Die Klimakatastrophe überschattet alle Zukunftsperspektiven und ängstigt vor allem junge Menschen. Die Philosophin Corine Pelluchon fühlt sich in deren Lage ein. Sie rät, die Verzweiflung zu akzeptieren, dabei aber aktiv und dadurch hoffnungsvoll zu bleiben.
Als Jugendlicher war ich von wiederholten Träumen aufgewühlt, in denen ich den Ausbruch des befürchteten Atomkriegs erlebte. Ich denke, so ähnlich geht es heute jungen Menschen, die sich vor der sich abzeichnenden Klimakatastrophe fürchten.
Die Gefahr einer nuklearen Apokalypse ist auch heute nicht gebannt. Putin und seine Propagandisten ziehen dieses Register, und der gerade diensttuende Kim in Nordkorea macht sich wichtig mit Raketen- und Bombentests. Trotzdem ist die dadurch getriggerte Angst in den Hintergrund verschoben angesichts der Szenarien einer weiteren Erhitzung der Erdatmosphäre.
Der Atomkrieg kann, muss aber nicht ausgelöst werden. Ein Menschenleben lang ist er uns erspart geblieben; wenn es gutgeht, bleibt das so. Atomwaffen sind da, um zu drohen und abzuschrecken, nicht eigentlich um eingesetzt zu werden. Doch verhängnisvolle Verkettungen, Unvermögen der Verantwortlichen oder Ruchlosigkeit der Mächtigen können das Inferno in Gang setzen.
Die Klimaerhitzung hingegen ist keine vermeidbare Eventualität, sondern sie ist schon jetzt unerbittlich am Laufen. Die Staatengemeinschaft versucht diesen Prozess zwar abzubremsen, doch bislang ohne ausreichenden Erfolg. Die Menschheit befindet sich in der Lage der Passagiere eines Schiffs, das mit Motorschaden auf einem Strom mit wachsender Geschwindigkeit auf einen Katarakt zutreibt.
Doch dieses Bild stimmt nur teilweise. Es zeigt zwar zutreffend die sich verschärfende Bedrohung. Doch falsch ist daran einerseits das bildliche Sitzen aller Menschen im selben Boot. In Wirklichkeit sind sie ganz unterschiedlich betroffen. Falsch an dem Bild vom auf den Katarakt zutreibenden Schiff ist zudem die Unausweichlichkeit der totalen Katastrophe. Die Erhitzung kann gebremst und sogar gestoppt werden, allerdings nur mit enormen Veränderungen auf breitester Basis.
Nun ist diese letzte Relativierung aber wenig tröstlich. Grösse und Universalität der geforderten Anstrengungen können einen verzweifeln machen. Um so mehr, da alles ja schnell gehen müsste: Umstellung von Landwirtschaft und Ernährung, Kreislauf- statt Ausbeutungs- und Expansionswirtschaft, CO2-freie Energie und Industrie. – Das erscheint, bei Lichte betrachtet, als hoffnungslose Überforderung.
Bei ihrer Rede 2019 vor dem Europäischen Parlament drückte die 16-jährige Greta Thunberg das Empfinden ihrer Generation angesichts der drohenden Katastrophe aus mit dem Satz: «I want you to panic.» Panik erschien nicht nur ihr als die angemessene Reaktion auf den Zustand der Welt: als das, was einem bleibt, wenn man sich der Beschönigungen und Ausflüchte entledigt.
Greta hat seinerzeit viel Kritik geerntet für diesen Satz. Doch ihre Aufforderung, sich der Panik nicht zu verschliessen, hat inzwischen Sukkurs erhalten. Die französische Philosophin Corine Pelluchon spricht in ihrem neuen Buch zwar von «Hoffnung in Zeiten der Klimakatastrophe» – so der Untertitel –, setzt darüber aber den Titel «Die Durchquerung des Unmöglichen». Die für die epochalen Veränderungen erforderlichen Kräfte, so Pelluchon, können erst aus der existenziellen Erfahrung der Verzweiflung erwachsen. So wie menschliche Reifung oft erst aus dem Erleiden einer Depression hervorgeht, werde auch die grundlegende gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformation zur Abwendung der Klimakatastrophe erst richtig in Gang kommen aus einer kollektiven Depression heraus, aus einem Schock angesichts des multiplen Kollapses.
Erst die Erfahrung der Katastrophe werde Kräfte der Hoffnung freisetzen für Veränderungen im Grossen. Daraus leitet Pelluchon nun aber keine Aufforderung zur Passivität ab. Vielmehr gelte es, das erforderliche klimagerechte Verhalten zu erkunden und zu erproben, um Modelle bereitstellen zu können für die vor dem grossen Schock noch nicht mögliche allgemeine Neuorientierung.
Corine Pelluchon liefert mit dieser Differenzierung eine Betrachtungsweise, die einerseits schonungslos realistisch ist, durch die aber andererseits Einsichtige nicht zur lähmenden Hoffnungslosigkeit verdammt sind. Denn obschon Engagierte sich die vorläufige Unmöglichkeit einer globalen Umstellung eingestehen müssen, können sie dort vorwärtsmachen, wo es geht: im privaten Konsumverhalten, durch Initiativen in Arbeit, Wissenschaft und Kultur, bei politischen Weichenstellungen und der diese vorbereitenden und begleitenden öffentlichen Meinungsbildung auf allen Ebenen.
Der Titel von Corine Pelluchons kleinem Buch kann Hoffnung machen: «Die Durchquerung des Unmöglichen» ist eben nicht, wie es auf den ersten Blick erscheint, eine blosse Paradoxie, sondern es ist auch deren Auflösung. Das Unmögliche als solches anzuerkennen, ist eine realistische Haltung, die sich selbst nicht mit unerreichbaren Zielen überfordert und so die Selbstblockierung vermeidet. Auf diesen ersten Schritt können und sollen gemäss Corine Pelluchon viele weitere folgen.
Mit dem Bild der Durchquerung verleiht sie dem gelegentlich belächelten Engagement, dem unbeirrten Ausprobieren neuer Wirtschafts- und Lebensmodelle, dem – wenn auch durch Rückschläge geschwächten – politischen Vorantasten auf neues Terrain eine gewissermassen subversive Qualität: Was auf die vor dem Schock einstweilen noch unmögliche grosse Veränderung hinzielt, das sind immerhin Vorstösse in diese Richtung. Wenn auch das Unmögliche sich vorderhand nicht in Mögliches umwandeln lässt, so kann man es doch durchqueren. Um bereit zu sein für etwas Neues, wenn das vormals Unmögliche in sich zusammenfällt im grossen Schock.