Die Feuersbrunst in Nord-Euböa ist gelöscht, die Fernsehkameras sind abgezogen und die Menschen vor Ort ihrem Schicksal überlassen.
Die griechische Regierung hat dieses und das letzte Jahr die Feuerwehr geschwächt, alle Ressourcen auf den Brand in Varibombi bei Athen konzentriert und Nord-Euböa brennen lassen. Unser Haus steht im mittleren Teil von Euböa und war nie wirklich gefährdet, obwohl wir auch Rauch und Asche abbekamen. Dadurch, dass der Brand in Athen schnell gelöscht wurde, konnten wir dann drei Tage später als geplant die Insel verlassen und per Fähre über Italien in die Schweiz fahren.
Nord-Euböa ist (oder war) ein naturbelassener Mikrokosmos von wunderbaren Kiefern- und Pinienwäldern, Meer, kleinen landwirtschaftlich orientierten Dörfern, nachhaltigem Tourismus und Wallfahrtsorten. Das mittlere und das nördliche Euböa ist (oder war) auch eine grüne Lunge von Athen.
Gefahr der Entvölkerung
Der Gemeindepräsident von Rovies, der sich in den Medien äussert, aber auch ständig anonym bedroht wird, richtet nicht nur schwere Vorwürfe an die Regierung, sondern macht auch klar, dass die Existenzgrundlage aller Menschen in der Gegend mit Ausnahme der Rentner vernichtet ist. 90 Prozent aller Buchungen sind storniert worden. Falls überhaupt, wird es Jahre gehen, bis die florierende Bienenzucht wieder auf die Beine kommt. Das Retsina-Harz ist verbrannt und der extensiven Tierzucht (Ziegen, Schafe) wurde die Nahrungsgrundlage entzogen. Die Gefahr einer Entvölkerung ist real.
Die griechische Regierung konzentrierte sich darauf, Menschen zu evakuieren und versuchte erst gar nicht, diesen Brand zu löschen. Der Ministerpräsident gockelt damit herum, dass die Brände praktisch keine Menschenleben gekostet haben – und die Schweizer Medien plappern brav nach, was die Regierung erzählt. Im ursprünglichen Nord-Euböa sind Evakuationen aber auch weniger schwierig zu bewerkstelligen als vor drei Jahren in Mati, wo illegale Zäune den flüchtenden Menschen den Weg ins rettende Meer versperrten.
Das Versagen der Regierung wird deutlich, wenn man bedenkt, dass zum Beispiel der Brand von Rovies ursprünglich klein war und leicht hätte gelöscht werden können. Es liess sich aber tagelang kein Löschflugzeug blicken. Als die Feuerwehr dann tatsächlich in Rovies auftauchte, wartete sie zuerst auf Befehle aus Athen, anstatt sofort die lokalen freiwilligen Löschtrupps zu unterstützen. Man fühlt sich in einem billigen Schwank eines Heimatschutztheaters, wenn es nicht bittere Realität wäre.
Was noch dazu kommt: Anfänglich waren die Bedingungen für die Feuerwehr zwar nicht ideal, aber auch nicht schlecht. Untypisch für den August, ging die Hitzewelle nicht mit starken Nordwinden, sondern mit einer Flaute einher, wie ich sie zu dieser Jahreszeit noch nie gesehen habe. Erst etwa am vierten Tag blies der Wind. Und dann war es zu spät. Im Fernsehen erklärte die Regierung abwechselnd, dass sie aufgrund starken Windes oder starken Rauches nicht mit den Löschflugzeugen nach Euböa fliegen konnten. Eine glatte Lüge. Nochmals: Es gab in den ersten drei Tagen keinen Wind! Ich bin der Augenzeuge.
Selber löschen
Da in Griechenland die Wasserversorgung oft für Stunden unterbrochen wird, haben wir bei uns eine grosse Zisterne eingerichtet. Diese gibt dem Haus Wasser, wenn die Versorgung ausfällt und wird danach wieder aufgefüllt. Als sich unserem Haus vor einigen Jahren ein Brand näherte, wässerten wir mit Wasser der Zisterne das Haus und das ganze Grundstück, während die Dorfbevölkerung den Brand löschte, der zum Glück frühzeitig entdeckt worden war.
In griechischen Dörfern verfügen viele Häuser nicht nur über Zisternen, sondern Landwirte rüsten ihre Pickup-Wagen mit grossen Zisternen aus. Ich habe diese schon oft gesehen und verstehe jetzt ihre Existenzberechtigung. Viele Häuser verfügen also durchaus über minimale Löschvorrichtungen für den Brandfall. Hydrant ist zwar ein griechisches Wort; diese Vorrichtung gibt es aber in Hellas nicht.
Viele Menschen in Nord-Euböa weigerten sich, den Evakuationsbefehlen Folge zu leisten. Sie organisierten sich in spontanen Löschtrupps und bekämpften die Brände in Eigenregie. Sie nahmen ihre Zisternen und Schläuche – und löschten. Es ist dokumentiert, dass zum Teil auch Schläuche der Feuerwehr verwendet wurden. Und die Do-it-yourself-Feuerwehr war überraschend erfolgreich! Einige Dörfer wurden so komplett gerettet, viele Menschen konnten ihr Hab und Gut so erhalten, während die Regierung die Dörfer einfach den Flammen überlassen wollte. Das hat nicht nur damit zu tun, dass die Menschen ausgerüstet waren, sondern auch mit dem windstillen Wetter.
Aus Fehlern nichts gelernt
Die griechische Regierung zögerte lange mit dem Auslösen des EU-Katastrophenschutz-Mechanismus. Als dieser Alarm dann schliesslich kam, fuhr beispielsweise die polnische Feuerwehr sofort los. Natürlich brauchten die 143 Spezialisten mit den 46 modernen Fahrzeugen fast drei Tage bis nach Griechenland. Als sie dann am 10. August in Nord-Euböa eintrafen, war das Gros der Feuer schon gelöscht.
Schon lange kritisieren Experten, dass der griechische Brandschutz unzureichend ist. Ein Grund für die Wahlniederlage der damaligen Regierung waren die erwähnten verheerenden Feuer von Mati im Jahr 2018, bei denen 102 Menschen ums Leben kamen. Es war die jetzige Regierungspartei, die dieses Feuer zum Wahlkampfthema machte. Seit sie Regierungsverantwortung trägt, passierte aber nicht viel. Im Gegenteil: 5000 Zeitverträge wurden nicht erneuert. Ferner wurden alle Feuerwehrleute, die sich nicht impfen lassen wollten, genau vor der Brandsaison in den unbezahlten Urlaub geschickt. Bis heute hat man sie nicht zurückgerufen und Prävention wird immer noch nicht betrieben. Genauso wie nach der Katastrophe von 2007.
Die Fernsehsender wurden rekapitalisiert, damit sie Staatspropoganda betreiben; die Polizei erhielt Geld, damit sie Menschen, die die Ausgangssperre missachten, niederknüppeln und die Armee erhält Geld für französische Kampfflugzeuge. In Bezug auf Brandbekämpfung passiert aber kaum etwas. Mehrere Feuerwehrkommandanten, die wegen der Brandkatastrophe in Mati eine Anklage am Hals haben und sich nur gegen Kaution auf freiem Fuss bewegen, sind nicht nur in Amt und Würden, sondern wurden noch befördert.
Nach der Feuerhölle von Athen, Peloponnes und Euböa verspricht die Regierung natürlich, jetzt alles besser zu machen und die abgebrannten Wälder aufzuforsten. Wetten, dass von der Regierung wiederum nichts kommt? Auch jetzt lodern in Griechenland noch Brände, zum Beispiel diese Woche im attischen Vilia.
Beten gegen das Feuer
Das Kloster Osios David ist – oder besser: war – in einem wunderschönen Wald nördlich von Rovies gelegen. Als sich die Flammen dem Kloster näherten, gab der Metropolit von Chalkis die Anweisung, dieses zu räumen. Die Priester nahmen die heiligen Ikonen und die Reliquien des Klosters an sich und verliessen den Ort. Es blieben aber drei Mönche und einige Feuerwehrleute, die Bäume im Umkreis fällten, um ein Übergreifen des Feuers auf das Kloster zu verhindern. Die Flammen reichten buchstäblich bis vor die Türen des Klosters, wo sie abrupt stoppten. Das Kloster blieb unversehrt und die Mönche sind überzeugt, dass ihre Gebete zur Errettung dieser heiligen Stätte erhört wurden.
Bewegend ist die Geschichte von Prokopi. Dort befindet sich die Pilgerstätte des Johannes von Euböa, Ioannis tu Rosu oder Johannes der Russe. Es ranken sich viele Erzählungen um den wundertätigen Heiligen, und sein Grab entwickelte sich bald zu einer Pilgerstätte. Nach der Vertreibung der Griechen aus Kleinasien brachten orthodoxe Gläubige den Schrein mit dem angeblich unverwesten Heiligen ins neue Prokopi auf der Insel Euböa.
Eines der Grossfeuer bedrohte nun das Dorf und die Pilgerstätte. Coronabedingt sind in Griechenland Litaneien und Prozessionen verboten. Die Bewohner von Prokopi missachteten aber dieses Verbot. Der Heilige wurde aus der Kirche geholt, und in einer bewegenden Prozession wurde um Regen und den Beistand des Heiligen gebetet. Trotz stabiler Hochdrucklage zogen noch am gleichen Abend Wolken über Prokopi auf. Ein zwanzigminütiger Starkregen löschte das Grossfeuer um Prokopi. Das Dorf, die Pilgerstätte und die Umgebung waren gerettet.
Aufforsten oder der Natur ihren Lauf lassen?
Die Menschen vor Ort sind überzeugt, dass es sich bei den Bränden in Nord-Euböa um Brandstiftung handelt. Trotzdem wäre das positive Szenario: Die Natur wird in Ruhe gelassen. Dann würde sich die Wälder in einigen Jahren regenerieren. Und die Menschen vor Ort erhielten in diesem besten Fall grosszügige Unterstützung und Entschädigungen, damit sie nicht abwandern.
Aktiv Aufforsten wäre weniger gut, vor allem mit den schnell wachsenden hybriden und patentierten Arten, wie sie die Regierung in die Diskussion einbringt. Solche Arten sind nicht angepasst an die gewachsene Flora des nördlichen Euböas und könnten diese verdrängen. Hoffen muss man, dass die kommenden Regenfälle keine Erosion auslösen und so die Regeneration gefährden.
Brannten die Wälder für die Errichtung von Windparks?
Als ich in diesem Jahr in Euböa eintraf, fielen mir zuerst zwei Dinge auf. Wie in Lakonien hatte es vor fünf Jahren in Süd-Euböa gebrannt. Bei der Fahrt sah ich, dass – wie in Lakonien – in diesen Gebieten nun anstatt Wald riesige Windräder gewachsen sind. In unserem Ort angekommen, sah ich ein Plakat: «Nein zu den Windrädern auf Euböa.» Gerade in Nord-Euböa ist der Widerstand gegen die geplanten Windparks stark, wie ich dann erfuhr. – Gibt es einen Zusammenhang der Energieprojekte mit der Feuersbrunst?
Um zu unserem Haus auf Euböa zu gelangen, fahren wir jeweils durch das Städtchen Aliveri. Noch in den Neunzigerjahren war es umhüllt von einer beissenden Dunstglocke, die vom jetzt stillgelegten nahen Braunkohlekraftwerk stammte. Einige Jahre später, auf einer Fahrt durch Nordgriechenland, sah ich die Braunkohle-Kraftwerksblöcke von Ptolemaïa. Monströse Riesengebäude inmitten einer umgepflügten Mondlandschaft. Man ist froh, wenn man nicht anhalten muss.
Griechenland setzte bei der Stromproduktion traditionell auf Braunkohle. Diese ist in Hülle und Fülle vorhanden und liefert im wahrsten Sinne des Wortes dreckbillige Bandenergie. Allerdings ist es der wohl schmutzigste Rohstoff, der für die Stromproduktion in Frage kommt. Beim Kyoto-Protokoll erhielt Deutschland im Jahr 1997 eine vierzigjährige Frist für den Ausstieg aus der Braunkohle. Griechenland muss bereits spätestens 2028 alle Braunkohlekraftwerke stillgelegt haben.
Das ist schon deshalb eine Herausforderung, weil nicht klar ist, wie die Braunkohle ersetzt werden soll. Bis in die jüngste Zeit wurden noch Milliarden in Braunkohle investiert; das nahende Ablaufdatum verdrängt man. Das Kraftwerk Ptolemaïda 5 ist immer noch im Bau, wobei es wohl nie mit Braunkohle betrieben, sondern direkt auf Gas umgestellt wird.
Windräder, um Bussen zu vermeiden
Griechenland muss also auf Biegen und Brechen aus der Braunkohle aussteigen, damit das Land nicht die entsprechenden Bussgelder bezahlen muss. Gleichzeitig handelt es sich bei den Braunkohlekraftwerken um «stranded assets», das heisst, sie haben bis in jüngste Zeit Milliarden gekostet, sind aber nun praktisch wertlos geworden. In Zukunft wird die Bandenergie wohl mit fossilem Gas produziert und die Braunkohle per Lastwagen nach Deutschland transportiert, wo sie verstromt wird. So retten wir dann das Klima ...
Nebst Gas setzt die griechische Regierung auf Windräder. Prima vista würde sich diese Energieform eignen, da an der Ägäis recht starke und mit etwas Glück auch beständige Winde wehen. Die Etablierung von Windparks ist aber schneller gesagt als getan. Es bedarf eines ausgeklügelten Programms, das die ökologischen Kosten minimiert und eines Zeitplans, der nicht auf den schnellen Profit ausgerichtet ist.
Damit eine Windturbine produktiv sein kann, muss sie sehr gross sein, sich langsam drehen und in einem Gebiet stehen, in dem mässige Winde herrschen. Bei böigem Wind kann die Turbine nicht arbeiten, weil die Lager übermässig belastet und das Wechselrichtersystem überlastet werden. In Karystos in Süd-Euböa sind bei starkem Wind bereits die ersten Windräder geknickt und umgefallen.
Zusätzlich bedarf es bei einem Windpark eines «smart grid», eines modernen Stromleitungssystems aus Hoch- und Mittelspannungs-Schaltanlagen, um die stark schwankende Stromproduktion aufzufangen und auszugleichen. Jedes einzelne Windrad benötigt zudem eine riesige Fläche. Und diese darf natürlich nicht bewaldet, vielmehr sollte sie idealerweise ganz frei von Vegetation sein. Das Windrad muss für Unterhaltsarbeiten über eine Asphaltstrasse zugänglich sein und mit den entsprechenden Kabeln mit dem Netz verbunden werden. Es müssen also zahlreiche breite Strassen in den Wald gebaut und riesige Plätze angelegt werden, wobei für jeden Sockel etwa 500 Kubikmeter Beton verbaut werden.
Die Gunst der Stunde genutzt?
In Süd-Euböa wurden die Windräder zu einem grossen Teil während der Ausgangssperre aufgebaut, als es weniger auffiel und schwierig war, Einsprachen zu organisieren. Es war bekannt, dass auch im dicht bewaldeten Nord-Euböa 65 von 104 zusätzlich geplanten Windturbinen mit einer installierten Leistung von 470 MW aufgestellt werden sollten. Obwohl es unsinnig ist, in Waldgebieten Windräder zu bauen, war genau das der Plan.
Ernsthafte Fragen wirft die Tatsache auf, dass die Energieregulierungsbehörde (RAE) einen Monat vor dem Brand den Bau von Windparks ausgerechnet in den Gebieten genehmigte, die im Norden Euböas brannten. Der Gemeinderat von Mantoudi-Limni-Agia Anna – eine der vom Feuer am meisten betroffenen Gemeinden – verabschiedete am 22. Juli mit einstimmigem Beschluss eine Resolution, in der er sich gegen die Entscheidung der RAE aussprach.
Die RAE hatte schon früher erklärt, dass in der Region Nord-Euböa der bestehende Flächennutzungsplan zugunsten von erneuerbaren Energiequellen überarbeitet werden müsse, denn die Grundstücke, für die die RAE in Nord-Euböa Baugenehmigungen erteilt hat, gehören forstwirtschaftlichen Genossenschaften und der Kirche. Und sie befinden sich teilweise in Gebieten, die unter Naturschutz stehen. Es sind dichte Waldgebiete.
In Schweizer Medien las man, dass ein Präsidialdekret erlassen wurde, wonach die verbrannten Flächen aufgeforstet würden. Nicht erwähnt wurde aber, dass es Ausnahmen gibt für Vorhaben, die im «nationalen Interessen sind». Zum Beispiel Windräder. – Jetzt sind die Brände gelöscht, die Fernsehkameras abgezogen und die Menschen vor Ort ihrem Schicksal überlassen.
Eine Nachbemerkung für den Fall, dass Sie noch keine Ferienpläne haben: Reisen Sie nach Nord-Euböa. Sie helfen so den Menschen. Fahren Sie nach Limni oder nach Agia Anna oder nach Rovies – und machen Sie einen Besuch bei Osios David und in Prokopi.