Myanmar stand Mitte November schon fast im Zentrum der Welt. Frisch vom APEC-Gipfel in Peking gaben sich US-Präsident Obama, Chinas Premier Li Kejiang und Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon ein Stelldichein am ASEAN-Gipfel in Burmas Hauptstadt Nay Pi Taw. Vom Paria-Staat zum internationalen Darling?
Die westliche Wahrnehmung von Myanmar wandelte sich in den letzten vier Jahren von Tief-Schwarz in leuchtendes Weiss. Noch bei den Wahlen 2010 hatte der Westen nur Verachtung für die brutalen Militärs übrig. Der Wahl-Boykott der Generalsekretärin der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) Aung San Suu Kyi wurde folgerichtig von den westlichen Politikern und Medien unterstützt. Dass jüngere NLD-Mitglieder mit einer eigens gegründeten Partei trotzdem an den Wahlen teilnahmen, wurde kaum wahrgenommen. Das Argument der jungen Demokraten – bei allem geäusserten Respekt für die Friedensnobelpreisträgerin – war einfach: zwanzig Jahre nach dem überwältigenden, von den Militärs schliesslich nicht anerkannten Wahlerfolg der NLD hat sich nichts auch nur um ein Jota verändert. Die jungen Demokraten hatten 2010 nur bescheidenen, aber immerhin Erfolg.
Die Zivilregierung, die nach rund 50 Jahren Militärdiktatur im März 2011 die Macht übernahm, bestand – wen wundert es – aus Militärs. Staatschef wurde General Thein Sein. Er hatte die massgeschneiderte Uniform mit massgeschneiderten Zivilanzügen aus feinstem Tuch getauscht. Zur Überraschung der internationalen Gemeinschaft aber begann sich, zunächst fast unmerklich, vieles zu bewegen. Bereits im August traf sich Thein Sein mit Aung San Suu Kyi, die immerhin in den letzten zwanzig Jahren seit ihrem überwältigenden Wahlsieg 1990 fünfzehn Jahre im Gefängnis sass oder unter Hausarrest stand. Noch im selben Jahr besuchte US-Aussenministerin Hillary Clinton Burma und traf Friedennobelpreisträgerin Suu Kyi. Bereits ein Jahr später machte US-Präsident Obama seine Aufwartung in Myanmar.
Wirkungslose Wirtschaftssanktionen
Obama gab sich optimistisch, ja geradezu euphorisch. Damit traf er 2012 auch den Ton der westlichen Geschäftswelt, die glaubte, ein neues Eldorado entdeckt zu haben. Das umso mehr, als der Westen einige seiner völlig wirkungslosen Wirtschaftssanktionen aufgehoben hatte. Etwas kleinlauter, wenn auch noch immer grundsätzlich optimistisch, geben sich westliche Investoren heute. Nach einem Bericht der Weltbank mangelt es vor allem an geschulten Arbeitskräften, Zugang zu Land, Wasser, Finanzierung und Elektrizität. Während der Zeit der Sanktionen hatten sich zudem andere in eine wirtschaftliche Pole-Position geschoben. Vor allem die grossen Nachbarn China und Indien, aber auch Nachbar Thailand und Singapur. Der Faktor Zeit wurde bei Beginn der Öffnung 2011 sträflich missachtet.
Eine von Militärs diktierte, hochkorrupte Wirtschaft kann auch bei bestem Willen nicht in wenigen Jahren von Grund auf reformiert werden. Es fehlte auch an funktionierenden staatlichen Strukturen. Die Generäle waren und sind zwar bereit, politische Zugeständnisse zu machen. Beim Eingemachten hört es aber auf. Ihre Privilegien sind unantastbar. Die Militärs entwickeln sich so langsam zu wirtschaftlichen Oligarchen. Ebenso tabu ist strafrechtliche Verfolgung, etwa an einem Internationalen Uno-Gerichtshof. Diktator General Nummer 1 Than Schwe und seine Mitgeneräle wollen sicher gehen, dass sie und ihre Familien nicht zur Verantwortung gezogen werden können.
China investiert im grossen Stil
Myanmar durfte Mitte November zum esten Mal den Gipfel der Assoziation Südostasiatischer Staaten (ASEAN) ausrichten. Noch Jahre zuvor wäre das unmöglich gewesen. Ein grosser diplomatischer Erfolg. Beim ASEAN+3-Treffen waren auch die ganz Grossen mit dabei. Chinas Premier Li Kejiang gab sich chinesisch-pragmatisch. Es ging um gute Nachbarschaft im direkten Einflussbereich des Reichs der Mitte und um handfeste Interessen. Chinesische Privatunternehmen investieren in grossen Stil, und der chinesische Staat verfolgt strategische Ziele.
Eine Öl- und Gaspipeline vom indischen Ozean über schwierigstes Gelände in die südwestchinesische Provinz Yunnan ist bereits in Betrieb. Damit kann China beim Öltransport die Strasse von Malakka und das südchinesiche Meer umgehen. Zudem verfügt China in Myanmar über elektronische Horchposten in den indischen Ozean und rundet so seine strategische Kapazität vom Pazifik bis in den Indischen Ozean ab.
Beratungsresistenter Obama
Ganz anders verhielt sich Obama. Um einiges weniger optimistisch als 2012 erteilte er moralische Lektionen. Er unterstützte zwar den burmesischen Weg zur Demokratie, aber alles müsse schneller und überzeugender gehen. Selbst bei der diffizilen Diskussion um die Abänderung der burmesischen Verfassung ergriff er einseitig Partei für Aung San Suu Kyis Standpunkt. Man fragt sich, ob es im Weissen Haus und im amerikanischen Ausseministerium keine Asien-Spezialisten gibt, welche die wichtigsten Regeln im Umgang mit stolzen, selbstbewussten Asiaten lehren könnten. Doch vermutlich ist Obama beratungsresistent.
Für Myanmars Präsident Thein Sein freilich ist die Situtation diplomatische äusserst komfortabel. Er kann so die beiden Grossen auf der Welt in einem für Burma erspriesslichen Abstand halten oder gegebenenfalls auch gegeneinander ausspielen. Doch vorerst hat Thein Sein innenpolitische Probleme. Es geht um die Abänderung der einst von den Militärs diktierten Verfassung. Darin ist unter anderem festgelegt, dass ein Burmese oder eine Burmesin, der mit einem Ausländer verheiratet ist, nicht zum Präsidenten gewählt werden kann. Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi war mit einem englischen Professor verheiratet und hat zwei Söhne mit englischem Pass.
Aung San Suu Kyi kann nicht gewählt werden
Die jetzt in Burma heiss diskutierte Verfassungsklausel freilich stammt bereits aus dem Jahre 1947, als der Unabhängigkeitsheld General Aung San – Vater der heutigen Demokratie-Ikone – die Unabhängigkeit der damaligen Kronkolonie vorbereitet hatte. Das kommt den heutigen Generälen natürlich gelegen: Aung San Suu Kyi kann nach der geltenden Verfassung nicht gewählt werden. Parlamentspräsident Shwe Mann hat das Mitte November bestätigt und fügte hinzu, im Mai würde ein Referendum über Verfassungsänderungen stattfinden. Weil es zu grossen Veränderungen kommen werde, ist es nach Shwe Mann unmöglich, bis zur allgemeinen Wahl dann die Verfassung rechtzeitig zu ändern.
Die Verfassungsänderungen nämlich müssen durchs Parlament mit einer Zwei-Drittels-Mehrheit. Das wird wohl erst dann möglich sein, wenn die Nationale Liga für Demokratie bei den allgemeinen Wahlen im kommenden Jahr den erwarteten Erdrutschsieg erringen wird. Vorsicht ist geboten. Selbst dann können nämlich die Militärs nach Verfassung die ganze Demokratie-Übung von einem Tag auf den andern zunichtemachen. Doch so weit wird es wohl nicht kommen. Nach Ansicht der meisten Burmesinnen und Burmesen ist der Prozess schon allzu weit fortgeschritten. Eine Umkehr wird praktisch ausgeschlossen.
Das Wort „Rohingya“ – eine Beleidigung
Innenpolitisch gibt es noch weitere Brennpunkt, nicht zuletzt die nationalen Minderheiten an den Grenzen, die zwar nur dreissig Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, seit der Kolonialzeit aber immer wieder für bewaffnete Konflikte sorgen. Auf einen Konflikt hat Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon während seines Besuches in der Hauptstadt Nay Pi Taw mit grosser Vehemenz hingewiesen: die extreme Diskriminierung und Verachtung der moslemischen Rohingyas im westburmesischen Staat Rakhine. Doch nicht einmal das Wort Rohingya darf in Myanmar ausgesprochen werden. Der Abgeordnete Thein Nyunt sagte, der von Ban Ki-moon verwendete „Ausdruck sei eine Beleidigung für unsere national Souveränität und eine Gefahr für den sozialen Frieden“.
In den letzten drei Jahren hat sich Myanmar positiv verändert. Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Freilassung politischer Gefangener. Die Informationen fliessen heute mit digitaler Geschwindigkeit im Internet. Es gibt heute sechs Millionen Handys, fünfmal mehr als vor vier Jahren. Ein derart abrupter Wechsel hat freilich auch Nachteile. Die Meinungsfreiheit führte dazu, dass zum Beispiel extreme Buddhisten angeführt von einem bekannten Mönch in übelster Weise in Flugblättern und auf dem Internet gegen Moslems und Rohingyas hetzen. Und das bei einem Verhältnis von 89 Prozent Buddhisten zu vier Prozent Moslems. Es kam zu Zwischenfällen im ganzen Land. Moscheen und Wohnhäuser wurden vom buddhistischen Mob abgefackelt, Menschen wurden getötet. Schlimmer noch kam es im Rakhine-Staat bei den Rohingyas. Dort erschütterten schweren Unruhen die Hafenstadt Sittwe. 200 Menschen kamen ums Leben.
Die Rohingyas – niemand will sie
Die rund 800‘000 Rohingyas sind Parias ohne Staatsbürgerschaft und bar jeder Rechte, obwohl sie seit Generationen in Myanmar leben und arbeiten. Im Kolonialreich Britisch-Indien, zu dem Burma gehörte, gab es keine Grenzen. Die Rohingyas setzten sich an der Region zwischen Myanmar und Bangladesh fest. Niemand will sie anerkennen. Sie leben heute in Lagern oder abgelegenen Dörfern unter Apartheid-Verhältnissen. Wer nicht nachweisen kann, dass er vor 1823 – also dem ersten anglo-burmesischen Kolonialkrieg – von Bengalen eingewandert ist, hat keine Chance. Man stelle sich das einmal vor. Selbst Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi hält sich in der Rohingya-Frage vornehm zurück und redet allenfalls um den heissen Brei. Nicht von ungefähr. Denn würde sie sich offen für die Rohingyas einsetzen, wäre sie im demokratischen Myanmar politisch erledigt. Willkommen in der Realpolitik!