Von Andy Aguirre Eglin
Ein Trailer verführt an die Kinokasse und vor die Glotze, die Exposition lockt einen hinein in den Film: In beidem zählen die ersten Sekunden und Schnitte. Sie entscheiden über die Atmosphäre, die eigene Filmschrift eines Regisseurs.
Oft bleiben erste Versprechen auf der Strecke – Energie verpufft, Verdichtung erweist sich als Bluff. Dann reichte es nur zum Flirt, zum Vorspiel, von plumper Anmache nicht zu schweigen. Dann fehlt noch die Substanz, der lange Atem zur Liebe. Denn darum geht es letztlich in jeder Kunst, ohne sie fehlt ihr die Poesie.
Gemeint sind die Dramen und Komödien aus der nahen und weiten Welt, die jeden August wieder in brütender Hitze in der Tessiner Provinz zu Gast sind. Dabei mischen sich Film und Bühne, Darsteller und Selbstdarsteller im ewigen Rollenspiel wie flüchtiges Tourneetheater.
Die Kleinstadt wird zur Grossbühne. Eine temporäre Invasion von Zuschauern, die ihr Interesse am Film auch mimen, bevölkert die Lounges zwischen dem Palazzo Fevi und der Piazza, eilt von Sala zu Sala, mit kurzen Zwischenhalten in Bars. Sie geben sich Bedeutung und suchen nach Deutung auch manch rätselhafter Filme.
Dschungel des Angebots
Während sich die Medien auf zu früh abgesagte Altmeister und voreilig angesagte Jungmeister stürzen, erfindet die Festivalleitung mithilfe der Sponsoren zum Entkorken eines bestimmten Champagners stets wieder neue „Ehrenleoparden“. Um filmische Prominenz, meist ältere Jahrgänge, aber wie gute Weine, ins Scheinwerferlicht zu gewinnen vor Europas grösster Leinwand im Freien zwischen barocken Häuserzeilen.
Dabei faszinieren weniger die inszenierten Momente, die feierlich aufgesetzten Gesichter, die absehbaren Reden und kulturpolitischen Rituale, Hofknickse und das gegenseitige Schulterklopfen, als die Verwandlung – auch des eigenen Alltags in den Ausnahmezustand Film, selbst wenn dieser nur von Banalem handelt, als wäre man darin die Heldin oder der Held.
So zählt nicht nur die Auftakelung des schon 65. Internationalen Filmfestivals von Locarno zur Merchandising von Leopardenfellmuster bis unter Putzlappen. Es ist der grossflächige, staatlich geförderte Drogenversuch durch das Medium Film mit dem Ergebnis seltener Glücksmomente, die haften bleiben. Dabei gilt jedes Jahr wieder, wer sucht, der findet kaum. Wer sich hingegen auch intuitiv treiben lässt durch den Jungle des Angebots (dieses Jahr sind es 300 Filme aus 50 Ländern), wer kurzen Schlaf und frühes Aufstehen nicht scheut, wird fündig, wo auch die Kinosäle noch gähnen. – Vorhang auf zum Filmabenteuer Locarno!