Am 1. Juli hatten die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) erklärt, sie wollten ihre Offensive gegen die Hafenstadt Hodeida unterbrechen und eine Pause einlegen. Dies, um den Verhandlungen des Abgesandten der Uno für Jemen, Martin Griffith, Gelegenheit zu geben, „über die Auslieferung der Hafenstadt“ an die Pro-Hadi-Kräfte eine Einigung zu erzielen. (Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi wird von Saudi-Arabien und den Emiraten unterstützt, wurde aber von den Huthis vertrieben und lebt vorwiegend in Saudi-Arabien.)
Martin Griffith hatte in der Tat begonnen, mit beiden Parteien des Bürgerkriegs zu verhandeln. Allerdings ging es ihm nicht darum, den Abzug der Huthis aus Hodeida zu erwirken und damit den Pro-Hadi-Kräften einen entscheidenden Erfolg zu verschaffen. Der Hafen von Hodeida ist für das ganze Land überlebenswichtig. Griffith suchte deshalb einen Kompromiss zwischen beiden Seiten, der es erlauben würde, den Hafen offen und funktionsfähig zu erhalten.
Unter Kontrolle der Uno?
Griffith schlug offenbar vor, dass die Uno die Verantwortung für das Hafengelände übernehmen soll. Die Vereinten Nationen sollten auch sicherstellen, dass keinerlei Waffen mehr für die Huthis über Hodeida eingeschleust werden.
Saudi-Arabien und dessen Verbündete, darunter die VAE und die Pro-Hadi-Regierung, werfen den Huthis vor, sie schleusten Waffen aus Iran über Hodeida ins Land. Die Huthis sollen dem Vernehmen nach dem Plan des Vermittlers zugestimmt haben. Jedoch unter der Bedingung, dass sie weiterhin die Stadt Hodeida und ihre rund 400’000 Bewohner beherrschten. Weitere 200’000 Menschen leben in der weiteren Umgebung der Hafenstadt. Die VAE forderten jedoch, die Huthis müssten aus Hodeida abziehen.
Wenig Anzeichen für einen Durchbruch
Es sieht nicht so aus, als ob Griffith in der Zwischenzeit die verschiedenen Standpunkte unter einen Hut hätte bringen können. Er fliegt immer noch zwischen der Hauptstadt Sanaa, wo er mit den Huthis verhandelt, und der saudischen Hauptstadt Riad hin und her. In Riad sind sowohl die Pro-Hadi-Regierung und ihr Präsident wie auch die saudischen Behörden und jene der VAE seine Gesprächspartner.
Je länger die Verhandlungen dauern, desto unwahrscheinlicher wird, dass sich der vorgeschlagene Kompromiss verwirklichen lässt. Die Militärs und die zivile Führung der Vereinigten Emirate erklären, nicht ganz ohne Grund, die Huthis wollten mit den Verhandlungen bloss Zeit gewinnen. In Wirklichkeit gehe es ihnen darum, mehr Mannschaften in die Hafenstadt zu bringen, um dort ihre Position, inmitten der Zivilbevölkerung, weiter auszubauen. Die Emirate drohen damit, ihre unterbrochene militärische Offensive neu zu starten – mit dem Ziel, Hodeida ganz zu erobern.
Die Emirate wollen keinen Kompromiss
Die Kämpfe um Hodeida haben nie ganz aufgehört. Die erklärte „Pause“ bedeutete nur, dass keine Grossoffensive durchgeführt wurde. Auch die Bombardierungen der Stadt durch die Saudis und ihre Verbündeten gehen weiter. Die Huthis sollen dem Vernehmen nach grosse Teile der Frontgebiete vermint haben. Dies führte dazu, dass auch während der „Pause“ viele Menschen getötet oder verletzt wurden.
Der tiefere Grund dafür, dass der erhoffte Kompromiss bisher nicht zustande gekommen ist, liegt darin, dass die Emirate diesen Kompromiss gar nicht wollen. Was sie wollen, ist die Eroberung der Hafenstadt, um den Huthis einen kriegsentscheidenden Schlag zu versetzen. Mit der Eroberung Hodeidas würden die Huthis von Treibstoff und Nahrungsmitteln abgeschnitten.
Nach wie vor befinden sich die grössten Teile der dicht bevölkerten Gebiete Jemens in den Händen der Huthis. Eine Eroberung Hodeidas würde diese Gebiete aushungern und den Emiraten „einen Sieg durch Hunger“ bringen. Würde aber die Uno den Hafen übernehmen, würde die Einfuhr von Treibstoff und Lebensmitteln fortbestehen und garantiert. Das wäre das Gegenteil dessen, was die Emirate wollen: ein Aushungern der Huthi-Gebiete mit ihren rund 15 Millionen Menschen.
Wie Mosul, wie Raqqa
Militärisch gesehen dürfte sich eine erneute Offensive der Emirate, der Saudis und der Pro-Hadi-Kräfte ähnlich entwickeln, wie sich die Eroberung der beiden Hauptstädte des IS, das irakische Mosul und das syrische Raqqa, abspielte. Diese beiden Städte wurden fast vollständig zerstört, Raqqa noch schlimmer als Mosul.
Der Grund war, dass sich die IS-Kämpfer in den Städten verschanzt hatten und von den Dächern und Schächten aus Widerstand leisteten. Dies dürfte auch in Hodeida geschehen. Wie in Mosul und Raqqa besitzen die Angreifer auch in Hodeida die Lufthoheit. Doch die Bombardements führen dazu, dass viele Wohnhäuser zerstört werden. Opfer sind dann nicht nur Zivilisten, sondern oft auch die Truppen der Angreifer.
Die gegenwärtigen eher statischen Kämpfe und die erwartete neue Offensive haben dazu geführt, dass viele Stadtbewohner geflohen sind – zumindest jene, die es vermochten. Die Uno geht von 120’000 Flüchtlingen aus. Wer nicht über die Mittel verfügt, um seine Wohnung zu verlassen, oder wer noch soweit entfernt von den Kampfesfronten lebt, dass er sich nicht gefährdet fühlt, ist vorläufig verblieben. Doch die Kämpfe könnten bald näher kommen, und das Risiko besteht, dass die Huthis viele Bewohner als Geiseln oder Schutzschilder missbrauchen – so wie dies in Mosul und Raqqa geschah.
Das Motorrad verkauft
Wie eine Flucht aussehen kann, schildert ein Bericht der in London publizierten Website „Middle East Eye“. Er handelt von einem Bewohner von Hodeida, der ein Motorrad besass und als Bote sein Geld verdiente – etwa 120 Dollar im Monat. Das genügte ihm, um sich und seine Familie zu ernähren. Doch die näher rückenden Kämpfe und die Bomben, die unweit seiner Behausung niedergingen, zwangen ihn und seine Familie zur Flucht.
Er sah sich gezwungen, sein Motorrad zu verkaufen. Mit dem Geld bezahlte er die Flucht in einem Autobus Richtung Ibb. Die Stadt liegt auf dem Hochplateau im Innern Jemens und wird von den Huthis beherrscht. Die Flüchtlinge aus Hodeida wurden dort in ein improvisiertes Lager gesteckt, wo sich keiner um sie kümmerte. Bezahlte Arbeit war nicht zu finden. Nach zwei Wochen ging der geflüchteten Familie das letzte Geld aus. Der Mann sah sich gezwungen, sich zusammen mit andern Leidensgenossen als Kämpfer anwerben zu lassen.
Tausend Dollar für einen Kämpfer
Laut dem Bericht, wollen die Pro-Saudi-Kräfte die angeworbenen Kämpfer an der gefährlichen Front vor Hodeida einsetzen. Dafür versprechen sie ihnen tausend Dollar im Monat – für einen einfachen Jemeniten eine phantastische Summe. Für Einsätze an weniger gefährlichen Fronten gibt es weniger Geld, manchmal nur 70 Dollar pro Monat. Soviel verdient ein normaler Arbeiter. Abgerechnet wird in Saudi-Rials oder in Dollar, weil der jemenitische Rial, der von den Huthis verwendet wird, ständig abgewertet wird. Um den Krieg zu finanzieren, drucken die Huthis Geld in Mengen, was die Inflation antreibt.
Der Flüchtling, der einst ein Motorrad besass, sah sich gezwungen, sich für vier Monate als Kämpfer auf Seiten der Pro-Hadi-Truppen unter Führung der Emirate zu verdingen. Er verpflichtete sich, für „die Befreiung seiner Heimatstadt zu kämpfen“. Mit dem erhaltenen Geld hoffte er, eine Wohnung in der Gegend von Aden zu finden, um seine Familie unterzubringen. Er berichtete, er habe keinerlei militärische Ausbildung erhalten, doch er verstehe, wie fast alle Jemeniten, mit den Waffen umzugehen. Den Rest des Kriegshandwerkes müsse er jetzt in der Praxis erlernen.
Söldner aus Not
Doch die Huthis erfuhren von seinen Plänen und verboten ihm und seinen Gefährten, Ibb zu verlassen. So sah er sich gezwungen, Schmuggler zu bezahlen, die ihn und seine künftigen Mitstreiter über die Berge ins Hoheitsgebiet der Pro-Hadi-Kämpfer brachten. Die Reise mit den Schmugglern dauerte mehr als 50 Stunden und kostete 60 Dollar.
Anfang Juni gaben die Behörden der Vereinigten Emirate bekannt, 7’000 neue Rekruten hätten sich ihren Kräften angeschlossen, um ihre Heimatstadt Hodeida von den Huthis zu befreien. Man kann sich allerdings fragen, wie viele unter ihnen bereit sind, entschlossen gegen die Huthis zu kämpfen und ihr Leben zu riskieren.