Zu Beginn des Jahres 2008 begann in den USA das Ritual der Primaries. Die beiden grossen Parteien liessen ihre Präsidentschaftskandidaten testen. Auf republikanischer Seite kandidierten Mitt Romney, John McCain, Mike Huckabee, Fred Thomson, Rudy Giuliani – und ein gewisser Ron Paul.
Dieser Ron Paul war ein Aussenseiter, von niemandem ernst genommen. Er erzielte in den verschiedenen Bundesstaaten zwischen einem und sechs Prozentpunkte. Einzig in Nevada schwang er einmal mit 14 Prozent obenauf. Doch ein ernsthafter Kandidat für eine Nomination war er nie. Das sahen auch die amerikanischen Fernsehstationen so. Er wurde nie oder selten in Talk Shows eingeladen. Nicht einmal seine schlechten Resultate wurden gemeldet.
Unbequemer Republikaner
Die europäischen Medien taten, was klug war: Sie vergassen ihn. Das Interesse konzentrierte sich auf McCain, der das Rennen dann schaffte – sowie auf die Aufsteiger Romney und Huckabee. Doch auch die Republikanische Partei war nicht unglücklich, dass die Medien Ron Paul vergassen, denn er war ein sehr unbequemer Republikaner, einer der ständig gegen den Strom schwamm.
Doch Ron Paul verfügte über eine kleine aktive Anhängerschaft. Und er hatte Geld. An einem einzigen Tag sammelte er über vier Millionen Dollar Spendengelder. Auch im Ausland verfügte Ron Paul über eine gut geölte Propaganda-Maschine. Das erfuhr auch die Tagesschau. Monatelang prasselten Protest-Mails auf die Redaktion nieder.
Diese Mails wurden auf der Redaktion zum running gag. „Hat Ron Paul schon geschrieben?“ fragten Redaktorinnen und Redaktoren am Morgen. Antwort: „Ja, er hat“. So ging das Wochen und Wochen. Natürlich war es nicht Ron Paul, der selber schrieb, sondern es waren unter anderem die „Swiss Friends of Ron Paul“. Sie publizierten eine gut gemachte Homepage und riefen die Leute auf, bei der Tagesschau zu protestieren. Sie gaben gleich die Adresse der Tagesschau an, so mussten die User diese nur anklicken. Viele, viele taten das.
Wer ist dieser Ron Paul? Wir fragten einmal unseren Amerika-Korrespondenten. Antwort: „Vergesst ihn, kein Mensch kennt ihn hier“. Jetzt kennt man ihn – und vor allem auch seinen Sohn.
Ron Paul wurde 1935 in Pennsylvania geboren. Er ist Arzt und Mitglied des Repräsentantenhauses. Schon 1988 kandidierte er für die Präsidentschaft, damals für die Libertarian Party. Er erhielt 0,47 Prozent der Stimmen.
Bankrotte Banken sind heilsam
Während des Wahlkampfs im ersten Halbjahr 2008 waren Schriften aufgetaucht, in denen ein gewisser Ron Paul rassistische und homosexuellenfeindliche Ideen präsentierte. Auch viel Verschwörungstheorie war dabei. Ron Paul sagte, er habe diese Schriften nicht verfasst. Immer wieder hiess es auch, Ron Paul sei Freimauerer. Bestätigt hat er das nie.
Seine Ideologie ist eine ur-orthodox republikanische. Jeder Bürger und jede Bürgerin ist verantwortlich für sich selbst. Der Staat soll sich nicht einmischen. Die persönlichen Freiheiten stehen über allem. Die meisten Sozialwerke seien überflüssig, so die staatliche Krankenversicherung und die staatlichen Schulen. Er plädiert für eine Selbstreinigung der Wirtschaft. Die Rettung von Banken geht ihm gegen den Strich. Bankrotte Banken seien etwas Heilsames. Die amerikanische Verfassung ist das A und O. Nur was ausdrücklich in der Verfassung steht, soll geregelt werden. Die Regierung in Washington – welche Regierung auch immer – sei vom Teufel. Das Parlament, dem er angehört, sei eine Schwatzbude.
Ron Paul huldigte zunächst Ronald Reagan, dann kritisierte er vehement seine Finanzpolitik. Reagan mache zu viele Schulden, der Staat habe zu viele Aufgaben. Neben Reagan griff er auch seinen damaligen Vize George Bush, den Älteren, an. Vor allem die Schuldenpolitik der Regierungen war ihm ein Dorn im Auge. Er setzte sich auch dafür ein, dass der Dollar wieder mit Gold gedeckt würde.
Doch seine Ideologie kam nicht an, noch nicht. Seine Vorwahl-Ergebnisse waren miserabel. Im Sommer 2008 trat Paul zurück. Die französische Nachrichtenagentur AFP meldete damals: „Der republikanische Präsidentschaftsaspirant Ron Paul hat dem designierten Spitzenkandidaten John McCain offiziell das Feld überlassen. Der Kongressabgeordnete aus Texas verkündete am Donnerstagabend (Ortszeit) in einer Internetmitteilung seinen Verzicht auf die Nominierung.“
“Medienmanipulation wie in einer Diktatur
Und heute? Heute gilt Ron Paul als Vater der Tea Party. Heute jubeln Hunderttausende, vielleicht Millionen Amerikaner den Tea Party-Leuten zu: Leute, die Ron Pauls Ideen vertreten.
Gefördert in diesem Wahlkampf wurde die Tea Party von Fox News, dem populistischen, sehr rechtsstehenden Fernsehsender von Rupert Murdoch. Fox und seine Moderatoren peitschen dem Volk tagein, tagaus die Ideen ein, die Ron Paul vertritt. Doch etwas ist da seltsam.
Denn die Fox’sche Liebe zu Ron Paul ist neu. Während des Wahlkampfes vor zwei Jahren, als Ron Paul die gleichen Ideen wie heute vertrat, wurde er von Fox gehasst und gemieden. Und auch Ron Paul hasste Fox. Auf einer französischsprachigen Homepage nannte er Fox News „Faux News“ – falsche News.
Am 7. Januar 2008 hiess es auf der Homepage von Ron Paul: „Fox News – der Tod eines Nachrichtensenders. Falls Fox News überhaupt noch über einen Rest an Glaubwürdigkeit verfügt hat, so ging diese mit ihrer gestrigen Veranstaltung endgültig verloren. Fox News kann sich nur noch retten, indem sich der Sender offiziell in einen Comedy-Kanal verwandelt – das Personal muss dabei nicht ausgetauscht werden.“
Und am 12. Januar 2008 hiess es auf der Homepage von Ron Paul über Fox: „Medienmanipulation wie in einer Diktatur“.
Und jetzt: ein Herz und eine Seele. Vielleicht tut man Ron Paul zu viel der Ehre an, ihn als Vater der Tea Party zu bezeichnen. Die Ideen, die er hat, schlummern seit zweihundert Jahren in manchem republikanischen Herz.
2008, nach seinem Rückzug aus dem Rennen um die Präsidentschaftskandidatur kündigte er an, er wolle eine „Kampagne für die Freiheit“ starten. "The mission of the Campaign for Liberty is to promote and defend the great American principles of individual liberty, constitutional government, sound money, free markets, and a noninterventionist foreign policy, by means of educational and political activity."
Er sagte auch: „Wir haben viele spannenden Pläne, unsere Revolution voranzutreiben“. Er hatte damals wohl kaum an Sarah Palin gedacht.
Einen durchschlagenden Erfolg erzielte die Tea Party bei den jetzigen Zwischenwahlen nicht. Da und dort wurden ihre Hoffnungen zerstört. Dennoch hat sie wesentlichen Einfluss auf die Ergebnisse gehabt – und wird die Politik wohl weiterhin mitprägen.
Ron Paul ist zu alt, um noch einmal zu kandidieren. Seine Mission übernimmt jetzt sein Sohn, ein 47jähriger Augenarzt. Im Bundesstaat Kentucky eroberte Randal Howard „Rand“ Paul einen Sitz im Senat. Natürlich mit lauter Unterstützung der Tea Party.