Es gibt die Meinung, dass gewisse Fragen zu kompliziert oder zu heikel sind, als dass sie in Form eines binären Ja oder Nein vom Stimmbürger beantwortet werden sollten. Es gibt die Befürchtung, dass die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative ein gefährliches Signal sei, das fremdenfeindliche, gar rassistische Strömungen in der ganzen EU befördern könnte – dazu Ausdruck von Ausländerfeindlichkeit in der Schweiz sei. Und es gibt die unausgesprochene Meinung, dass das Volk mal wieder gezeigt hat, dass es blöd ist. In Wirklichkeit ist dieses Abstimmungsresultat ein strahlender Triumph der direkten Demokratie in der Schweiz. Alles, was man als «classe politique» bezeichnet, sämtliche Parteien mit einer Ausnahme, Wirtschaftsverbände, Mietmäuler und ein guter Teil der veröffentlichten Meinung waren aus verschiedenen Gründen für ein Nein. Und alle Sprachrohre der mit gewaltigen Schwierigkeiten kämpfenden EU drohten mehr oder minder unverhüllt mit unabsehbaren Konsequenzen im Falle eines Jas. Nun muss allerorten gewaltig zurückgerudert werden. Denn es hat sich gezeigt, dass eine wie auch immer geartete Politik, die nicht vermittelt werden kann, durch Volkes Stimme korrigiert wird. Im Gegensatz zur EU, wo die wenigen Volksabstimmungen, bspw. über die EU-Verfassung, im Notfall solange wiederholt werden, bis das gewünschte Resultat erzielt wird. Ausserhalb der Schweiz gilt da der schöne Satz von Bertolt Brecht, aus anderen Zeiten: «Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte sich ein anderes?» Das ist in der Schweiz nicht möglich, und das ist gut so.
Volkes Stimme
Betriebsunfall der Demokratie oder Triumph des Souveräns?