Geschichte wiederholt sich nicht. Aber sie verlockt zur Suche nach Vergleichbarem. Aktuellerweise mit dem Brexit, der für die einen eine Hoffnung ist, für die anderen eine Katastrophe und für alle ein Vorgang von umstürzender Einzigartigkeit.
Herausforderung des Schicksals
Für letztere Feststellung braucht es einen etwas engen Zeitrahmen. Erweitern wir ihn auf 500 Jahre, erkennen wir im Brexit bereits die zweite dramatische und konfliktgeladene Trennung Britanniens von Europa. König Heinrich VIII. brach 1534 mit der römisch-katholischen Kirche, verselbständigte die Church of England, bestimmte sich zu deren Oberhaupt und wurde von Rom exkommuniziert.
Mit seiner „Act of Supremacy“ griff Heinrich VIII. so schicksalhaft und unberechenbar in den Lauf der Dinge ein wie Theresa May mit ihrem Kündigungsschreiben nach Brüssel. Rasch hingeschaut unterscheiden sich freilich die Motive.
Heinrich VIII. überwarf sich mit Rom, weil ihm Papst Clemens VII. die Erlaubnis verweigerte, sich von Katharina scheiden zu lassen, um Anne Boleyn heiraten zu können. Der Renaissance-Herrscher setzte seinen Willen durch und ebnete sich den Weg zur zweiten Vermählung; insgesamt sechs Ehen sollten es werden. Auf Anne folgten Jane Seymour, Anna von Kleve, Catherine Howard und Catherine Parr. Mit zehn legitimen und gesicherten drei illegitimen Kindern.
Lange Vorgeschichte bis zum Eklat
Der Eindruck täuscht, es sei eine filmreif gewaltige Liebe gewesen, um ihretwegen die Kirche zu spalten. Die Romantik hielt sich in Grenzen. Heinrich VIII. nahm es mit der Treue wenig genau und liess Anne Boleyn nach kurzer Ehe hinrichten.
Die Ursachen für den Bruch mit Rom liegen tiefer als lediglich in der amourösen Leidenschaft. Er hat eine Vorgeschichte genau wie das Ja zum Brexit.
Reformatorische Strömungen erfassten England, das seit dem Hochmittelalter auf Autonomie gegenüber der römisch-katholischen Kirche pochte und sich ab dem Spätmittelalter eine Reihe von Privilegien sicherte. Der Streit um die Ehe-Annullierung beschleunigte die über einen langen Zeitraum zur Abspaltung tendierende Entwicklung.
Künftige Fussnote
Im Urteil des Historikers Eric Ives hinterliess Heinrich VIII. „eine tiefere Spur in der englischen Geschichte als jeder andere Monarch seit der normannischen Eroberung Englands“. Vielleicht wird dereinst eine solche Würdigung auch Theresa May zuteil.
Dafür spricht, dass England zu seinem Vorteil und Rom ohne nennenswerten Schaden die Kirchenspaltung überlebten. Mit der Präzision einer Wahlprognose kann daraus geschlossen werden, dass auch beim Brexit 500 Jahre reichen, um das heute erschütternde Ereignis in eine historische Fussnote umzuwandeln.
Nur auf ein die Zeit überdauerndes Theaterstück von Shakespeare wird die britische Premierministerin im Gegensatz zu Heinrich VIII. verzichten müssen.