Knackpunkt ist die Frage, ob der Internationale Strafgerichtshof beauftragt werden soll, Anklage gegen die syrische Führung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu erheben. US-Präsident Barack Obama hat seinen Amtskollegen Baschar Al-Assad am Donnerstag zum Rücktritt aufgefordert.
Im Menschenrechtsrat, zu dessen 47 Mitgliedern auch die Schweiz gehört, haben die westlichen Staaten ausnahmsweise die Mehrheit hinter sich. 25 Ratsmitglieder unterstützten die Einberufung einer Sondersitzung wegen der Vorgänge in Syrien. „Das ist eine überwältigende Zahl“, freut sich ein deutscher Diplomat. Unter den Ko-Sponsoren befinden sich massgebliche arabische Staaten. Das zeigt, wie isoliert Al-Assad mittlerweile auf der internationalen Bühne ist.
Der syrische Präsident hat auch seine Freunde enttäuscht, weil er die Reformversprechen nicht erfüllte. Am Mittwoch las ihm UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon telefonisch die Leviten. Ban forderte die sofortige Einstellung der Militäreinsätze mit scharfer Munition gegen die Zivilbevölkerung und der Massenverhaftungen. Al-Assad versicherte seinem Gesprächspartner, dass die militärischen Operationen und Polizeieinsätze gestoppt worden seien. Die aktuellen Bilder aus den syrischen Städten überführen den Despoten aber der Lüge.
Die Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, hat in einem Bericht zuhanden des Weltsicherheitsrats die bisherigen Missetaten des Assad-Regimes aufgelistet. Sie dokumentiert darin summarische Hinrichtungen und die Misshandlung von Verhafteten. Es scheine die Strategie der Ordnungskräfte zu sein, „zu schiessen, um zu töten“, schreibt Pillay.
Auf der Grundlage des Pillay-Berichts hat die EU für die Sondersitzung des Menschenrechtsrats einen Resolutionstext entworfen, der die „andauernden schweren Verletzungen der Menschenrechte durch die syrischen Behörden, einschliesslich willkürlicher Hinrichtungen, übermässiger Anwendung tödlicher Gewalt gegen friedliche Demonstranten sowie Folter, systematische Verfolgung und Einschüchterung von Menschenrechtsaktivisten und Journalisten“ streng verurteilt. Die Regierung in Damaskus wird aufgefordert, die Verletzungen der Menschenrechte und die Gewalt zu beenden. Der Menschenrechtsrat soll eine unabhängige Untersuchungskommission nach Syrien entsenden, um vor Ort die Fakten und Umstände der im Juli begonnenen Demonstrationen und ihrer Unterdrückung zu ermitteln. Bisher gibt es allerdings keine Anzeichen, dass die syrische Regierung einer internationalen Untersuchungskommission die Einreise erlauben würde.
Die USA und die EU bereiten Wirtschaftssanktionen gegen Syrien vor, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Ein militärisches Eingreifen wird jedoch ausgeschlossen. Niemand hat Lust, das Irak-Abenteuer zu wiederholen. Diese Haltung ist aber nicht frei von Widersprüchen. Warum bombardiert die Nato mit dem Segen der UNO die Bastionen Gaddafis in Libyen und nicht jene des Assad-Regimes in Syrien. In beiden Fällen geht es doch angeblich darum, die Zivilbevölkerung zu schützen. Auch in Burma, wo eine Militärjunta seit Jahrzehnten die Bevölkerung drangsaliert und ausbeutet, ist die UNO bisher nicht über papierene Verurteilungen hinausgegangen.
Ebenfalls fragwürdig sind die Aufforderungen der USA und anderer westlicher Staaten an Al-Assad und Gaddafi, schleunigst abzutreten. Sie sind nicht durch die Charta der Vereinten Nationen gedeckt. Nicht nur Russland und China, sondern auch aufstrebende Drittweltländer wie Brasilien und Indien lehnen eine solche Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten als Ausdruck von Grossmachtarroganz ab.
Wie würde der Westen reagieren, wenn etwa China den Rücktritt Obamas oder Merkels fordern würde? Auf diese hypothetische Frage antworten westliche Diplomaten, dass sich Al-Assad und Gaddafi schwerer Verbrechen gegen ihre eigene Bevölkerung schuldig gemacht haben. Diese Verbrechen rechtfertigen das Eingreifen der Staatengemeinschaft nach dem von der UNO-Generalversammlung angenommenen Schutzverantwortung („responsibility to protect“).
Bei den Vorverhandlungen im Menschenrechtsrat haben die Russen durchblicken lassen, dass sie sich einer Syrien-Resolution nicht widersetzen würden. Die Chinesen hingegen lehnen eine ausdrückliche Verurteilung Syriens ab, möchten aber kaum am Ende mit Kuba als einzigem Gesinnungsgenossen im Regen stehen. Die Aussichten sind daher günstig, dass die Syrien-Resolution am Montagabend im Konsens angenommen wird. Ein Konsens hat mehr politisches Gewicht als ein Sieg in einer Kampfabstimmung. Der Preis dafür wird aber wahrscheinlich der Verzicht auf die Einschaltung des Internationalen Strafgerichtshofs sein.