig? Weit gefehlt. Denn bei allen strittigen und fraglos (nicht nur für Bayern und Hessen) auch wichtigen landespolitischen Sachthemen wie etwa Bildungspolitik, Energiewende oder Klimarettung steht auch bei diesen Landtagswahlen wie ein Fanal eine Frage im Hintergrund: Wie hoch wird der Stimmenanteil der Alternative für Deutschland (AfD) ausfallen? Jener Partei also, die einst von ein paar Ökonomieprofessoren aus Protest gegen die Euro-Währung und die EU-Wirtschaftspolitik gegründet worden war, inzwischen jedoch nach dramatischen internen Entwicklungen und Verwerfungen vom Verfassungsschutz als «gesichert rechtsrextremistisch» eingestuft wird. Wiederum den Meinungsumfragen zufolge, neigen gegenwärtig in Bayern 14 und in Hessen 16 Prozent deren Gedankengut zu. Das sind etwa auch die Werte von SPD und Grünen in Hessen, während die bayerischen Sozialdemokraten sogar in den Bereich der Einstelligkeit (9 Prozent) abzurutschen drohen, bei 14 Prozent AfD-Zuspruch.
Und genau hier rückt der Problembereich in den Mittelpunkt, der – von den Kommunen und Regionen ausgehend – die bürgerlichen Massen zunehmend bewegt und natürlich auch längst die politische Ebene in Berlin erreicht hat: Migration. Der Zustrom von Flüchtlingen und Vertriebenen nicht nur aus der Ukraine nach Deutschland. Die damit verbundenen Notwendigkeiten für die Unterbringung, für Kindergärten, Kitas und Schulen, die medizinische sowie allgemeine soziale Betreuung und die Integration im weitesten Sinne hat mittlerweile zahlreiche Gemeinden an und über den Rand der Leistungsfähigkeit gebracht. Und sie drohen die Sozialsysteme zu sprengen.
Diese Situation bestimmt schon seit Längerem zunehmend die gesellschaftlichen Diskussionen. Und – man kann es drehen und wenden, wie man will – so sehr weite Kreise der Öffentlichkeit fürchten, das vergleichsweise kleine Deutschland werde das wachsende Problem nicht stemmen können, so sehr wartet man auf klare Ansagen aus Berlin. Doch die Einzigen, die zum Thema Zuwanderung klar Stellung beziehen, sind die politischen Rechtsaussen. Deren Antwort: Alle Illegalen kurzerhand rausschaffen, die Grenzen dichtmachen, die EU am Besten so schnell wie möglich verlassen, das deutsche Schicksal in die bewährten deutschen Hände nehmen.
Jeder auch nur einigermassen zu eigenem Denken befähigte Mensch weiss, dass dies alles Quatsch ist. Dass derartige «Lösungen» weder rechtlich noch politisch noch wirtschaftlich noch gar moralisch auch nur ansatzweise möglich sind. Trotzdem greifen die AfD-Parolen. Die Thesen sind halt einfach, und die Lage ist kompliziert.
Nun ist in Hessen ausgerechnet Nancy Faeser sozialdemokratische Spitzenkandidatin. In Berlin ist die Juristin aus der Nähe von Frankfurt allerdings auch Bundesinnenministerin und damit zuständig für zentrale Bereiche der inneren Sicherheit und der Zuwanderungspolitik. So wie es aussieht, wird sie am Sonntag auf keinen grünen Zweig kommen. Möglicherweise hat sie das von Anfang an geahnt und deswegen gleich angekündigt, lediglich im Falle eines Sieges nach Wiesbaden zu kommen. In jüngster Zeit traf nicht nur die Ministerin, sondern im Grunde die gesamte rot-grün-gelbe Koalition an der Spree etliche Entscheidungen, die zuvor immer ausgeschlossen worden waren. Etwa Kontrollen an deutschen Aussengrenzen.
In Bayern gehen die Uhren anders
So etwas hat die bayerische Landesregierung schon seit Längerem angeordnet, zum Beispiel an der Grenze zur Tschechischen Republik. Trotzdem beherrscht das Thema Zuwanderung auch im weiss-blauen Freistaat die Landtagswahl. Freilich nicht nur das. Erst jüngst scheint sich die alte These wieder einmal bestätigt zu haben, dass in Bayern die Uhren anders gehen. Gemeint ist jener Vorgang bei den Freien Wählern (also immerhin Partner beim Regieren), in dessen Mittelpunkt der aus Niederbayern stammende Parteichef Hubert Aiwanger stand – und eigentlich auch immer noch steht. Die «Süddeutsche Zeitung» hatte detailliert berichtet, dass der seinerzeit 17-jährige Gymnasiast Aiwanger in der Schule mit einem Flugblatt erwischt worden war, das einen schier unvorstellbar ekligen antisemitischen Text enthielt. Wie es damals auch immer gewesen sein mag – angeblich war der ältere der Aiwanger-Brüder der Autor –, eine klare Distanzierung, gar die Bitte um Entschuldigung hat es bis heute nicht gegeben. Dennoch (oder vielleicht gerade deswegen) stieg die Partei der Freien Wähler in der Gunst der Bayern von 11,6 auf 15 Prozent an. Mia san halt mia.
Im Freistaat dürfte die Frage, wie das Aiwanger-Flugblatt mit dem Wahlzettel beantwortet wird, das künftige Geschick von Regierungs- und CSU-Chef Söder mit bestimmen. Als der hemdsärmelige Franke aus Nürnberg als Nachfolger von Horst Seehofer ins Münchener Maximilianeum eingezogen war, sackten die jahrzehntelang von Erfolg verwöhnten Christsozialen bei den nächsten Landtagswahlen auf das (aus ihrer Sicht) desaströse Ergebnis von 37,2 Prozent (minus 10,5) ab. Es war das schlechteste Resultat seit 1950. Aktuell weisen die Umfragen sogar nur 36 Prozent für die CSU aus. Allerdings sind diese Zahlen nur Trends, keine Prognosen. Und Stimmungen müssen sich nicht unbedingt auch in Stimmen niederschlagen.
Trotzdem käme es fast einem Wunder gleich, sollte sich die Machtkonstellation in München dramatisch ändern. Dasselbe gilt für Hessen, wo Ministerpräsident Rhein zwar in der Aussenwirkung noch nicht aus dem Schatten seines populären Vorgängers Volker Bouffier heraustreten konnte, aber gewiss keinen Absturz befürchten muss. Zumal auch sein grüner Partner Al-Wazir mehr als einmal zu erkennen gab, dass er an dem Bündnis mit der CDU festzuhalten gedenke.
Mit Interesse dürfte dort jedoch das Abschneiden der kommunistischen Linken verfolgt werden. Die Umfragezahlen liegen im Moment deutlich unter der für den Parlamentseinzug entscheidenden Fünfprozent-Marke. Und, nicht zu vergessen, aus dem südhessischen Mörfelden-Waldorf vor den Toren Frankfurts kommt die linke Bundesvorsitzende Janine Wissler.