Einmal mehr ist eine Parlamentswahl in Pakistan ein abgekartetes Spiel der Militärs und willfähriger Politiker. Diesmal geht es darum, der demokratischen Grundwelle, die der Politiker Imran Khan ausgelöst hat, das Wasser abzugraben.
«Mogelpackung Demokratie?» könnte man sich als Bezeichnung für ein Tribunal über Politik in Südasien vorstellen. Darin würde der Ankläger eine Jury zu überzeugen versuchen, dass demokratische Wahlen in dieser Weltregion vor allem dem Zweck dienen, autokratische Machtstrukturen gut aussehen zu lassen und damit zu zementieren.
In den letzten Wochen hat er bereits zwei «Zeugen der Anklage» gefunden. Da war einmal die Parlamentswahl in Bangladesch, bei der die langjährige Amtsinhaberin für ihre Wiederwahl gesorgt hatte, indem sie zahlreiche Gegenkandidaten verhaften liess und ihre Hauptwidersacherin unter Hausarrest stellte. Am Ende musste nur noch die Optik stimmen, weshalb sie belanglose Kleinstparteien und unabhängige Kandidaten förderte, primär, um den händeringenden westlichen Demokratien Sand in die Augen zu streuen.
Gottähnlicher Glücksbringer
Dann kam Indien an die Reihe, das sich stolz die grösste Demokratie der Welt nennt. Weniger als vier Monate vor der nächsten Parlamentswahl organisierte Premierminister Modi im Pilgerort Ayodhya eine Mega-Zeremonie. Dank einer landesweiten medialen Abdeckung konnte er sich den anderthalb Milliarden Mitbürgern als gottähnlicher Glücksbringer empfehlen. Die Botschaft: Wer die Opposition wählt, versündigt sich gegen Gott. Modi ist sich seines Sieges so sicher, dass er im Parlament bereits die Zahl der Sitze voraussagen konnte, die seine Partei gewinnen wird.
Wie jeder ausgefuchste Ankläger hat sich der Kronanwalt als dritten Zeugen Pakistan vorbehalten, das Land, das zwei Drittel seiner 77-jährigen demokratischen Existenz in militärischer Schutzhaft verbracht hat. Am 8. Februar finden dort einmal mehr Wahlen statt, die keine Wahl zulassen, da man schon im Voraus weiss, wer sie gewinnen wird.
Wahlen, die keine sind
Den Beweis für diese Voraussage haben die Generäle diesmal gleich selber geliefert, weil sie der üblichen Wahl-Charade wohl müde waren. Just zwei Wochen vor der Wahl wurde der populärste Politiker des Landes zu insgesamt 24 Jahren Haft verurteilt. Das reichte schon einmal für die Entfernung seiner optischen Präsenz in der Öffentlichkeit, denn Werbeplakate mit dem Konterfei einer verurteilten Person sind gesetzlich verboten.
Um dem Mythos des früheren Premierministers und Cricket-Stars Imran Khan vollends den Garaus zu machen, verfügte die Wahlbehörde, dass dessen «Gerechtigkeitspartei» PTI nicht als Partei auftreten durfte, sondern nur in Form «unabhängiger» Kandidaten. Damit verlor sie ihr potentes Wahlsymbol, den Cricket-Schläger. In einem Land mit vielen Analphabeten (und Cricket-Fanatikern) war dies eine mächtige Identifikationshilfe gewesen.
Manipulationen des Establishment
Mit formell unabhängigen Kandidaten wird die PTI im Parlament auch keine Fraktion bilden können, womit deren Vertreter von allen parlamentarischen Kommissionen ausgeschlossen sind. Die 72 für Frauen reservieren Sitze werden zudem jeweils den grossen Parteien zugesprochen, gemäss ihrer bisherigen Fraktionsstärke – auch hier geht die PTI also leer aus.
Diese Manipulationen des Establishments, wie der Volksmund die Militärs nennt, gehören seit langem zur Spielanlage des pakistanischen Demokratie-Monopolys. Nirgends zeigte sich dies so drastisch wie beim «Aufbau» des designierten Wahlsiegers als Alternative für Imran Khan. Ohne zu erröten zauberten die Generäle just jenen Politiker aus dem Hut, den sie vor fünf Jahren als Premierminister absetzen, verhaften und zum lebenslänglichen Entzug aller politischer Ämter verurteilen liessen. Dank seines fortgeschrittenen Alters durfte Nawaz Sharif 2019 ins Exil nach London gehen. Es war wie in früheren Fällen ein kommodes Abstellgeleise, für den Fall, dass man ihn vielleicht wieder brauchte.
Mit Schaufel und Pickel
Nun war es erneut soweit. Der 2018 von den Militärs protegierte Imran Khan hatte nach seinem ersten grossen Wahlerfolg die ewige Gängelung ablegen wollen – genauso wie Nawaz Sharif vor ihm. Er zerstritt sich mit der Armeeführung. Er ging dabei weiter als sein Vorgänger, indem er den Militärs die «staatstragende» Legitimität glatt absprach. 2022, als in diesem Hahnenkampf bereits die ersten Federn flogen, stachelte er seine Anhänger zu Massendemonstrationen an, von denen eine bis ins Hauptquartier der Armeeführung drang.
Dies mag erklären, dass Armeechef Asim Munir sich diesmal nicht damit begnügte, Khan aus dem Verkehr zu nehmen. Er wollte an ihm offensichtlich ein Exempel statuieren. Dies könnte erklären, warum Häftling Khan nicht wie üblich in einem VIP-Zellentrakt (mit Gym) untergekommen ist. Wie jeder kommune Kriminelle müsse auch er am Morgen mit Schaufel und Pickel ausrücken, liess sich die PR-Stelle des Militärgeheimdienstes ISI vernehmen.
Frühere Urteile gekippt
Verhängnisvoller für Imran dürfte sein, dass auch seiner Partei das Genick gebrochen werden soll. Neben den erwähnten Wahl-Hindernissen liess sich zu diesem Zweck ausgerechnet Nawaz Sharif als Ersatz engagieren. Als er im Herbst 2023 plötzlich nach Hause zurückkehrte, wurde er nicht verhaftet. Bald sorgten auch die Gerichte dafür, ihre früheren Urteile zu kippen und ihm und seiner Pakistan Muslim-Liga den Weg zurück zu einer weiteren Regierungsübernahme zu ebnen – der vierten insgesamt. Und bereits wartet in den Kulissen der nächste Sharif-Spross auf ihren Auftritt: Tochter Mariam.
Sharif profitiert dabei nicht nur von der Beseitigung seines schärfsten Rivalen und der offenen Parteinahme der Armee. Ihm kommt zu Hilfe, dass die zweite politische Kraft des Landes, die «Pakistan People’s Party» PPP, nur noch ein Schatten ihrer selbst ist, seit Bilawal Bhutto, der Sohn von Benazir, die Partei anführt. Zudem ist die Provinz Panjab die Hochburg der Sharifs; es ist die weitaus bevölkerungsreichste Wahlregion, die 52 Prozent aller Parlamentswahlkreise stellt.
Der langweiligste Wahlkampf
Wenn eine Wahl keine (Aus-)Wahl mehr bietet, erlahmt auch das Interesse der Wähler. Pakistanische Wahlbeobachter sind sich einig, dass am Freitag der langweiligste Wahlkampf der pakistanischen Geschichte zu Ende geht. Sie erwarten eine rekordtiefe Stimmbeteiligung, was etwas heissen will, denn auch frühere Wahlen brachten selten mehr als vierzig Prozent aller Wahlberechtigten an die Urnen.
Statt Grossveranstaltungen in den Strassen liefen die Wahlauftritte in den Sozialen Medien ab. In diesem Umstand verbirgt sich auch die einzige Unbekannte, die den Wahlausgang noch etwas spannend macht. Denn kein Wählersegment ist in diesen Kanälen so präsent wie die jugendlichen Wähler – und die unter dreissigjährigen Pakistaner stellen inzwischen über vierzig Prozent des Wahlvolks.
Clevere digitale Kampagne
Umfragen haben ergeben, dass Imran Khan bei den jungen Pakistanern der weitaus populärste Politiker ist. Diese Kombination einer technisch versierten Jugend und parteipolitischen Sympathien hat dafür gesorgt, dass trotz dem offiziellen Blackout die PTI und ihre Sympathisanten die weitaus cleverste digitale Kampagne führten. Und da ein Grossteil dieser Web-Auftritte aus dem Ausland eingestrahlt wurden, nahmen sie auch kein Blatt vor den Mund.
Es gab natürlich zahlreiche staatliche Störversuche, deren Wirkung noch unklar ist. Solche lassen sich zweifellos umgehen, aber wohl nur bei Wählern, die auch «tech-savvy» sind; dies ist, trotz der Jugendlichkeit dieses Wählersegments, nur eine kleine Minderheit. Zudem ist unklar, wie vielen «unabhängigen» Kandidaten es gelang, sich bei den Wählern als verhinderte PTI-Politiker zu empfehlen. So enden wohl viele Wähler in der zynischen Schlussfolgerung, dass, sollte sich doch noch ein indirekter Wahlsieg von Imran Khans PTI abzeichnen, die Stimmenzähler dafür sorgen werden, dass der «richtige» Kandidat gewinnt.
PS: Dieser Text verliert kein Wort über die katastrophale Wirtschaftslage Pakistans. Genau – sie war im Wahlkampf gar kein Thema. Das Plädoyer des Anklägers im Demokratie-Tribunal könnte also ein weiteres Belastungsindiz auftischen: Das mediale Spektakel «Wahlkampf» verlangt Gesichter – nicht Argumente. Ein weiterer Giftpfeil auf die Zielscheibe «Demokratie».