Ich schreibe seit Jahren über Inflation. Ein nicht besonders modeträchtiges Thema. Woher hätte sie auch kommen sollen, die Inflation. Eine Globalisierung, die schon fast seit Jahrzehnten Arbeitskräfte zu vorher nie gesehenen Gehaltsstrukturen irgendwo hinter dem Ural zu mobilisieren vermochte, eine nun schon etliche Jahre anhaltende Konjunkturlethargie – um nicht zu sagen Konjunkturkrise, zumindest in der westlichen Welt –, Inflationsstatistiken, die trotz erschreckender Geldmengenexplosionen in keiner Art und Weise irgendwelche Inflationsängste schüren könnten.
All die alten Monetaristen, die noch immer davon ausgehen, es gäbe doch da so etwas wie die Quantitätsgleichung des Geldes, nach der eine übermässige Geldversorgung der realen Wirtschaft über kurz oder lang zu Inflation führen sollte, werden Lügen gestraft. Die jüngsten Erfahrungen haben zusammen mit dem Globalisierungsargument, die Inflationsrisiken quasi strukturell besiegt. Und nun kommt noch dazu, dass sogar der Goldpreis wieder auf Talfahrt ist und dies vom Publikum ja nicht selten mit dem Fehlen jeglicher Inflationsbefürchtungen gleichgesetzt wird.
Alles dreht sich um Liquidität
Im übrigen – dies für die Analytiker unter der Leserschaft - ist zur Quantitätsgleichung des Geldes zu bemerken, dass auch bei monetaristischer Argumentation Inflation durch übermässige Geldversorgung nur dann entsteht, wenn wir stabile Geldnachfragefunktionen (sprich: ein sich nicht veränderndes Cash- und Kontoverhalten) der Wirtschaftssubjekte unterstellen. Die letzten drei Jahre bieten aber genügend Evidenz, dass gerade dies nicht stimmt.
Mit der Finanzkrise, den gestiegenen Unsicherheiten, der gesunkenen Risikoneigung der Marktteilnehmer, den angehobenen Kapitalanforderungen an das Bankensystem etc. etc. ist offensichtlich geworden, dass das kürzlich explodierende Geldangebot der Zentralbanken nicht ein Inflationspotential geschaffen hat, sondern zu nichts anderem diente als zur Befriedigung einer ebenso dramatisch gestiegenen Liquiditätsnachfrage. Die Welt ist halt eine andere geworden.
Vielleicht ist sie das wirklich
Vielleicht ist heute alles anders als seinerzeit in den 70er Jahren. Und ich habe überhaupt kein Problem mit der zynischen Aussage, dass jede Generation das Recht hat, die gleichen Fehler wie ihre Väter zu machen. Deswegen schreibe ich diesen Aufsatz auch vor allem für die Väter unter uns. Sollten nämlich unsere Jungen tatsächlich noch einmal den gleichen Fehler machen wie wir damals in den Inflationsjahren vor 1980, dann sollten zumindest nicht wir wieder die Leidtragenden sein.
Und ich will auch keine Wette abschliessen darüber, wann und wie die nächste Inflation kommt und wie sie dann aussieht. Wichtig ist aber, dass Inflation unterschiedliche Gesichter hat. Eine der fieseren Formen ist schleichend.
Drei bis fünf Prozent p.a. Kaum merklich. Wirtschaftlich noch nicht wirklich ein Thema. Wen kümmert es schon, wenn das Gipfeli beim Bäcker an der Ecke heute einen Franken fünfzig und in einem Jahr 1.55 Franken kostet.
Die 72er Regel
Das Problem der schleichenden Inflation ist aber der Zinseszinseffekt; einer der am wenigsten verstandenen und am meisten vernachlässigten Effekte im Finanz- und Anlagedenken überhaupt. Und doch so wichtig. Eine schleichende Inflation von 4 Prozent p.a. – ein Wert, von dem wir in verschiedenen Ländern nicht weit weg sind -, reduziert den Wert eines realen Renteneinkommens oder eines realen Vermögens (d.h. das, was man letztlich mit dem Vermögen bzw. Einkommen kaufen kann) in 18 Jahren um 50 Prozent. Das ist die „Inflationsversion“ der sogenannten 72er Regel, die sich aus der Zinseszinsfunktion ableiten lässt: 72 geteilt durch die durchschnittliche Inflationsrate ergibt die Anzahl Jahre bis zur (realen) Halbierung eines nominellen Einkommens-, Geld- oder Vermögensbestandes.
Für die Generation der heute 25 Jährigen ist diese Aussicht weniger ein Problem. In 18 Jahren sind sie etwas über 40 und werden sich dann schon gegen den Kaufkraftschwund zu wehren wissen. Wer heute 60 ist, marschiert dann aber (wenn er noch kann) stramm auf die 80 zu. Das „Wehren“ wird dann etwas schwieriger. Vielleicht hat unser guter Rentner dann zumal jemanden, der ihm seine Rente jeweils an die Inflation anpasst. Wenn aber der heutige Lebensplan vorsieht, den oder einen Teil des Lebensunterhalts vom eigenen Vermögen zu bestreiten, dann ist es angebracht, früh genug dasselbige vermehrt in Anlagen zu investieren, die von der schleichenden Inflation (von allen anderen Formen von Inflation ganz zu schweigen) weniger angegriffen werden. Es liegt auf der Hand, dass sich hier vor allen Dingen reale Aktiva wie Immobilien und Aktien aufdrängen.
Inflationsabsicherungscharakter?
Andere Anlagekategorien haben es hier schwerer. Festverzinsliche Papiere beispielsweise werden durch eine sich beschleunigende Teuerung doppelt Schmerzen verursachen. Auf der einen Seite wird die Rückzahlung bei Verfall real weniger Wert sein, und auf der anderen Seite werden sich über die Laufzeit Kursverluste einstellen, die bei eventueller vorzeitiger Auflösung ärgerlich sind, weil die sich beschleunigende Inflation auch zu steigenden Nominalzinsen (und damit sinkenden Obligationenkursen) führen wird. Und auch Gold hat nach den kürzlichen Entmystifizierungen einen Teil seines möglichen Inflationsabsicherungscharakters (den es nach Meinung nicht weniger Analysten allerdings gar nie gehabt hat) verloren.
Geldanlage war und ist eine Langfristthematik. Dabei haben in den letzten 25 Jahren Inflationsüberlegungen eine untergeordnete Rolle gespielt. Es ist anzunehmen, dass dies in den kommenden 25 Jahren anders sein wird.