Die Malerin Paula Rego (1935–2022) war eine kraftvolle Künstlerinnenpersönlichkeit figurativer Richtung. Das Kunstmuseum Basel bietet willkommene Gelegenheit, der Künstlerin in all ihren Dimensionen zu begegnen. Der nicht ganz adäquate Titel der Ausstellung: «Machtspiele».
Dem Werk der Portugiesin und Britin Paula Rego war hierzulande bislang kaum zu begegnen. In England war die Künstlerin jedoch seit Jahrzehnten in Ausstellungen und Sammlungen (u. a. in der Tate Gallery) präsent. In London wurde sie an der renommierten Slade School ausgebildet, hier heiratete sie den englischen Maler Victor Willing, hier arbeitete und lebte sie, unterbrochen von Portugal-Aufenthalten. Sie war Teil von Englands Kunstszene, gerade auch von deren Tradition des Figürlichen und des Erzählens mit Bildern. (An der Slade School unterrichtete u. a. Lucian Freud.) Aber auch in Portugal stellte sie regelmässig aus, und seit 2009 gibt es in Cascais ein Bijou von einem Museum für ihre Werke – die «Casa das Histórias Paula Rego», erbaut vom Pritzkerpreis-Träger Eduardo Souto de Moura.
Magistrale Kunst
Nun wartet das Kunstmuseum Basel auf mit der ersten Retrospektive Paula Regos, seit die Künstlerin 2022 im Alter von 87 Jahren gestorben ist. Es ist zugleich die erste grosse Ausstellung der international längst anerkannten Künstlerin in der Schweiz. Sie umfasst über hundert Werke ab den 1950er Jahren, grossformatige Malereien, Druckgrafik, Zeichnungen, Textilfiguren. Gezeigt werden ausschliesslich Figuren, also weder Stillleben noch Landschaft, im Figürlichen aber ein sehr breites Themenspektrum wie Illustratives, Literarisches, Traumwelten und sehr vieles, das tief in den Kosmos Jungscher Psychoanalyse reicht.
Was zuerst auffällt, ist das magistrale Vermögen der Künstlerin, vielfigurige Szenen – darunter manch Theatralisches und Pathetisches – bilddramaturgisch in den Griff zu bekommen. Ebenso erreicht sie mit einer speziellen Technik eine eigene atmosphärische Dichte: Sie malt ihre grossen Formate oft mit Pastellkreide auf Papier, das sie auf Aluminium fügt. So lässt sie fahl leuchtende Figuren fast gespenstisch aus einem dunkeltonigen Grund aufscheinen. In ihren Lithographien und Kombinationen von Aquatinta und Radierung erreicht sie feine Tonwert-Abstufungen und ein spannungsgeladenes Aufteilen der Helldunkel-Werte. Kurz: In der Basler Ausstellung erweist sie sich als Künstlerin von Weltgeltung.
Unaufgelöste Widersprüche der Existenz
Manche von Paula Regos Motiven und die Art und Weise, wie sie diese Motive über sorgfältige Studien zu Bildern werden lässt, wirken verstörend und belastend, vor allem, wenn sie, wie um 2003, von Krieg und, wie um 1999 in einer drastischen Serie von Radierungen von sexueller Gewalt und Abtreibung handeln. Die Ursachen dafür sind komplex und auch in der Biographie Regos begründet: Das politische Klima in Portugal war bis zur «Nelken-Revolution» (1974) geprägt vom «Estado Novo» der Diktatoren António Salazar und Marcelo Gaetano und von deren Repressionen. Auch wenn sich Paula Rego in ihrer Kunst dieser Zeit politisch eher verhalten äussert, wirkt sich dieses Klima ebenso auf ihre Arbeit aus wie ihre Depressionen nach der Erkrankung ihres Mannes an Multipler Sklerose (1968) und nach seinem Tod (1988).
Prägend sind auch ihre Beschäftigung mit C. G. Jungs Psychologie und die mehrere Jahre andauernde Psychoanalyse. Wirksam werden in ihrer künstlerischen Tätigkeit auch das wachsende öffentliches Selbstbewusstsein der (portugiesischen) Frauen und ihr eigener Einsatz für frauenpolitische Anliegen in der Gesellschaft wie zum Beispiel für den Kampf für die Entscheidungskompetenz der Frau über ihren eigenen Körper.
Paula Regos Malereien und Grafiken erzählen Geschichten von Menschen, meist von Frauen, oft auch von Paaren und von ganzen Gruppen. Sie können sich auch auf Literarisches wie zum Beispiel auf Charlotte Brontë beziehen. Ihre künstlerische Sprache ist von fast magisch wirkender Klarheit. Man mag sich oft an Balthus erinnert fühlen, auch wenn Rego ihre thematischen Schwerpunkte anders und weniger im Erotischen setzt als vielmehr in Märchen – allerdings in deren archetypischen Dimensionen und nicht in Versionen für Kinder – und in ihren eigenen Träumen. Hier wie dort lässt sie die Widersprüche als Teil jeder menschlichen Existenz unaufgelöst stehen. Mitunter wendet sie sich, um Parallelen zur belasteten politischen Gegenwart aufzuzeigen, auch portugiesischer Geschichte zu, beispielsweise Kriegen aus früheren Jahrhunderten.
Ein Beispiel ihrer Art der Bilderzählung ist «The Cadet and the Sister» (1988), das eine vieldeutige pubertär-erotische Atmosphäre oder eine ebenso schwer durchschaubare Machtsituation schildert. Ein anderes, «The Dance» (1988), entschlüsselt ihr Sohn Nick Willing im Katalog als Mehrfach-Selbstportrait in verschiedenen Paarsituationen. «Angel» (1998) wird zur Ikone der selbstbewusst kämpfenden Frau mit gezücktem Schwert, und «The Blue Fairy Whispering to Pinocchio» (1995) wird vollends zum mit altmeisterlicher Sorgfalt vorgetragenen Geheimnis, das sich nicht entschleiern lässt.
All diese Malereien beziehen ihre Faszination daraus, dass sich ihre Inhalte nicht auf eine Formel reduzieren lassen, sondern vielschichtig und vieldeutig angelegt sind. Rätselhaft und an Unbewusstes rührend ist auch die Serie von sieben grossen Pastell-Formaten von 2004 mit dem Titel «Possession», zu der Ann Cvetkovitch im Katalog einen Text über Depression schreibt. Von oben zeigt Paula Rego je eine dunkelrot gekleidete schwarzhaarige Frau, die breit auf einem ledernen Tagesbett liegt und sich wälzt – oder hingeworfen wurde in einen Zwischenzustand zwischen Anspannung, Passivität und Aufmerksamkeit.
Machtspiele?
«Machtspiele» lautet der Titel der Basler Ausstellung. Paula Rego thematisiert in ihren Malereien und Grafiken tatsächlich auch offene oder verborgene Spiele der Macht. Sie zeigt Kampfsituationen oder Spuren davon. Sie zeigt kraftvolle oder gar kraftstrotzende und ebenso abgekämpfte oder erschöpfte «Heldinnen». Da ist viel Anklage und Aufbegehren.
Doch das Werk Paula Regos ist viel breiter angelegt. Es allein aus der vom Ausstellungstitel vorgegebenen Perspektive zu sehen, reduziert seine Dimension auf einen schmalen Grat, statt die ganze Breite von Begegnungen und Deutungsmöglichkeiten zuzulassen. Wenn das Museum die Ausstellung allzu modisch«Machtspiele» nennt, verschüttet es andere Zugänge und lenkt die Aufmerksamkeit in nur eine, vielleicht gar ideologisch motivierte Richtung – zum Nachteil der Künstlerin Paula Rego, aber auch zum Nachteil des Publikums.
Paula Rego wird 1935 in Portugal in einer wohlhabenden und kunstsinnigen Familie geboren und besucht eine englischsprachige Privatschule. Der Vater, Elektroingenieur, erklärter Gegner des Diktators Salazar, lässt die Tochter in England in einem Pensionat weiter ausbilden. An der Londoner Slade School of Fine Art lernt sie den Maler Victor Willing kennen, den sie heiratet und mit dem sie drei Kinder hat. Damit wird sie britische Staatsbürgerin. Die Familie lebt meist in London. 1961 stellt Paula Rego erstmals in Portugal im Rahmen der Gulbenkian-Stiftung, die sie mehrfach fördert, aus. Weitere Ausstellungen in Portugal und in England folgen. 1969 und 1975 vertritt sie Portugal an der Biennale von São Paulo. Paula Rego engagiert sich gegen den Krieg und für Frauenrechte und das Recht der portugiesischen Frauen auf Abtreibung. 2005 gibt die Royal Mail Briefmarken mit Motiven Paula Regos heraus. 2021 zeigt die Tate London eine grosse Retrospektive, und 2022 ist eine Anzahl ihrer Werke an der Biennale Venedig zu sehen. Die Künstlerin stirbt am 8. Juni 2022 in London. Für den Tag ihrer Beisetzung ordnet die portugiesische Regierung eine Staatstrauer an.
Kunstmuseum Basel Neubau
bis 2. Februar 2025
kuratiert von Eva Reifert
Katalog 42 Franken
Alle Bilder © Paula Rego