Der weissrussische Diktator Lukaschenko baut ein AKW nur 50 km südlich der litauischen Hauptstadt Vilnius und Russland stattet seine Enklave Kaliningrad mit einem AKW an Litauens Westgrenze aus.
Finnland trat schon 1977 ins Zeitalter der Atomkraft ein. Auf zwei sowjetische Werke in Loviisa folgten zwei von der schwedischen Firma Asea errichtete Blöcke in Olkiluoto. 2013 soll das von einem französischen Konsortium gebaut Werk bei Rauma in Betrieb gehen, womit das Land ein Drittel seiner Elektrizität mit Kernkraft erzeugen kann. Bei Rauma entsteht gleichzeitig das weltweit erste Endlager für radioaktiven Abfall. Weder in Finnland noch in den baltischen Staaten gibt es eine nennenswerte Opposition. Der Hauptgrund dafür ist an beiden Orten das Misstrauen gegen den grossen Öl- und Gaslieferanten im Osten.
„Wir müssen ein Risiko eingehen“
„Wir können uns keine ökologische Vorsicht leisten. Wir müssen ein Risiko eingehen“, erklärte mir ein finnischer Gesprächspartner. Es geht hier nicht nur um kalte Winter und die Vorliebe für die elektrisch aufgeheizte Sauna. Die Sowjetunion erwies sich bei der Ölpreiskrise der 70er Jahre zudem als zuverlässiger Lieferant, der seinen Ölpreis allerdings immer dem Weltmarkt anpasste. Weil die Lieferung nach Finnland auf einem Tauschhandel beruhte, bewirkten Preissteigerungen, dass die Finnen als Gegenleistung mehr Waren in die Sowjetunion liefern konnten und im Unterschied zum restlichen Europa eine Hochkonjunktur erlebten.
Max Jakobson als wichtiger Repräsentant der finnischen Aussenpolitik sagte damals, dass sein Land sich „des Besten aus beiden Welten erfreue“. Er meinte die berechenbare Planwirtschaft im Osten und den dynamischen Markt im Westen. Die beiden sowjetischen Kernkraft-Blöcke in Loviisa kosteten offiziell nur halb so viel wie die von der schwedischen Firma Asea gelieferten AKWs in Olkiluoto. Die Sowjetunion übernahm in ihren Werken zudem die Entsorgung der radioaktiven Abfälle. Erstmals konnte Moskau einem westlichen Land anspruchsvolle Technologie liefern und die Sowjets benutzten Finnland als Schaufenster. Die Verhandlungen über Kosten und das Nachbessern bei der Sicherheit blieben allerdings geheim, sodass kein Kostenvergleich mit den Schweden möglich ist.
Wenn man die Probleme mit dem französischen Konsortium, die Verzögerungen und Kostensteigerungen beim Atomreaktor in Rauma unter der Leitung eines französischen Konsortiums beizieht, so dürfte die nukleare Partnerschaft mit der auf Geheimhaltung dringenden Führung in Moskau nicht einfach gewesen sein. Man kann höchstens sagen, dass Finnland unter verschiedenen Risiken wählen musste, die Kernkraft ist das eine und die mögliche politische Erpressung durch den grossen Öllieferanten das andere.
USA und Südkorea statt Russen
Litauens AKW Ignalina hatte einen sowjetischen Reaktor, eine Weiterentwicklung des Unglücksreaktors von Tschernobil. Man kann daher verstehen, warum die EU beim Vertrag mit dem 2004 der Gemeinschaft beitretenden Litauen die Abschaltung verlangte. Fachleute meinen allerdings, dass andere östliche AKW viel gefährlicher seien. Ignalinas letzter Block wurde Ende 2009 stillgelegt und ein grosser Teil der Entsorgung wurde vom Westen (inklusive der Schweiz) finanziert. Litauen versuchte die Schliessung immer wieder zu verzögern. 2013 soll nun der Bau des von den drei baltischen Staaten gemeinsam finanzierten AKW in Visaginas durch ein südkoreanisch-amerikanisches Konsortium beginnen, während eine russische Gesellschaft in Ignalina Lager für radioaktive Abfälle baut und die stillgelegten Blöcke entsorgt.