Letztes Wochenende waren – rund 35 Jahre nach der Gründung des Kantons Jura – die Stimmberechtigten dieses Kantons und der drei Südjurassischen Bezirke des Kantons Bern aufgerufen, darüber abzustimmen, ob sie gemeinsam einen neuen Kanton Jura gründen wollten.
Das Resultat war eindeutig: Der Kanton Jura stimmte mit 77 Prozent ja, der Berner Jura verwarf mit 72 Prozent. Die Meinungsbekundung fiel in beiden Teilen sehr homogen aus. Nur Moutier, das mit 55 Prozent annahm, und seine kleine Nachbargemeinde Belprahon, wo es es zu einem Patt kam, wichen vom klaren Nein des Südjuras ab. Das Projekt eines neuen Kantons ist so – demokratisch abgestützt – vom Tisch, denn es hätte in beiden Regionen ein Ja gebraucht.
Die Vereinbarung zwischen den Kantonen Bern und Jura sieht nun vor, dass die bernjurassischen Gemeinden innerhalb von zwei Jahren dem Regierungsrat den Wechsel zum Kanton Jura beantragen können, worauf eine grössere Prozedur in Gang gesetzt wird. Es ist damit zu rechnen, dass Moutier einen solchen Wechsel verlangen wird. Im Jahr 2015 – also genau zweihundert Jahre nach der autoritären Zuteilung des Juras zum Kanton Bern – könnte die Jurafrage also nochmals etwas Staub aufwirbeln.
Die Wurzeln des Jurakonfliktes
Die Wurzeln des Jurakonfliktes liegen in der Zeit des Wiener Kongresses, der 1815 den Kanton Bern mit grossen Teilen des ehemaligen Fürstbistums Basel für die verlorenen Untertanen-Gebiete Aargau und Waadt entschädigte. Die Berner monierten, sie hätten für den Aargauer Kornspeicher und den Waadtländer Weinkeller einen jurassischen Holzschopf bekommen.
Der Jura war schon zu dieser Zeit nicht mehr homogen. In der Reformation war der südliche Teil, der schon vorher mit dem (reformierten) Biel eng verbunden war, reformiert geworden, der nördliche Teil blieb dagegen katholisch. Als katholische und französischsprachige Region war der Nordjura im Kanton Bern also gleich zweifach in der Minderheit.
Für Bern blieb der Jura lange ein Nebenland, dessen Bevölkerung sich bestenfalls nicht vollgenommen fühlte. In den 1870er Jahren, als zwischen dem radikalliberalen Staat und der katholischen Kirche der Kulturkampf ausbrach, war der katholische Nordjura ein permanenter Unruheherd. Das reformierte Bern griff mit aller Härte durch, setzte unliebsame Pfarrer ab und vertrieb sie. Bern schickte auch Truppen in nordjurassisches Gebiet. Das sind Erinnerungen, die sich ins kollektive jurassische Unterbewusste eingeschrieben haben. Die separatistische Bewegung war denn auch im katholischen Norden besonders stark.
Bern reagiert spät und überheblich
Dem Kanton Bern war es nicht gelungen, den katholischen, französischsprachigen und wirtschaftlich peripheren Nordjura zu integrieren. So geisterte denn die Idee einer Abspaltung von Bern bereits nach dem Ersten Weltkrieg durch den Jura. Nach dem Zweiten Weltkrieg gärte es erneut, wobei die Jurassier den Berner Behörden namentlich vorwarfen, den französischen Teil wirtschaftlich zu vernachlässigen. Die Spannungen stiegen an und die Auseinandersetzungen wurden heftiger. Bern reagierte spät. In den 1970er Jahren kam es zu einer Kaskade von Volksabstimmungen. Es wurden Regionen, Bezirke und Gemeinden befragt, wobei es die Berner Regierung allerdings nicht lassen konnte, auf unstatthafte Weise zu versuchen, im Abstimmungskampf mit schwarzen Kassen Einfluss zu nehmen.
In der entscheidenden Volksabstimmung von 1974 sagten die nördlichen Bezirke schliesslich zum Kanton Jura deutlich ja, die südlichen Bezirke lehnten ebenso klar ab (wie übrigens auch das Laufental). 1979 wurde der Kanton Jura, bestehend aus den drei nördlichen Bezirken, zum 26. Kanton der Schweiz. Damit war das Jura-Problem zwar nicht endgültig gelöst, die Situation beruhigte sich jedoch merklich.
Der konfessionelle Graben verschwindet
Rund 35 Jahre später kam wieder Bewegung in die Jurafrage, welche in den Vorschlag einer Volksabstimmung vom vergangenen Wochenende mündete. Die gesellschaftspolitische Situation lässt sich aber keineswegs mehr mit jener der früheren Jahrzehnte vergleichen. Im Zuge der Säkularisierung und der Ausbreitung der Massenmedien hat sich das katholische Milieu aufgelöst und der konfessionelle Graben, der die Schweiz über Jahrhunderte hinweg tief spaltete, ist verschwunden. Auch die CVP ist nicht mehr, wie ihre Vorgängerin, eine katholisch-konservative Partei. Sie versucht sich seit Längerem, als Wertepartei in der bürgerlichen Mitte zu positionieren.
Eine neue Politikergeneration am Werk
Es ist mittlerweile aber auch eine neue Politikergeneration am Ruder, welche in anderen politischen Kategorien denkt und handelt als ihre Vorgänger. Als vergangenes Jahr die jurassische Regierungspräsidentin Elisabeth Baume-Schneider und der Berner Regierungspräsident Bernhard Pulver den Vorschlag für die Volksabstimmung betreffend einen neuen Kanton Jura präsentierten, war nichts mehr zu spüren vom früheren Hass der Separatisten auf Bern und auf alles Deutschsprachige bzw. von der Arroganz der Gnädigen Herren von Bern.
Die Moutier-Frage
Die Volksabstimmung vom November 2013 hat die alte Trennung zwischen Nord- und Südjura bestätigt. Die hohe Stimmbeteiligung von 64 Prozent (Kanton Jura) bzw. 72 Prozent (Berner Jura) verweist auf ein grosses Interesse der Stimmberechtigten und gibt diesem Entscheid eine grosse Legitimität. Gemäss der Vereinbarung zwischen den Kantonen Bern und Jura dürfte wohl Moutier dem Regierungsrat den Wechsel zum Kanton Jura beantragen. Diese kluge Regelung dürfte dazu beitragen, dass die Separatisten in Moutier ihre Niederlage betreffend einen neuen Kanton Jura akzeptieren und sich nun auf die Gemeindelösung konzentrieren werden. Dies verlängert jedoch die Zeit der Diskussionen.
Moutier nimmt im Südjura eine Sonderstellung ein. Es wählt mehrheitlich separatistisch und hat seit bald zwanzig Jahren mit Maxime Zuber einen autonomistischen Sozialisten als Stadtpräsidenten. Bei der erwarteten Gemeindelösung dürfte sich noch das eine oder andere Problem stellen, angefangen von der Frage, wie Moutier abstimmen wird – nun im Wissen darum, dass es keinen neuen Kanton Jura gibt –, bis hin zu den verschiedenen prozeduralen Hürden, die noch zu nehmen sind. Die Auseinandersetzungen aber dürften nicht mehr die Intensität der früheren Jahre erreichen.
Die Jurafrage dürfte sich aber auch damit nicht ein für alle Mal lösen lassen. Vielleicht wird in einigen Jahrzehnten eine neue Politikergeneration eine neue Auslegeordnung betreffend den Staatsaufbau machen und vielleicht Vorschläge präsentieren, die mehrere Kantone betreffen. In der Zwischenzeit aber hängt vieles davon ab, wie sich die französischsprachige Minderheit im Kanton Bern entfalten kann.