Die Stimmzettel für 24 Bezirke in Ostjava kamen nur beschädigt an, andere konnten nicht ausgeliefert werden, weil Druckfehler sie ungültig machten. Ersatz traf bisher erst in sieben Bezirken ein. Die anderen sind nur schwer erreichbar, winzige Inseln.
Nicht besser sah es in Sulawesi aus. Für 10 000 beschädigte Stimmzettel sei bislang noch kein Ersatz eingetroffen, berichtete der Vorsitzende der Wahlkommission in Westsulawesi, fünf Bezirke hätten überhaupt noch keine Unterlagen erhalten. Die Logistik bereitete ihm Kopfzerbrechen. Alleine um beispielsweise zu den Balabalang-Inseln zu gelangen, müssten seine Leute erst einmal per Boot auf Flüssen Ostkalimantan (Ostborneo) durchqueren, und dann von der Küste mit einem weiteren Boot zu den Inseln fahren. Doch das Boot, das die Verbindung zu den Inseln aufrecht erhält, verkehrt nur zweimal im Monat. „Und wenn das Wetter schlecht ist, fährt es überhaupt nicht.“
Kandidat auf Arbeitssuche
Zwölf nationale sowie drei lokale Parteien in Aceh (Nordsumatra) hoffen bei den Parlaments- und Regionalwahlen am morgigen Mittwoch auf die Stimmen der Wähler. 6608 Kandidaten kämpften auf den 14 000 bis 17 000 Inseln des Archipels einen bunten Wahlkampf um die 560 Sitze im nationalen Parlament. Über 10 000 weitere bewarben sich um Sitze in regionalen Parlamenten der 34 Provinzen des Landes, in 413 Bezirken und 92 Städten. Die islamische PPP erinnerte bei ihren Auftritten an die flatternden grünen Banner des Propheten vor 1300 Jahren, die PKS verwandelte Jakarta in ein Meer von Weiß, der Gerindra-Vorsitzende Prabowo Subianto ritt, gekleidet wie einst der Staatsgründer Sukarno und bewaffnet mit einem Kris (malayischer Krummdolch), in Jakartas mit 80 000 Anhängern gefülltem Gelora Bung Karno Stadion ein.
Tatsächlich wissen die Wenigsten, wen sie da wählen sollen oder können. Einer Umfrage zufolge, die das Meinungsforschungsinstitut Indikator Politik Indonesia im Auftrag des Wochenmagazins TEMPO durchführte, hatten die Hälfte aller Befragten keine Ahnung, wer die Kandidaten sind, 40 Prozent hatten wenigstens von einem schon gehört, und nur 6,7 Prozent waren gut genug informiert, um eine Wahlentscheidung begründen zu können. „Die Kandidaten sollten nicht immer enge Vertraute der Parteiführer oder Sternchen aus Film, Fernsehen oder Popmusik sein oder aus reichen Familien kommen“, monierte TEMPO. „Parlamentswahlen sollten nicht nur eine Gelegenheit für Tausende sein, mit ihren Universitätstiteln oder ihrer Pilgerfahrt nach Mekka zu prahlen… Ist es überhaupt möglich, irgendeinen ehrlichen Kandidaten zu finden?“ Mit der ehrlichsten Begründung warb ein Kandidat in Jakarta um Stimmen: „Ich bin arbeitslos und brauche unbedingt einen Job.“
So sind die Indonesier denn auch weit mehr an den im Juli stattfindenden Präsidentschaftswahlen interessiert. Und schon heute verhandeln, feilschen und kungeln die Parteien über mögliche Koalitionen, wo dann auch die Vizepräsidentschaftskandidaten bestimmt werden.
Unpatriotische Wahlkämpferin
Beste Aussichten, Indonesiens nächster Präsident zu werden, hat der immens populäre Gouverneur von Jakarta, Joko Widodo von der Demokratischen Indonesischen Partei des Kampfes (PDI-P). Nicht einmal der lädierte Ruf seiner Partei scheinen seine Aussichten zu schmälern. Die älteren Wähler erinnern sich noch gut an die Zeiten als PDI-P-Chefin Megawati Sukarnoputri das Präsidentenamt innehatte (2001-2004). Korruption und Untätigkeit lähmten das Land, was Widodos aktuellen Wahlslogan „Keine Korruption, keine Betrügerei“ etwas fragwürdig erscheinen lässt. Tatenlos hatte sie den blutigen sozialen und religiösen Auseinandersetzungen auf Sulawesi und Ambon zugeschaut und gleichzeitig dem Militär bei der Unterdrückung der Unabhängigkeitsbestrebungen in Westpapua freie Hand gegeben.
Und erst neulich bestätigte ihre Tochter Puan Maharani, die Wahlkampfmanagerin der PDI-P, Parteiprogramme und Wahlslogans als inhaltsleeres Geschwätz. In zahlreichen Werbespots rief die PDI-P zur Unterstützung der heimischen Industrie und Landwirtschaft auf und forderte, nur noch indonesische Produkte zu kaufen. Prompt stürzte sich die Presse höhnisch auf Puan Maharani, als sie Mitte März bei einem Wahlkampfauftritt in Medan (Nordsumatra) sehr „unpatriotisch“ in Schuhen der Marke Nike erschien.
Widodo strebt offenbar eine Verbindung mit der alten Golkar-Partei des langjährigen Diktators Suharto an. Und Golkar wirbt, untermalt mit Dangdut-Musik (eine Art Popsongs aus den Kampongs), unverfroren mit den „guten alten Zeiten“ der „Neuen Ordnung“ des 2008 verstorbenen Diktators. Eine PDI-P-Golkar-Koalition brächte – etwas überraschend – auch den Geschäftsmann Jusuf Kalla aus Sulawesi nach fünf Jahren Abwesenheit wieder ins Rennen. Er war schon einmal, von 2004 bis 2009 während der ersten Amtsperiode Präsident Susilo Bambang Yudhoyono’s, Vizepräsident und gilt als Finanz- und Wirtschaftsexperte. Überraschend, weil der Golkar-Vorsitzende Aburizal Bakrie – der reichste Mann Indonesiens, dessen Industriekonglomerat von Schiffbau, Versicherungswesen, Fertigungs- und Bauindustrie bis Immobilien, Landwirtschaft und Bergbau reicht – 2012 offiziell von seiner Partei zum Präsidentschaftskandidaten gekürt wurde.
Kandidat auf Washingtons schwarzer Liste
Die Kandidatur Widodos und die mögliche Koalition mit Golkar brachte einen weiteren Kandidaten mächtig auf. Schließlich regiert Widodo als Gouverneur von Jakarta in einer Koalition mit der Gerindra-Partei (Partei der Gross-Indonesien-Bewegung), der auch sein Stellvertreter angehört. Zudem hatte die PDI-P bei den Wahlen vor fünf Jahren mit Megawati, der Tochter des Staatsgründers Sukarno, als Spitzenkandidatin mit der von Prabowo Subianto geführten Gerindra ein Bündnis geschlossen. Dabei hatte Megawati versprochen, bei einem Wahlsieg Prabowos Kandidatur 2014 zu unterstützen.
Die Kandidatur Prabowos, berüchtigt für seine lange Liste von Menschenrechtsverletzungen, bereitet besonders den USA heftige Kopfschmerzen. Washingtons „Bedenken sind zurückzuführen auf die engen Beziehungen zwischen den amerikanischen und indonesischen Streitkräften in einer Zeit, als das indonesische Militär schlimme Gräueltaten beging“, erklärte Jeffrey Winters, Politikprofessor an der Northwestern University (Chicago) in der New York Times. Wegen seiner groben Menschenrechtsverstöße vor allem in Westpapua und Osttimor steht General Prabowo, der zahlreiche Lehrgänge an amerikanischen Militärschulen absolviert hat, auf einer schwarzen Liste von Kriegsverbrechern des State Departements. Die USA und Großbritannien verfügten (im Gegensatz zu Deutschland, wo er sich gelegentlich medizinisch behandeln lässt) Einreiseverbote gegen ihn. Doch in Indonesien erfreut sich der in Washington so Ungeliebte beträchtlicher Popularität – besonders unter den ländlichen und einkommensschwachen Bevölkerungsteilen.
85 Prozent Wechselwähler
Präsident Susilo Bambang Yudhoyonos Demokratischen Partei wird der Absturz nahezu in die Bedeutungslosigkeit prognostiziert. In einer Reihe von Korruptionsskandalen, in die hohe Amtsträger der Partei und Regierung verwickelt waren, haben die Partei und ihre Kandidaten zu viel Kredit verspielt. Meinungsforschungsinstitute sehen die Regierungspartei, die bei den letzten Wahlen 2009 noch zwanzig Prozent der Stimmen einsammeln konnte, bei nur noch sieben Prozent. „Das Problem der Demokratischen Partei ist, dass SBY (nach zwei Amtsperioden) nicht mehr kandidieren kann“, bedauerte der Parteisprecher. Dennoch setzt die Partei beinahe ausschließlich auf SBY, wie der Präsident im Volksmund kurz genannt wird, und auf die „zurückliegenden Erfolge“, vor allem der ersten Amtsperiode. Damals hatte der Präsident energisch die Korruption bekämpft und mit seiner brillanten Finanzministerin Sri Mulyani die globale Finanzkrise 2007 in Indonesien souverän gemeistert. Mit dem Portrait des Präsidenten auf überdimensionalen Reklametafeln, Postern und Werbebroschüren und dem Spruch „Beweise und nicht nur Versprechen (abzu) geben“ hofft die Partei wenigstens zehn Prozent der Stimmen zu erhalten.
Aber noch hat Yudhoyonos Demokratische Partei Chancen, wider Erwarten gut abzuschneiden. Der Ausgang dieser Wahlen scheint so offen wie noch nie. Nur 14,8 Prozent der Wähler haben sich einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Indikator Politik Indonesia bereits für eine Partei entschieden. „85 Prozent sind Wechselwähler“, gab das Institut bekannt. Weniger unentschlossen schienen die Befragten des Washingtoner Center for Strategic and International Studies (CSIS) zu sein. Doch auch die CSIS-Umfrage kam immerhin auf 45,8 Prozent Wechselwähler.