Vor 150 Jahren, am 18. März 1861, wird Vittorio Emanuele II. zum König von Italien proklamiert. Das ist die Geburtsstunde Italiens.
Das heutige Italien wird den runden Geburtstag teils mit Pomp feiern – teils abwesend sein. Die starke Lega Nord, die gegen ein vereintes Italien ist, wird an den Feierlichkeiten nicht teilnehmen. Das löst im Land einen riesigen Wirbel aus.
Seltsam mutet an, dass ausgerechnet im Jahr, in dem die Einheit Italiens gefeiert wird, das Land wieder auseinanderdriftet. Das neue Föderalismusgesetzt, das die Lega durchpaukt, gibt den einzelnen Regionen wieder starke Befugnisse.
Das Italien, das vor 150 Jahren entstand, war noch nicht das Italien von heute. Es dauerte noch sechs Jahre bis sich auch Venetien dem neuen Königreich anschloss. Und erst 1870 wird der Kirchenstaat unter Papst Pius IX. italienisch.
Zur 150 Jahr-Feier werden in Italien zahlreiche Bücher publiziert, Filme gezeigt, Ausstellungen und Seminarien organisiert.
Die Italiener gehen mit dem Jahrestag sehr pragmatisch und kritisch um. Chauvinistische Lobhudeleien fehlen fast ganz. Immer wieder fragen sich Intellektuelle: Gibt es Italien heute überhaupt?
Der Proklamation des Königreichs Italien am 18. März 1861 ging ein jahrzehntelanger blutiger Krieg voraus: das sogenannte Risorgimento.
Hier Daten und Fakten zur Vereinigung Italiens:
Jahrhundertelang war die Halbinsel in kleine Staaten und Herzogtümer aufgesplittert. Im Norden herrschen zum Teil die Habsburger, in Zentralitalien der Papst und in Süditalien die Bourbonen.
Das Risorgimento beginnt eigentlich kurz nach der Französischen Revolution 1789. Die Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit werden auf die Halbinsel getragen.
Napoleon verordnet der Halbinsel eine lose Einheit unter seiner Dominanz. Der Wiener Kongress 1815, bringt die früheren Adligen und Feudalherren wieder an die Macht. Italien zerfällt wieder. Erneut herrschen die Habsburger, der Papst und die Bourbonen.
Die Ursprünge der Freiheitsbewegung liegen im Süden. Dort entstehen Geheimbünde, deren Ziel ein freies italienisches Italien ist. In Kalabrien wird der Geheimbund der „Carbonari“ (Kohlenarbeiter) gegründet. Sein Ziel ist das Ende der Feudalherrschaft, die Befreiung der Halbinsel von fremden Herren.
Die Österreicher schlagen die Aufstände der Carbonari nieder. Viele Intellektuelle und Dichter schliessen sich den Carbonari an. Zu ihnen gehört Alessandro Manzoni. Sein Drama „Die Verlobten“, „I promessi sposi“, gehört noch heute zum Pflichtstoff jeder italienischen Schule. Das heute noch spannende Drama löst riesige Emotionen aus und trägt wesentlich zur Einigung Italiens bei.
1831 gründet Giuseppe Mazzini einen neuen Geheimbund „La Giovine Italia“ (Junges Italien). Der Bund fordert einen geeinten Nationalstaat mit Parlament und Regierung. Dieser Bewegung tritt kurz darauf jener Mann bei, der heute noch als Held aller Helden verehrt wird. Giuseppe Garibaldi, eine der herausragendsten Figuren des 19. Jahrhunderts, trägt wesentlich zur Einheit Italiens bei.
In der Mailänder Scala findet 1842 die Uraufführung von Giuseppe Verdis Oper Nabucco statt. Der Freiheitschor mit den Worten „Va pensiero, sull’ali dorate“ (Fliege Gedanke, auf goldenen Flügeln“) gehört schnell zu den Hits jener Zeit; alle verstehen den Text als Absage an Fremd- und Feudalherrschaft.
Jetzt tritt Napoleon III. auf. Er mag die Habsburger nicht. Auch er will sie aus Norditalien vertreiben. Gemeinsam kämpfen Piemontesen, Freiheitskämpfer aus ganz Italien und vor allem 200 000 französische Soldaten gegen die Österreicher. Wien verliert die Lombardei, darf aber vorerst Venetien behalten.
Im April 1860 verlädt Garibaldi tausend seiner Rothemden auf zwei Schiffe in Genua und fährt nach Marsala in Sizilien. Dort steht er aufständischen Bauern bei. Dieser „Zug der Tausend“ (Spedizione dei Mille) geht in die Geschichtsbücher ein. Viele Strassen in Italien heissen Via dei Mille. Die Bourbonen werden verjagt und diesmal endgültig.
Stärkste Kraft in Italien ist das Königreich Piemont-Sardinien, das vom Haus Savoyen regiert wird. Das Haus Savoyen besitzt neben dem Piemont, Sardinien, Nizza, dem Aosta-Tal auch die beiden heutigen französischen Departement Savoyen und Hochsavoyen. Hauptstadt ist Turin. König ist Vittorio Emanuele II. Ministerpräsident ist Graf Benso di Cavour.
Das Königreich: 11. Oktober 1860: Das Turiner Parlament (Parlament des Königreichs Piemont-Sardinien) beschliesst die Vereinigung Italiens. Das Königreich Piemont-Sardinien vereinigt sich mit Mittel- und Süditalien zum „Königreich Italien“.
Volksabstimmung. 21. Oktober 1860: Volksabstimmungen in Mittel- und Süditalien. 75 bis 79 Prozent sprechen sich für „ein einiges und unabhängiges Italien mit Vittorio Emanuele II. als konstitutionellem König“ aus. Nur ein Viertel der Einwohner darf wählen.
Umbrien, Marken. 4. November 1860: Die Stimmberechtigten von Umbrien und der Marken sprechen sich für den Beitritt zum Königreich Italien aus.
Parlamentsauflösung. 17. Dezember 1860: Das Turiner Parlament wird aufgelöst.
Erste Wahlen. 27. Januar 1861: Im Königreich Italien finden Parlamentswahlen für ein nationales italienisches Parlament statt. Nur knapp zwei Prozent der Bevölkerung dürfen wählen. Die Partei Cavours erobert 350 der 443 Sitze.
Königreich Italien. 17. März 1861: Vittorio Emanuele II. wird zum König von Italien proklamiert.
Viva il Re. In der ersten Nationalhymne, dem Marcia Reale heisst es: "Schöne Söhne Italiens, ruft: Es lebe der König" (Bei figli d'Italia gridate: evviva il Re)
Abzug der Habsburger. 1866: Venetien wird italienisch. Die Habsburger ziehen ab.
Niederlage des Papstes. 1870: Der Kirchenstaat unter Papst Pius IX. wird italienisch. Dem Papst bleiben der Vatikan, der Lateran und Castel Gandolfo.
Neue Hauptstadt. 26. Januar 1871: Rom wird Hauptstadt Italiens.
Republik. 1946: Italien wird Republik. Der König verlässt das Land.
(hh)