Es gibt Begriffe, die haben einen verlässlichen Klang. Bankgarantie ist so einer. Verspielt, verloren, verzockt. Während der Finanzkrise 1 zeigten auch Schweizer Banken ihren Kunden, dass das Wort «100 Prozent Bankgarantie» nicht das Hochglanzpapier wert ist, auf das es gedruckt wurde. Gibt es dazu noch eine Steigerung? Natürlich: staatliche Einlagegarantie. Dieser Ausdruck ist das letzte Bollwerk, das einem Kleinsparer Sicherheit und Vertrauen geben soll. Verspielt, verloren, verzockt.
Kein Spielraum
Für den Kleinsparer gibt es bei Vertrauen keinen Verhandlungsspielraum. Er versteht den Begriff «staatliche Einlagesicherung bis 100’000 Euro» so, wie er gemeint sein sollte: Der Staat, notfalls vielleicht sogar der europäische, steht für Bankguthaben bis 100’000 Euro gerade. Unbedingt, zweifellos, komme da, was wolle. Allein das gibt dem Kleinsparer in turbulenten Zeiten Sicherheit, ist der letzte Schutzwall gegen Unsicherheit, Angst, Panik, Bank Run, also Stampede und rette sein Geld, wer kann. Wer sich daran vergreift, mit oder ohne formaljuristische Spitzfindigkeiten wie der, dass das ja weiterhin so sei, Ehrenwort, aber es gebe da eine kleine Sonderabgabe, eine Art Zusatzsteuer, nur ein Mal, ausnahmsweise, nur in Zypern, handelt völlig verantwortungslos.
Der Vasella-Faktor
Gab es noch etwas Schlimmeres als den einstimmig gefällten Beschluss, Herrn Vasella 72 Millionen Franken für ein Konkurrenzverbot zuzusprechen? Ja: Diesen Beschluss sofort, nach öffentlichem Gegenwind, wieder zurückzunehmen. Wäre er richtig gewesen, hätte man ihn doch wohl verteidigen und begründen können. Das gilt noch verschärfter für den einstimmigen Beschluss – wohlgemerkt auch mit der Stimme Zyperns –, alle zypriotischen Bankeinlagen um 6,75 bis 9 Prozent zu enteignen. Was ist vom Sachverstand der Euro-Spitzenpolitiker, aller beteiligten Experten von EZB, IMF und Finanzbehörden zu halten, wenn dieser Beschluss bereits wieder neuverhandelt wird, kaum ist die Tinte trocken? Und nun munter zurückgekrebst wird. Nachdem das Vertrauen verspielt wurde, sollen neu Sparguthaben bis 100’000 Euro doch nicht teilenteignet werden. Schön, aber war das nicht ein einstimmiger Beschluss vorher, der Weisheit letzter Schluss?
Der Vertrauensbruch
Was hätte von Anfang an dagegen gesprochen, Einlagen erst ab 100’000 Euro prozentual zu enteignen, beginnend mit zum Beispiel 15 Prozent und progressiv steigend auf 25 oder 30 Prozent? Eigentlich nichts, ausser dem grossen Geschrei der Betroffenen. Aber immerhin hätte man gleichzeitig dem Kleinsparer gezeigt, dass die EU sogar in einem selbstverschuldeten Schlamassel wenigstens in fundamentalen Fragen zu ihrem Wort steht. Man kann zwar berechtigte Zweifel an der Fähigkeit der EU-Regierung haben kann, selbst ein winziges Problem wie Zypern zu lösen. Aber wenigstens wäre der breiten Masse der Bevölkerung nicht nochmals vorgeführt worden, dass sie auf nichts vertrauen kann. Ausser auf die Kraft des Protests, des zivilen Ungehorsams gegen die Obrigkeit.
Und die Folgen
Was hält den Kleinsparer in Griechenland, Portugal, Spanien und Italien davon ab, in Massen sein Sparkonto zu räumen? Eine Bankgarantie? Eine Staatsgarantie? Vertrauen? Nein, einzig die Tatsache, dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist, träge, mit begrenzter Fantasie. Selbst wenn durch die anhaltende Wirtschaftskrise Vertrauen immer mehr durch Misstrauen ersetzt wird, reicht das alleine nicht aus, damit es eine Stampede auf Banken gibt. Je instabiler aber dieser nicht auf Rationalität, sondern letztlich auf Gefühlen beruhende Zustand wird, umso grösser wird die Gefahr, dass es plötzlich, ansatzlos zu einer Stampede kommt. Das sind Phänomene, die nicht zweckrational analysiert werden können, sondern höchstens mit Massenpsychologie.
Zwei Seiten der Medaille
Mit Vertrauen verhält es sich wie mit der Reputation einer Firma, einer Regierung. Es braucht ziemlich lange, es aufzubauen. Ein kleiner Wortbruch, das sind alle von der Politik gewöhnt, ist nicht gut, aber noch kein gravierendes Problem. Man kann das auf vielen Gebieten durchexerzieren und bis zum völligen Verlust der Glaubwürdigkeit wiederholen: «Das Schlimmste ist vorbei.». Aber wenn es um den Spargroschen des Kleinanlegers geht, dann müsste eigentlich jeder Politiker mit einem Rest von Vernunft wissen, dass damit nicht zu spassen ist. Unter keinen Umständen. Wird das getan, sind die Folgen unumkehrbar, ist mit reiner Zahlenmassage, Freibeträgen oder gar der Rücknahme dieses Beschlusses nichts mehr zu reparieren.
Alternativlos
Um diesen völlig unsinnigen und zudem zwecklosen Vertrauensbruch wieder zu heilen, gibt es alternativlos nur zwei Möglichkeiten. Entweder wird per sofort die Bankenunion europaweit eingeführt – oder Zypern erklärt Staatsbankrott. Ach, natürlich gibt es noch eine dritte Alternative. Weiterwursteln, nachverhandeln, rumeiern, verantwortungslos und nur auf den nächsten nationalen Wahltermin starrend. Man sollte dabei nicht vergessen, dass Zypern im Juni 2012 auf Probleme hinwies und Hilfe verlangte. Und schon längst vor 2008, vor der Einführung des Euro auf der Insel, war bekannt, dass das zypriotische Bankensystem dank Schwarzgelddepots und lächerlich niedrig besteuerten Holdings zum grossen Problem anschwillt. Was die Eurokraten diesmal angestellt haben, ohne Sinn und Verstand zuerst eine Enteignung auch des Kleinsparers zu verkünden und die dann innerhalb von 24 Stunden zurückzunehmen, spottet jeder Beschreibung. Der Betrachter stellt sich fassungslos die Frage: Wenn Griechenland nicht repariert werden kann, nicht mal Zypern, scheitert dann Europa am Schluss an einer Krise in Andorra?