US-Außenminister John Kerry gab den Ton vor: „Wir reden in der Öffentlichkeit grundsätzlich nicht über Geheimdienstangelegenheiten, und wir werden auch jetzt nicht damit beginnen.“ Und wie üblich folgte Australien, das für den Mangel einer eigenen Außenpolitik bekannt ist, den Vorgaben aus Washington und London.
Ohne Schuldgefühl
„Man sollte von Australien genauso wenig eine Entschuldigung für die Maßnahmen erwarten, die wir zum Schutz unseres Landes ergreifen, wie das von anderen Regierungen für ähnliche Schritte erwartet werden sollte“, erklärte Ministerpräsident Tony Abbott vor dem australischen Parlament. Als Radio Fairfax aus Sydney fragte, ob Australien zugestimmt habe, die Abhöroperationen in Indonesien nun einzustellen, antwortete Abbott mit einem klaren „Nein. Aber wir sind enge Freunde. Wir sind strategische Partner. Ganz sicher wünsche ich, dass Australien ein vertrauensvoller Partner Indonesiens ist, und wie ich hoffe, Indonesien ein vertrauensvoller Partner Australiens ist.“
Er bedauere „die Erklärung des australischen Ministerpräsidenten, der die Abhörpraxis ohne ein Anzeichen von Schuldgefühl trivialisierte“, zeigte sich Indonesiens Präsident Susilo Bambang Yudhoyono enttäuscht und verwundert über den südlichen Nachbarn. Ihm sei unklar, warum es Australien für notwendig erachtete, seine Gespräche abzuhören: „Wir sind keine Feinde.“ Vollständige Kooperation wird mit Australien nicht wiederhergestellt sein, bis ein „Verhaltenscode“ über zukünftige Geheimdienstaktivitäten zwischen Jakarta und Canberra beschlossen sei.
Ahnungslose Ministerpräsidenten
Zunächst hatte der Sydney Morning Herald unter Hinweis auf Dokumente zu einer „Operation Stateroom“ aus der Sammlung des Whistleblowers Edward Snowden berichtet, dass die australische Botschaft in Jakarta mit Einrichtungen zum Abhören von Telefonen versehen sei. Dann veröffentlichten The Guardian Australia und die Fairfax Media gleichzeitig als „Top Secret Comint“ gezeichnete Dokumente, wonach das Australian Signals Directorate (ASD) die gesamte Kommunikation des indonesischen Präsidenten, seiner Frau Kristiani Herawati, des Vizepräsidenten, des ehemaligen Vizepräsidenten Jusuf Kalla, des Regierungssprechers sowie der Minister für Finanzen, für Kommunikation, für Koordination und Sicherheit und des Ministers des Staatssekretariats belauscht habe.
„Stateroom“ ist Teil einer gemeinsamen Geheimdienstoperation eines 1947 vereinbarten Abkommens über die Zusammenarbeit der Geheimdienste der USA und Großbritanniens, „UKUSA“, dem später Kanada, Australien und Neuseeland beitraten. Die Kooperation zwischen den Geheimdiensten war so geheim, dass nicht einmal Australiens Premierminister davon wussten. Erst 1973, als der damalige Ministerpräsident Edward Gough Whitlam von seinen Geheimdienstchefs Auskunft über ihre Tätigkeit und über die Bedeutung etlicher Gebäude verlangte, die einsam irgendwo im Outback standen, in Pine Gap bei Alice Springs oder in Nurrungar an der Nordwestküste Australiens, erfuhr die Regierung davon.
Dort waren wichtige Teile des globalen Spionage-Satellitensystems der USA untergebracht, eine Kommunikationsstation der US-Navy, ein riesiges elektronisches Kontrollzentrum, das von der Nationalen Sicherheitsagentur (NSA) eingerichtet war, um Nachrichten, Telefonate, Telexe, E-mails etc., die in Australien eingingen und von dort ausgingen, zu kontrollieren. Anfang November 1975 feuerte Whitlam die Chefs der beiden australischen Nachrichtendienste, weil sie die CIA bei verdeckten Operationen in Osttimor (in Vorbereitung der indonesischen Invasion am 7. Dez. 1975) unterstützt hatten.
Atombombeneinsatz in Erwägung gezogen
Die Australian Security and Intelligence Organization, ASIO (1), und ASD waren schockiert und alarmierten ihre amerikanischen Partnerorganisationen. Die sahen in der Regierung Whitlam schlicht „nordvietnamesische Kollaborateure“.(2) Also schickte Washington Marshall Green als Botschafter nach Canberra, der unter Diplomaten als „the coupmaster“ (Putschmeister) bekannt war. Zuvor hatte die Anwesenheit Greens schon in vier Ländern zu Regierungswechseln geführt (u.a. in Indonesien). Einer Versammlung von australischen Wirtschaftsmanagern versprach Greene denn auch sofort nach Ankunft, sie könnten „die gleiche Hilfe der Vereinigten Staaten erwarten“, wie sie schon „Südamerika bekommen“ habe. Nur wenige Monate zuvor hatte die CIA in Chile erfolgreich den Sturz der sozialistischen Regierung Salvador Allendes betrieben. CIA-Direktor William Colby beschrieb die Regierung Whitlam später als eine von drei Weltkrisen, die in seine Amtszeit fielen, vergleichbar der Nahost-Krise 1973 (Yom Kippur-Krieg), bei der die USA den Einsatz von Atombomben in Erwägung gezogen hätten.
Green hatte nur wenig Zeit. In zwei Monaten stand der Vertrag um Pine Gap zur Verlängerung an. Und Whitlam war nicht bereit, einer Vertragsverlängerung zuzustimmen. Die Schließung der Anlage in Pine Gap aber gefährde die gesamte westliche Allianz, jammerten CIA und NSA, die Allianz würde strategisch blind. In einem Telex an ASIO bezeichnete Theodore Shackley – der berüchtigte Chef der CIA-Ostasien-Abteilung, der zuvor schon Operationen gegen Kubas Fidel Castro oder Chiles Salvador Allende und die CIA-Stationen in Laos und Vietnam geleitet hatte – den australischen Ministerpräsidenten als Sicherheitsrisiko für sein eigenes Land.
Nun wurde der Generalgouverneur eingeschaltet, Sir John Kerr. Sir John, der Repräsentant der Queen von England in Canberra, pflegte hervorragende Beziehungen zur CIA, weshalb sie ihn in Langley gerne als „unser Mann in down under“ bezeichneten. Am 11. November, ehe Whitlam wie geplant das Parlament über die amerikanischen Nachrichtenanlagen in Australien informieren konnte, bestellte Kerr den Ministerpräsidenten in sein Büro und entließ ihn kurzerhand aus dem Amt, löste beide Häuser des Parlaments auf und ernannte Malcolm Fraser, den Vorsitzenden der Liberalen Partei, zum Interimsregierungschef bis zu Neuwahlen. Die CIA dankte der Liberalen Partei für ihre Kooperation mit 2,4 Millionen Dollar für die Parteikasse. 1982, kurz vor dem Australien-Besuch des amerikanischen Vizepräsidenten George Bush, der nach Colby’s Rücktritt CIA-Chef gewesen war, veröffentlichte die CIA eine seltsame Stellungnahme: „Die CIA war nie an Operationen gegen die australische Regierung beteiligt…“
Indonesische Reaktionen
Präsident Yudhoyono reagierte erzürnt auf die Lauscherei. Er zog seinen Botschafter aus Canberra ab, brach ein gerade angelaufenes gemeinsames Manöver mit Australien ab und stornierte die Zusammenarbeit mit dem Nachbarn bei der Bekämpfung von Menschenschmugglern, die Flüchtlinge aus Afghanistan und Irak in elenden Seelenverkäufern via Indonesien nach Australien verfrachten. Prompt nutzen prominente Menschenschmuggler den derzeitigen Tiefstand der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Allein in den letzten 40 Tagen des vergangenen Jahres erreichten sieben Flüchtlingsboote unbehelligt von indonesischen Patrouillen Australiens Küsten.
Und schon klagt eine zunehmende Zahl von Firmenmanagern über Verzögerungen bei Wirtschaftsabschlüssen mit der Regierung oder Investitionsgenehmigungen. Im vergangenen Jahr betrugen Australiens Auslandsinvestitionen in Indonesien 4,9 Milliarden Dollar. „Wir beobachten ein gewaltiges japanisches, koreanisches und chinesisches Interesse an Indonesien“, klagte Michael Andrew, Vorstandsvorsitzender der Wirtschaftsprüfungs- und Unternehmensberatungskooperative KPMG Hongkong. „Australiens Position im internationalen Wettbewerb hat sich verschlechtert, seit Andere bevorzugte Behandlung erfahren.“
Das nächste bilaterale Treffen zwischen Australien und Indonesien ist erst für Juni geplant. Der Konflikt müsse unbedingt vorher beigelegt werden, verlangen Unternehmer, Sicherheitsorgane und Militärs. Sie fürchten, die indonesische Regierung sei zu diesem Zeitpunkt nur noch eine „lame duck“. Denn am 9. Juli werden dort Präsidentschaftswahlen abgehalten. Und Präsident Susilo Bambang Yudhoyono kann nach zwei Amtszeiten nicht wiedergewählt werden.
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(1) In den neunziger Jahren geriet ASIO in die Schlagzeilen, als herauskam, dass der Nachrichtendienst seit seiner Gründung 1945 Hunderte ehemaliger Nazikollaborateure und Kriegsverbrecher hauptsächlich aus Kroatien, Slovenien, Litauen, Lettland, Estland und der Ukraine beschäftigte.
(2) Pilger, John, “A Secret Country”, Vintage, London, 1992, S. 190