Nie zuvor war die Lage für Berlusconi so ernst. Am Dienstag dieser Woche hatte er zum ersten Mal eine Abstimmung im Parlament verloren. Darauf stellte er die Vertrauensfrage. Hätten sich alle Parlamentarier so verhalten, wie am Dienstag, wäre Berlusconi heute gestürzt worden. Doch sie haben nicht.
316 Abgeordnete haben Berlusconi das Vertrauen ausgesprochen. 301 stimmten dagegen. 309 Stimmen für Berlusconi waren nötig.
Am Donnerstag, am Vortag der Abstimmung, hielt Berlusconi in der grossen Kammer eine leidenschaftliche 15minütige Rede und warb für seine Regierung. Es gebe keine Alternative zu ihr. Die Linke sei nur in ihrem „Anti-Berlusconismus“ geeint und besessen, ihn zu stürzen. Neuwahlen würden jene Kräfte an die Macht bringen, die Italiens Niedergang anstrebten. Spekulanten hätten dann die Oberhand. Der Opposition rief er zu „Ihr könnt mich nicht steinigen. Ich mache keinen einzigen Schritt zurück“.
Das Parlament im Montecitorio-Palast glich am Freitag einem Geisterhaus, als die Debatte über die Vertrauensabstimmung begann. Nur etwa ein Viertel der Deputierten waren anwesend. Mürrisch sass Berlusconi auf der Ministerbank. Immer wieder rieb er sich die Augen und legte die Hände vor das Gesicht. So sehen keine Sieger aus. Die Opposition boykottierte nicht nur seine gestrige Rede, sondern auch die Debatte am Freitag. Sie nahm erst an der Abstimmung durch Namensaufruf teil. Die gedrückte Stimmung im Parlament war fast symbolisch für die Lethargie, die im Land herrscht.
Ein Schuss vor den Bug – mehr nicht
Nach Berlusconis Rede am Donnerstag erklärte Claudio Scajola, der Anführer der „Rebellen“, er werde für Berlusconi stimmen. Damit schien die Sache gelaufen. Scajola, ein früherer Industrieminister und Parteifreund von Berlusconi, sah die Regierung in einer verzweifelten Lage und verlangte Neuwahlen. Ihm schlossen sich 22 Parlamentarier an, 13 davon aus Berlusconis eigenen Reihen.
Doch mehrere davon sind inzwischen umgefallen. Die „Rebellen“ in den eigenen Reihen wollten am Dienstag Berlusconi offensichtlich einen Schuss vor den Bug verpassen. Doch ihn stürzen – soweit wollten sie am Freitag dann doch nicht gehen.
Andere Ministerpräsidenten waren sofort zurückgetreten, als der Rechenschaftsbericht abgelehnt wurde. So 1973 Giulio Andreotti und 1988 Giovanni Gorio. Nicht so Berlusconi.
Er bezeichnete es am Donnerstag als „technischen Unfall ohne Konsequenzen“, dass Artikel 1 des Rechenschaftsberichts nicht angenommen wurde. Er werde jetzt einen neuen Rechenschaftsbericht vorlegen. Dieser werde sicher angenommen.
“Schmerzhaft langsamer Todeskampf“
Dass die meisten seiner Parteifreunde am Freitag einmal mehr für Berlusconi gestimmt haben, hat vor allem auch egoistische Gründe. Denn würde Berlusconi gestürzt, gäbe es Neuwahlen. Doch viele Parlamentarier fürchten sich davor, nicht wiedergewählt zu werden. Sie würden damit ihre immensen Privilegien verlieren. Keine Parlamentarier verdienen in der westlichen Welt so viel wie die italienischen. Da die Legislatur noch nicht zu Ende ist und bis 2013 dauert, würden vor allem jüngere Abgeordnete nicht die volle Pension kriegen. So stützen sie Berlusconi, damit er – und sie - die Legislatur zu Ende bringen können.
Trotz des heutigen Sieges: Berlusconi täte ungut daran zu triumphieren. Seine Position war noch nie so schwach. Wirklich regiert wird schon längst nicht mehr. Die Opposition spricht von einem „schmerzhaft langsamen Todeskampf“. Statt Massnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft durchzusetzen, verheddert sich das Parlament seit Jahren darin, Berlusconis persönliche Probleme zu beseitigen.
Das Kabinett ist nicht in der Lage, Antworten auf die stagnierende Wirtschaft und die hohe Verschuldung zu finden. Täglich werden neue Vorschläge gemacht, alles wirkt improvisiert, eine Strategie ist nicht erkennbar. Vertrauensbildend ist das alles nicht.
“Die Regierung ist schon tot“
Staatspräsident Napolitano hatte Berlusconi Mitte der Woche ausdrücklich ermahnt. Die Regierung müsse jetzt ernsthaft beweisen, dass sie noch handlungsfähig sei. Doch gerade das gelingt ihr nicht. „Die Regierung ist schon seit drei Tagen tot“, schreibt am Freitag Eugenio Scalfari, der grosse alte Mann der linksliberalen La Repubblica.
Die Financial Times, wohl kein linkes Blatt, wartete am Tag der Vertrauensabstimmung mit einem ungewöhnlich harten Kommentar auf. „Silvio, es ist Zeit zu gehen“ – „Silvio time to go“.
Der Druck der EU und der Europäischen Zentralbank auf Italien wächst. Die Wirtschaft glaubt längst nicht mehr, dass Berlusconi das Land aufrichten kann. „Mit diesem Ministerpräsidenten können wir im Ausland kein Vertrauen mehr gewinnen“, sagt die Chefin des Arbeitsgeberverbandes. Neue Wirtschaftszahlen belegen dies. Zudem warten jetzt erneut Korruptions- und Sexprozesse auf den angeschlagenen Premierminister.
Das Volk scheint endlich genug zu haben. Demonstrationen häufen sich. Am Samstag werden in Rom über 200‘000 Demonstranten erwartet. Während der Vertrauensabstimmung manifestierten Studenten vor dem Parlament. Diese Woche hat mehr als deutlich gemacht, dass die Opposition in den eigenen Reihen wächst.
Auch in Berlusconis eigener Partei glauben nur noch wenige daran, dass die Regierung bis zum Ende der Legislatur im Jahre 2013 hält.
Gianni Alemanno ist Bürgermeister von Rom und wahrlich kein Linker. Er ist Mitglied von Berlusconis Partei „Volk der Freiheit“ (PdL). Spöttisch sagte er am Donnerstag: „Es ist wahrscheinlicher, dass die AS Roma oder Lazio Rom italienischer Fussballmeister wird, als dass Berlusconi bis 2013 durchhält“. Die AS Roma und Lazio Roma liegen im Moment auf den Plätzen sechs und sieben.