1) Der Autor war von 1990 bis 1999 Kuba-Korrespondent, unter anderem für die NZZ, mit Wohnsitz Havanna. Er besucht die Insel bis heute regelmässig.
Die ganze Karibik, Mexiko, Zentralamerika, Florida und die Südküste der USA sind jedes Jahr von Wirbelstürmen bedroht. Sie richten schwere Schäden an und fordern viele Menschenleben. Auf Haiti sterben regelmässig Hunderte, in den USA auch. Kuba verzeichnet 35 Tote. In allen 16 Wirbelstürmen, die die Insel seit 2001 heimsuchten. Alleine durch Hurrikan Katrina, der 2005 zur Katastrophe in New Orleans führte, kamen in den USA 1800 Menschen ums Leben. Auf Kuba Null. Das kann nicht alleine mit der geringeren Bevölkerungsdichte auf der karibischen Insel erklärt werden.
Propagandatriumph
Unvergessen ist das Angebot Kubas, als sich 2005 in New Orleans unvorstellbare Szenen abspielten, während Katrina auf eine weitgehend unvorbereitete Stadt traf. Fidel Castro höchstpersönlich bot den USA an, dass ein in Havanna bereitstehendes Flugzeug, mit mehr als 200 für solche Katastrophen ausgebildeten Ärzten und entsprechenden Medikamenten und Ausrüstung an Bord, sofort abheben könne. Gratis, als humanitäre Geste, ohne die Erwartung einer Gegenleistung. Weitere 1400 Ärzte stünden auf Abruf zur Verfügung. Für fast zwei Tage verschlug es den USA die Sprache, bis sie ein Nein stammelten und in New Orleans weitgehend versagten, was in der Absetzung des Direktors des US-Katastrophenschutzes endete. Aber hinter diesem Propagandatriumph steht tatsächlich eine beispielhafte Organisation der Vorbereitung auf solche Naturkatastrophen in Kuba.
Vorbereitung ist alles
Nicht nur ich selbst, auch andere ausländische Beobachter haben diverse Wirbelstürme in Kuba erlebt (und natürlich überlebt). Wir konnten die durchdachte, lernfähige und effiziente Arbeit des Zivilschutzes beobachten, der die richtigen Vorbereitungsmassnahmen trifft. Das fängt bei Abschalten von Strom und Gasnetzen an, umfasst die Evakuierung besonders gefährdeter Zonen und Gebäude, die Bereitstellung von sicheren Unterkünften in Reichweite von potenziell Betroffenen, das rechtzeitige Schliessen von Schulen oder Fabriken und natürlich eine umfassende Information der Bevölkerung auf allen Kanälen, wenn es sein muss 24 Stunden am Tag.
Lernfähigkeit ist mehr
Als der Wirbelsturm Dennis (ebenfalls im Jahr 2005) die für kubanische Verhältnisse erschreckende Zahl von 17 Toten forderte, wurde jeder einzelne Fall in den Parteimedien ausführlich analysiert. Dabei wurde festgestellt, dass die Hauptursache nicht nur darin lag, dass eine normalerweise von Wirbelstürmen nicht häufig betroffene Gegend diesmal im Zentrum des Hurrikans lag. Sondern dass in erster Linie die Unterschätzung der Gefahr Leben kostete. Denn im Gegensatz zum Bild des Polizeistaats kann sich ein Kubaner weigern, sein Haus oder seine Hütte zu verlassen, auch wenn er dringlich dazu aufgefordert wird. Also wurden die Anstrengungen deutlich verstärkt, das Bewusstsein für die Fahrlässigkeit dieses Verhaltens zu schärfen. Dass es beispielsweise keine gute Idee ist, mitten im Sturm noch schnell die geliebte Antenne vom Dach zu holen, was für mehrere Todesfälle verantwortlich war.
Spezielles Training ist noch mehr
Wenn Pakistan von einem Erbeben heimgesucht wird, wenn irgendwo auf der Welt eine Naturkatastrophe passiert, sei es weit von Kuba entfernt oder so nah wie Haiti, dann sieht der aufmerksame TV-Zuschauer eigentlich immer US-Ärzte, die als erste vor Ort sind. Neben kubanischen Ärzten. Die werden exportiert, wie nach Venezuela, um für harte Devisen die Staatskasse aufzufüllen. Aber sie werden eben auch gratis, franko und sofort in Katastrophengebiete entsandt. Das ist kein Propagandamärchen, sondern eine beeindruckende humanitäre Geste der nun wirklich nicht im Geld schwimmenden Insel. Zudem ist Kuba weltweit führend in Notfallmedizin unter erschwerten Bedingungen. Ohne funktionierende Infrastruktur, moderne Apparate, ohne alle Segnungen der High-tech-Medizin.
Es geht noch schöner
Jedes Jahr bildet Kuba einige tausend Medizinstudenten aus der Dritten Welt aus, vor allem aus Afrika und Lateinamerika. In ihrem Heimatland werden die begabtesten Kandidaten ausgewählt, Kuba übernimmt den Rest. Transportkosten, Aufenthalt und Studium. Anschliessend kehren die Ärzte wieder in ihr Heimatland zurück. Natürlich stehen dahinter auch propagandistische und politische Motive. Aber vor der Tatsache, dass damit still und leise weltweit Tausende von Menschenleben gerettet werden, verblassen solche Kritiken. Denn nirgendwo auf der Welt ist die Realität so komplex, widersprüchlich und sich jeglicher Schablone entziehend wie auf Kuba.