Der Nahe und Mittlere Osten hat mit Demokratie nun wirklich kaum etwas am Hut. Wahlen in den Ländern der Region sind deswegen oft kaum mehr als die vermeintliche Zustimmung zu den Gegebenheiten und Machtverhältnissen vor Ort, die dann durch den Urnengang auch nicht gefährdet oder auch nur erschüttert werden. Unterschiedlicher könnten zwei Nahost-Staaten kaum sein, in denen Wahlen solches dieser Tagen unterstreichen – wenn auch jeder auf seine Art: Der Iran und Israel. Beide miteinander verfeindet, bauen sie mehr oder weniger darauf auf, dass sie ihre Religion zur Staatsdoktrin machen.
Besonders krass geschieht das im Iran seit der „Islamischen Revolution“, die 1979 der Herrschaft des Schahs ein Ende setzte und wo seitdem ein geistlich (schiitisch) geprägtes Regime versucht, einen fortschrittlichen und modernen Staat nach den Regeln des Koran zu führen.
Israel hingegen versteht sich als „Jüdischer Staat“, wobei die Frage „Wer ist Jude?“ nach orthodoxer Definition beantwortet wird, viele Vorschriften des Altags und auch die territorialen Ansprüche gegenüber den Palästinensern mit biblischen Argumenten untermauert werden.
Prozess gegen Netanjahu
In beiden Ländern ist eine wachsende Anzahl von Bürgern hiermit nicht einverstanden. Im Iran, weil eine Mehrheit der rund 80 Millionen Iraner in Armut lebt, während andere es zu unfassbarem Reichtum gebracht haben. Alle wissen, dass dies nicht mit rechten Dingen zugehen konnte, sondern nur mit Korruption bis in die höchsten politischen Kreise.
Letzteres erlebt auch Israel seit über einem Jahr: Gegen Ministerpräsident Netanjahu wurde nach monatelangen Untersuchungen Anklage wegen Korruption erhoben und der Prozess soll nur wenige Tage nach den Wahlen vom 2. März eröffnet werden.
Keine Mehrheit in Israel in Sicht
Die dritten Wahlen binnen eines Jahres. Und wenn man jüngsten Umfragen glaubt, dann werden diesen bald vierte folgen. Denn die Ergebnisse werden auch diesmal keine wirklichen Mehrheiten für eine Regierungsbildung ergeben, auch dürfte der Prozess Netanjahu mindestens für Monate für ein führendes Amt disqualifizieren.
Solche Probleme gibt es im Iran nicht. Zwar gibt es dort durchaus immer wieder Korruptionsprozesse und -Urteile, aber nie in den höchsten Kreisen. Diese „stehen hinter dem System“ oder sind dessen Rückgrat und das einzige, was die Teheraner Führung zu fürchten vorgibt, ist ein Rückgang der Wahlbeteiligung der Bevölkerung. Nicht erst bei den jüngsten Wahlen letzten Freitag (21. Februar), sondern immer schon: Bei fast allen Wahlen wurde die Bevölkerung mit dem Argument zum Gang an die Wahlurne ermuntert, man müsse „der Welt zeigen“, dass die Bevölkerung hinter dem politischen System des Iran steht. Und fast immer wurde die Öffnung der Wahllokale am Abend demonstrativ ein-, zweimal verlängert, weil „der Andrang der Wähler so groß“ war.
Wahlen, die ja doch „nichts bringen“
Am Freitag wurden es drei Verlängerungen. Bis Mitternacht. (‚Erstaunlicherweise‘ sagte dies ein Reporter im iranischen Fernsehen bereits am Morgen voraus.) Viele Iraner hatten vor den Wahlen angekündigt, sie würden nicht teilnehmen, weil dies ja doch „nichts bringe“.
Aber auch vor Wahlen in der Vergangenheit hatte es solche Erklärungen gegeben und trotzdem lag die durchschnittliche Wahlbeteiligung bei knapp über 60 Prozent. Eine glaubhafte Zahl, wenn man das zum Beispiel vergleicht mit Staaten wie Syrien, wo Assad Sohn und zuvor dessen Vater immer fast 100 % der Stimmen erhielten.
Aber der Führung war anscheinend doch nicht ganz wohl in ihrer Haut, denn ein zu starker Rückgang wäre doch ein Ausdruck von Misstrauen und Ablehnung gewesen.
„Gründe zur Unzufriedenheit“
Wirkliche Angst brauchten sie natürlich keine zu haben, denn nicht nur einmal sind in der Vergangenheit Wahlergebnisse „geschönt“ worden. Und ein Gradmesser der Wahlbeteiligung am Wahltag waren immer schon die Schlangen wartender Wähler vor den Wahllokalen. Die Schlangen, die man im iranischen Fernsehen gezeigt bekam, waren diesmal weniger imposant als in der Vergangenheit – da aber hatte man manchmal nachgeholfen, indem der Ablauf im Wahllokal mit wenig Personal verlangsamt worden war.
Bei allem wurde herzlich wenig über die Gründe eines möglichen Wegbleibens der Wähler gesprochen. Immerhin aber räumten iranische Wissenschaftler, Journalisten und selbst Politiker ein, dass es doch „durchaus Gründe zur Unzufriedenheit“ gebe.
Rückgang der Wahlbeteiligung stärkt die Konservativen
Umso offener war die Kritik an den „westlichen Medien“: Die meisten von ihnen hätten einen sehr starken Rückgang der Wahlbeteiligung vorausgesagt, weil sie iranfeindlich seien. „Unwissend wäre treffender gewesen. Wie sonst sind Schlagzeilen zu verstehen, in denen der Rückgang der Wahlbeteiligung „die Opposition stärkt“?
Gestärkt werden hierdurch die Konservativen, die ohnehin bereits an der Macht sind und auch bleiben werden. Ebenso wenig verständlich der Hinweis, 80% der Kandidaten seien vom Wächterrat ausgeschlossen worden, weil sie angeblich dem Reformlager abgehörten. Angesichts der Tatsache, dass es keine Parteien gibt, der Wächterrat – wie immer – die Begründungen zurückhält und schließlich doch noch 7000 Kandidaten sich um die 290 Sitze des Majlis (Parlament) bewarben, eine recht schwache Behauptung.
Wirtschaftliche Misere
Das Ausland spielte eine wichtige Rolle im Hintergrund der Wahlen. Und dabei eindeutig am meisten die USA. Die Iraner brauchten nicht besonders darauf hingewiesen zu werden, dass die schlechte Wirtschaftslage auch eine Folge der US-Sanktionen gegen den Iran ist. Aber eben nur „auch“. Denn es war allen klar, dass Mitglieder der politischen Führung sich trotz der wirtschaftlichen Misere weiter bereicherten. Grund zur Wahlabstinenz gab es durchaus. Vorbeugend aber wiesen Politiker darauf hin, dass weniger Stimmen noch lange nicht totale Ablehnung bedeute. Immerhin sei Donald Trump mit weniger als 50% Präsident geworden.
Auch in Israel ist Trump gewollt oder ungewollt zum Wahlkampfhelfer geworden: Zwar konnte das Weisse Haus gerade noch in letzter Minute verhindern, dass Ministerpräsident Netanjahu unter Berufung auf den vermeintlichen Friedensplan der USA für Nahost noch vor den Wahlen grosse Teile der Westbank annektiert, aber nun hat er den Bau Tausender neuer Behausungen in Ostjerusalem angekündigt.
Die Lage der Palästinenser verschlechtert sich
Für Washington wie für die israelische Regierung ein Teil Israels. Nicht aber für die Palästinenser. Deren Lage verschlechtert sich weiter durch die geplante Umsetzung des US-Friedensplans. Innenpolitisch löst dieser Punkte aber keine grösseren Probleme aus: Nicht nur der „Likud“ Netanjahus, sondern auch die Oppositionspartei „Blau-Weiss“ sind für die angekündigten Annektionen, ebenso die kleineren nationalistischen und religiösen Parteien.
Nur die drittgrösste Partei wird dagegen sein: Das Bündnis von vier israelisch-arabischen Parteien. Das Ergebnis: Der Likud und ihm nahestehende Parteien werden keines absolute Mehrheit haben, „Blau-Weiss“ und Verbündete werden besser abschneiden aber auch ohne Mehrheit. Ein Zusammengehen mit dem arabischen Block kommt nicht in Frage – „Thüringen lässt grüssen“ – also muss ein fauler Kompromiss her. Oder eine vierte Wahl in einigen Monaten.