Am Donnerstag wählen die Algerier, die im Zeichen der Desillusionierung im Hinblick auf den Befreiungskrieg gegen die Franzosen überhaupt noch wählen mögen, ihren neuen, respektive alten Präsidenten. Der 77-jährige Abdelaziz Bouteflika, Kandidat der früheren Einheitspartei "Front de libération nationale" (FLN) hat seine Wahlen seit 1999 mit militärisch organisierten Fälschungen problemlos gewonnen - mit altsowjetischen Rekordresultaten.
Das wird auch diesmal der Fall sein. Die fünf anderen Kandidaten geben den Anstrich einer demokratisch-pluralistischen Wahl, darunter die alte trotzkistische Ikone Louisa Hanoune. Bouteflikas früherer Premierminister Benflis kandidiert auch wieder. Würde er gewinnen, würde dies am sogenannten "System" nichts ändern.
Boykott
Andere Parteien, eine laizistische und zwei islamistische, riefen zum Boykott auf. Die zum Teil noch freie Presse und zahlreiche Internet-Seiten hielten mit Kritik an der Kandidatur des schwerkranken Bouteflika nicht zurück. Man wolle keine "Mumie" wählen. Seit er von seinen langen Behandlungen in Pariser Militärspitälern Anfang dieses Jahres nach Algier zurückgekehrt ist, hat man Bouteflika nur sporadisch am Fernsehen erkannt und seine wenigen Worte kaum verstanden - Folgen seines Gehirnschlags. Sein Premierminister Sellal, der mit sechs anderen Vasallen im Wahlkampf den unsichtbaren Chef vertritt, fragte einmal unvorsichtig: "Weiss Bouteflika eigentlich, dass er Kandidat ist?" Das Rätsel ist: Wie hat sich Bouteflika an die Macht gebracht und an der Macht gehalten?
Seit der Unabhängigkeit 1962 wird Algerien von einem militärisch dominierten "Triumvirat" beherrscht: dem Geheimdienst, der Armee, der Regierung. Nach der Kolonialmacht Frankreich - Algerien war allerdings formell keine Kolonie, sondern ein Département - wurde die Sowjetunion politischer und planwirtschaftlicher Lehrmeister. Also zunächst Einheitspartei und Verstaatlichungen, was dank dem Erdölreichtum zunächst keine allzu grossen Probleme schuf. Denn die neue Nomenklatura griff in diese Kasse für sich selbst - und manchmal für das Volk, wenn die Unzufriedenheit zunahm.
Komplexe
Ausser dass die kolonialen Errungenschaften - Landwirtschaft, Handwerk, Kommerz, Privatbetriebe - verschwanden und die französisch inspirierten Intellektuellen unterdrückt wurden. Dafür schwang sich der kaum gebildete Bouteflika als jüngster Aussenminister der Welt zum Sprachrohr der Dritten Welt auf. Er gehörte als Rekrut dem Klan von Oujda an, der von dieser östlichen marrokanischen Grenzstadt aus relativ sicherer Distanz den Befreiungskrieg mitbestimmte. Promoviert vom ersten Präsidenten Ben Bella und dann von Boumédiène - auch einer von Oujda - gehörte er fortan zum "revolutionären" Establishment.
Wie alle Generäle und zivilen Potentaten baute Bouteflika seinen eigenen Klan auf. Er musste wegen massiver Unterschlagungen öffentlicher Gelder einige Jahre ins Exil. Seither kümmert sich sein jüngerer Bruder Saïd um diesen Geschäftszweig. Bouteflika war seit 1989 wieder im Zentralkomitee des FLN, aber wartete ab. 1999 wurde er erstmal zum Präsidenten gewählt, Weil man von ihm ein Ende des islamistischen Terrors erhoffte. Letztlich hat er ihn exportiert, in den Sahel.
Angst vor dem Chaos
Zum ersten Mal hat sich in Algerien gegen diese unausweichliche Wahl ein Protest erhoben und nicht nur in der Kabylei, wo die Berber seit je gegen die Araber kämpfen. Das algerische Internet ist wie ein Grossteil der noch freien Presse gegen diese "erniedrigende" Kandidatur. Man befürchtet ein Arrangement zwischen den überalterten Generälen, die sich nicht auf einen Nachfolger einigen konnten, dem Geheimdienst und Bouteflika, der seine Haut und Familie retten will - und alle ihre Konten.
Viele Algerier, die sich dank ausländischer Medien und Internet trotz der Zensur - die Visa für Journalisten und Wahlbeobachter wurden einmal mehr limitiert - gut informieren, fürchten in ihrem Land nach den traumatischen Erlebnissen der 90er Jahre einen neuen Islamismus, einen "arabischen Frühling" - kurzum ein Chaos. Sie sehen ihr eigenes Land nicht: sie haben eine Wahl, aber keine Auswahl. Bouteflika lässt Stabiltät versprechen, aber es handelt sich um Immobilität.