In einer Dokumentation, die das Schweizer Fernsehen produzierte und sich dann doch vor den eidgenössischen Wahlen vom kommenden Sonntag nicht auszustrahlen getraute, äussert der österreichische Schriftsteller Robert Menasse sich offenbar kritisch zum politischen System unseres Landes. „Ich halte die repräsentative Demokratie für einen zivilisatorischen Fortschritt und die direkte Demokratie, umgelegt auf Europa, für gefährlich“, erklärte er einem Journalisten des „Tages-Anzeigers“, der ihn dazu befragte. „Stellen Sie sich direkte Demokratie in Österreich vor oder in Ungarn: Da hätten wir nicht nur ein Minarettverbot, sondern gleich auch die Todesstrafe.“ Ein Blick in die politische Agenda der Schweiz zeigt, dass der Autor so Unrecht nicht hat. Nein, zur Todesstrafe wird es bei uns nicht kommen, zur Befürwortung von Initiativen, die entweder nicht umsetzbar oder aber völkerrechtswidrig sind, hingegen schon.
Noch sind die Folgen, die sich aus dem Ja des Volkes zur Initiative gegen Masseneinwanderung ergeben, nicht absehbar, und schon droht neues Ungemach. Nächstes Jahr sollen gleich zwei Initiativen zur Abstimmung gelangen, auf die diese Kriterien zutreffen: die Initiative „Landesrecht vor Völkerrecht“ und das Burka-Verbot. Zu letzterem hat „Tele Zürich“ vor kurzem eine Umfrage gemacht. Ergebnis: 82% der Befragten sagten Ja zu einem Verbot. Was genau die Leute unter einer Burka verstehen und wie sie das Verbot zum Beispiel im Falle wohlhabender Touristinnen aus den Emiraten anwenden wollen, wurde nicht gesagt – und war den Leuten vermutlich auch gar nicht klar.
Genau damit aber rechnen jene Kreise, die solche Initiative lancieren. Sie operieren mit Schlagworten, heizen die Stimmung auf und verschweigen die Konsequenzen. Und wenn das Stimmvolk dann den Schwindel durchschaut hat, ist es zu spät. Dies gilt für die Abstimmung über das Burka-Verbot, dies gilt, in weit gravierender Weise, für die Abstimmung über die Initiative „Landesrecht vor Völkerrecht“. Sollte sie angenommen werden, dürfte man in Bern auf Jahre hinaus damit beschäftigt sein, den Schaden zu begrenzen, den das eigene Volk angerichtet hat.
Ein Jammer, dass das Schweizer Fernsehen den Mut nicht hatte, die Reportage über Robert Menasse noch vor den Wahlen auszustrahlen. Vielleicht hätten die Überlegungen des Autors den einen oder andern Stimmberechtigten am Ende doch noch zum Umdenken bewogen. Und wir hätten in den nächsten Jahren ein paar Initiativen weniger, die unser Land um seine politische Glaubwürdigkeit bringen.