Das Chanson-Genre ist berühmt dafür, populärmusikalisch das ewige Sein oder Nichtsein der Liebe auf den Punkt zu singen. In wenigen Minuten, melodisch eingängig, textlich poetisch. Und idealerweise auf eine ausdrucksstarke Interpretin oder einen Interpreten zugeschnitten. Was im Französischen oft funktioniert, passt ab und an auch im Deutschsprachigen, in Mundart. Den Beweis liefert die CD «Schangsongs 4» des international renommierten Musicalstars Florian Schneider (59), der in Eptingen (BL) lebt. Seit Jahren pflegt der Künstler mit Herzblut neben seinen Engagements in grossen Showproduktionen die Passion für die intimere Form, auch mit Live-Auftritten.
Springsteen, Waits mit Schneider-Würze
«Schangsons 4» ist eine schneidige, runde Sache mit 14 starken Nummern. Gestartet wird mit Songs von zwei solitären Granden der zeitgenössischen Rock-, Folk- und Bluesszene, Bruce Springsteen und Tom Waits. Eine gute Wahl. Doch wer denkt, der Florian Schneider wolle sich mit Hit-Coverversionen beim Publikum anbiedern, irrt. Der Interpret hat keine Gassenhauer ausgewählt, sondern Songperlen, denen etwas Programmatisches anhaftet, in denen sich die seelischen Befindlichkeiten spiegeln, die sich auch in der Schneiderschen Lebens- und Liebesphilosophie wiederfinden lassen.
Als Entrée ist «Tüüfel und Staub» zu hören – eine kratzige, düstere Adaption von «Devils and Dust», dem Titelsong von Springsteens Folk-Album von 2005 – mit Zeilen wie «Schwygen isch wien e chline Tod/Liege macht e Liebi hi/macht se kaputt und schlot se z tod/und füllt e Härz bis obehi/nur mit Tüüfel und Staub.» Da wird schon mal zünftig der Tarif durchgegeben in Sachen Herzenskatastrophen.
Weiter geht es mit Tom Waits und «I’ll be Gone» vom magistralen Album «Frank’s Wild Years» (1987). Bei Florian Schneider heisst der Song «Und morn de Morge bin i furt». Er befasst sich mit einem bittersüssen Abschied: «Muesch mi la gaa, dasmal hebed dini Träne mi nümm/Nur no ne Nacht versteck mi/Ei Nacht, ei Nacht no schmeck mi/No früeh am sächsi weck mi/Und morn de Morge bin i furt.»
Auf den Leib, ins Gemüt, ans Herz geschrieben
Auf «Schangsongs 4» dreht sich (fast) alles um Seelenmartern in allen Härtegraden. Bald schwant einem, dass sich der Interpret und versierte Textautor etliche Verse auf den Leib, ins Gemüt, ans Herz geschrieben haben muss. Man glaubt ihm nämlich, was er singt. Woran die Exzellenz von Florian Schneiders Begleitmusikern Roman Bislin (Keyboards) und Adam Taubitz (Violine) grossen Anteil hat. Mag sein, dass der Ton die Musik macht, aber im Chanson bestimmt auch das träfe Wortspiel den Massstab. Und, noch einmal, die interpretatorische Authentizität.
Eine Erkenntnis, die der umtriebige und erfahrene Florian Schneider natürlich verinnerlicht hat, wie es sich für einen veritablen Chansonnier geziemt, der weiss, wie man sein Publikum verführt und katerhaft bezirzt. Und das mit einer Stimme, wie man sie nicht oft vernimmt. Wie sieht der Künstler das selber? «Eigentlich wirklich zufrieden bin ich nur, wenn ich die eigene Sprechstimme im Gesang höre. Es hat lange gedauert – eigentlich ein Sängerleben lang –, um die unverbildete Sprechstimme in der Gesangsstimme wiederzufinden, in ihr erst glaub ich mir selbst.»
Oper, Musical, «Phantom of the Opera»
Florian Schneider ist ausgebildeter Opernsänger, trat in internationalen Häusern von Rang auf, auch im Operettenfach. Ende der 1980er-Jahre vollzog er «den Wechsel vom lyrischen Tenor zum Charaktertenor» und widmete sich fortan vermehrt – als freischaffender Sänger mit einem Flair für das Rockige – einer Unterhaltungssparte, die boomte: dem Musical. Er reüssiert etwa in «Jesus Christ Superstar» oder «The Rocky Horror Picture Show», war oft in deutschen Landen unterwegs. Schneiders musikalisches wie schauspielerisches Talent fiel auf, an hochprominenter Stelle.
In den frühen 1990er-Jahre geriet er ins Visier des britischen Komponisten und weltbedeutenden Showbusiness-Tycoons Andrew Lloyd Webber. Dessen Produktionsfirma «The Really Useful Group» (RUG) plante gerade mit der Messe Basel und der Fürsprache der Regierung der Stadt Basel den Bau des Musical Theater Basel, eigens für die Produktion «The Phantom of the Opera». Florian Schneider wurde nach Castings in den USA und Europa die Titelrolle angeboten – und das in der ersten Besetzung! Ein Ritterschlag mit Privilegien: Ab 1995 begeisterte der Baselbieter während 21 Monaten 500 Mal als Phantom mit der weissen Halbmaske. Und da Maestro Webber die Inszenierung am Rheinknie höchstselbst begleitete, wurde punkto Ausstattung, Marketing, Werbung und Künstlerfreiheit alles grosszügiger angerichtet als üblich.
Illusion des einmalig Einzigartigen
Der Schreibende (kein Musical-Fan) war seinerzeit enorm beeindruckter Augen- und Ohrenzeuge der spektakulären, mit verrückten Spezialeffekten gespickten, musikalisch-darstellerisch extravaganten Show. Mit Florian Schneider im Fokus, der ihm dann später auch im Saarländischen Staatstheater Saarbrücken in «Paradise of Pain» und 2011 in «Gotthelf» auf der Open-Air-Seebühne in Thun gefallen hat. Warum? Schneider vermittelt über die Professionalität hinaus kraft seiner Präsenz das, was den Unterschied zum Routinierten ausmacht: die Fähigkeit, dem Zuschauer die Illusion des Einmaligen und Einzigartigen zu vermitteln – eine Illusion, der man sich gerne live gerne hingibt (was jetzt leider schwierig ist).
Vom «dicken Bethli»
Doch genug mit Nostalgie. Es ist «Schangsongs»-Zeit, wo Florian Schneider mit kleinem Gepäck unterwegs ist. Also zurück zur CD. Frech, lüpfig und sehr testosteronhaltig wird es in «Chnabeturner». Da geht es eindeutig-zweideutig um pubertäre Jungturner, die nicht dank verzweifelter Klimmzüge und seltsamer Verrenkungen am Barren zum Manne werden. Sondern drum, weil ein «dickes Bethli» (ganz lieb gemeint, gell!) beide Augen auf sie geworfen hat und ab und an, aus purer Lust, den einen oder anderen auf einen Heustock lockt und ihn dann handfest mit Liebesdingen vertraut macht. «Dobe dört druckts mer mi Chopf an grosse Buse/Im Spalt zwüschinne schmeckts nach suurem Schweiss/Und s Bethli fot aa chüüche und schnuufe/und süfzget schwer: Du Söibueb, machsch mi heiss.» Fesch und froh arrangiert bis hin zum Männerchor-Mitsing-Refrain: «Jä, das isch euses Bethli gsi/Vergässe hets e kein/vom ganze Chnabeturnverein/nit ein, nit ein, nit ein.»
Jawohl, es ist etwas los auf dieser «Schangsongs»-Scheibe. Doch der Schneider kann es auch getragen, melancholisch, zärtlich. Zu hören, wenn er «Unter der Linden» intoniert, einen Liedklassiker von Walther von der Vogelweide aus dem Mittelalter. Als Schüler war Schneider von diesem Juwel so angetan, dass ihn ihm der Wunsch sich mehrte, Troubadour zu werden.
«Summertag» und eine WB-Fahrt
Die Erinnerung an die Adoleszenz (und das, was daraus erwuchs), treibt auf «Schangsongs 4» etliche Blüten. Wie in «Summertag», wo sich der Sänger eine unvergessliche Liebelei zurückdenkt, nicht ohne Selbstkritik: «I bi dänk öppe sächzähni/und du dänk öppe füfzähnehalbs/Du fräch, us der Stadt und chlei früehryff/Und i no so dumm wien e Chalb/Und wo di zgringsum und zringsumdrüllsch/Fliegt s Röckli bis ufe zum Buuch/Do chan i ufzmol nümm singe wil d Stimm, sii wird mer so ruuch.»
Da besteht ja immerhin noch Hoffnung auf Erfüllung, ganz anders als im Stück «Uf de letschte WB». Gemeint ist die Schmalspurbahn von Liestal Richtung Waldenburg, das legendenumrankte «Waldeburgerli»; eine Metapher für die Solo-Heimkehr nach suboptimal verlaufenen Schäferstündchen-Ambitionen. In famoser American-Railway-Songwriter-Manier rattert es musikalisch und der Schneider jammert «Die het mer der Schueh geh/gseit, sie well mi nümme gseh /(…)/So schmilzt e Liebi einisch meh /(…) hoff, sii gsehy mi do stoh/Wo blibts Häppyend und wo/der Abschiedskuss/Und es dunkt mi einisch meh/i hebs alls scho zmängisch gseh/uf der letschte WB s Tal uf.» Da hat einer den Blues mit «mee Dräck», was einem nicht wundert: Der Schneider Florian hat immer noch ein paar Pfeile im Pointen-Köcher parat und das Glas der Episoden scheint ihm nie leer zu werden.
«My Härz isch nit gmacht, dass mes zeehmt»
Das ewig Weibliche, das einem hinabzieht, immer wieder, aber anders: In der Moritat «Tschinderassa» wird zu scheppernder Zigeunermusik und Chilbi-Trara-Seligkeit ein Kerl besungen, der sich grausig an allen Frauen rächt, weil ihn die eine «verseckelt» hat. Doch schaudernd abwenden sollte sich niemand, denn Trost gibt es beim zauberhaften Kinder-Schlaflied «Lulabei».
Zum Finale präsentiert Schneider dann noch einmal ein Tom-Waits-Leckerli: «Old Shoes» (1973). Nach seinem Gusto kredenzt heisst es bei Schneider jetzt «Läb wohl, läb wohl» und der Barde packt alles aus, was er loswerden will: «muesch mi la gaa, dasmal hebed dini Träne mi nümm/Jo, i gseh der s doch aa, sisch Zyt, ass i gang/Und stohsch au im Räge wie gleehmt/und alls, wo der lo, isch mi Lied und mi Gsang/Doch my Härz isch nit gmacht, dass mes zeehmt.» Man lauscht und staunt und denkt: genau!
Ungekünstelte Direktheit und Ehrlichkeit
Ist einer mit einer geschulte Powerstimme gesegnet wie Florian Schneider, könnte man auf den Gedanken kommen, diese sei zu gross für ein Schangsong, zu wuchtig, zu machtvoll, zu dominant. Er sagt dazu: «Wenn man singt, muss man denken, was man singt, und dann wird der reine Schönklang sowas von sekundär. Ungekünstelte Direktheit und Ehrlichkeit ist es, was ich suche, selbst im kleinsten Liedlein.»
Dagegen spricht nichts, weil Schneider offenbar für sich die Balance von Sangespotenz und massvollem, sogar demütigem Ausdruck gefunden hat. Und seine Gefühlsnetze differenziert webt, in die man sich gerne verstricken lässt; zumal inhaltlich für alle etwas dabei ist, was sich lohnt, besungen zu werden. An «Schangsongs 4» lässt sich das überprüfen auf baselbieterisch. Alle Songs zusammen sind mehr als die sprichwörtliche Summe der Einzelteile, weil gut gelaunt, mit Verve, Esprit, kurz und liederlich sündig serviert.
«Schangsongs» live: Wenn es die Umstände zulassen, ist Florian Schneider mit seinen Kollegen Roman Bislin und Adam Taubnitz live unterwegs, mit Titeln der neuen Scheibe im Repertoire und einer Surprise. Das Männergrüppchen ist jetzt zum «Trio Grande mit Dame» geworden. Mary Long, alias Marianne Lindner-Köhler bereichert das Programm mit skurrilen Comedy Texten. Infos und Konzerttermine: www.florian-schneider.ch