Es ist Dienstagabend. In einer Bar in Sion stehen junge Leute am Tresen. Sie trinken Bier und Fendant. Sie haben eben ihren Arbeitstag beendet und nehmen vor dem Nachhausegehen noch ein Glas zu sich. Wie man das im Wallis so tut. Und wieder, wie so oft in diesen Tagen, sprechen sie von „C. C.“.
Die Deutschschweizer Presse, „c’est vraiment la merde“, sagt eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren. Christian Constantin (C. C.), der ohrfeigende Fussballtrainer werde als Täter dargestellt, dabei sei er das Opfer. Die andern, etwa zehn junge Männer und fünf junge Frauen, sind da völlig gleicher Meinung.
„Recht hat er gehabt, diesem Fringer eins auf die Rübe zu hauen“, meint ein Informatiker.
Ekel oder nicht Ekel?
Jetzt giesse ich Öl ins Feuer. Ob denn Constantin kein Choleriker sei, frage ich, kein Ekel, kein Aufschneider, einer, der Trainer und Spieler brüskiere und wechsle wie sein Hemd, ein Elefant im Porzellanladen?
Jetzt geht’s los.
Natürlich könne er ein Ekel sein, „aber was soll’s, er hat den FC Sion zu einem starken Klub gemacht“, sagt ein etwa 40-Jähriger. „Dafür sind wir ihm ewig dankbar.“
Und dieser Fringer? „Er hat doch die ganze Affäre begonnen, er hat dem Fernsehen, auch wenn es ein Krümelfernsehen war, ein abscheuliches Interview gegeben. Wieso wiederholt die Deutschschweizer Presse nicht, was dieser imbécile von Fringer gesagt hat?“
Fringer hatte am Fernsehen gesagt: „Er (Constantin) ist ein Narzisst, hat null Empathie, schaut nur für sich. Man sagt, er sei ein Farbtupfer für die Liga. Aber ich muss sagen, langsam wird es lächerlich. Es ist Jahr für Jahr der gleiche Stuss.“
„Dieser dahergelaufene Österreicher“
„Sagt man so etwas am Fernsehen?“, fragt einer. „Das ist eine öffentliche Desavouierung, eine öffentliche Kriegserklärung. Das ist mehr als unanständig. Constantin hat sich nie öffentlich gegen Fringer geäussert.“ „Genau“, fügt eine etwa dreissigjährige Frau dazu, „und jetzt hat er die Quittung.“
Ob denn viele Walliser so denken wie diese jungen Leute hier am Tresen, will ich wissen. „Alle“, sagt eine Frau spontan. Ein anderer relativiert: „Mindestens 80 Prozent.“ Überprüft werden kann das natürlich nicht.
Jetzt wird gespottet. Fussball sei nun wirklich ein grobes Metier, nicht „la fine fleur“. Fringer sei ja schon lange im Geschäft und wisse das. Und jetzt müsse sich der Arme im Tessin von seinem Schock erholen, heisse es in der Deutschschweizer Presse. „Ach, ce pauvre, eine Ohrfeige und ein Tritt sind ja so schrecklich. Da geht es um Leben und Tod. Ich leide mit ihm. Sollten wir nicht für einen Psychiater sammeln, damit es ihm wieder besser geht.“ Alle lachen. Dann wird es plötzlich ein bisschen rassistisch. Eine Frau sagt: „Fringer, dieser dahergelaufene Österreicher.“
Die Ehre des Wallis
Zum letzten Mal versuche ich Fringers Äusserung als nicht ganz falsch darzustellen. Und: „Ohrfeigen und ein Tritt in den Hintern, das geht doch nicht“, sage ich. Eine besonnene junge Frau mit einem Schweppes in der Hand fasst zusammen: „Nein, das geht nicht, aber am Fernsehen unseren Fussballtrainer persönlich anzugeifern, das geht auch nicht. Und C. C.s Ausraster war eine Reaktion auf dieses Angeifern.“ Eigentlich freuen sich diese Walliser hier, dass sich die Deutschschweizer derart über Constantin enervieren.
Natürlich sind die Walliser Schweizer, aber in erster Linie sind sie Walliser. Wenn das Wallis angegriffen wird, scharen sie sich zusammen. Und wer Constantin angreift, greift das Wallis an. So sehen es die Walliser hier am Tresen in Sion – und wohl viele im ganzen Kanton. Eigentlich geht es gar nicht um Constantin, es geht um die Ehre des Wallis mit seinem stolzen Volk.
Als sich der Deutschschweizer Gast von der Runde verabschiedet, heben alle das Glas und rufen „Vive le roi, vive Constantin“. Immerhin lachen sie dazu.