Nach Tagen der Ungewissheit, genährt durch Spekulationen, wissentliche Falschaussagen wie auch von falsch verstandenem Nationalstolz getriebene „Expertisen“, die keine waren, ist es seit der Nacht auf Samstag amtlich: Das ukrainische Verkehrsflugzeug, das am Mittwoch unweit des Imam-Chomeini-Flughafens von Teheran abstürzte, war Opfer eines Raketenangriffs und nicht – wie zumindest offizielle iranische Stellen bis zuletzt insistierten – eines Motor- oder anderen technischen Schadens.
Der Oberste Führer des Iran, Ajatollah Chamenei, drückte per Twitter Bestürzung und Mitleid aus, auch Präsident Hassan Rohani sprach Samstagfrüh sein tiefstes Bedauern und Mitgefühl mit den Hinterbliebenen der 176 Todesopfer aus und versprach eine Untersuchung der Hintergründe und des Hergangs des Vorfalls. Der oder die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen und die Hinterbliebenen entschädigt werden. Auch Aussenminister Dschawad Sarif verbreitete seine Mitleidsbekundung, er führte das zum Unglück führende menschliche Versagen wenigstens teilweise auf die „durch das Abenteurertum der USA verursachte Krise“ zurück.
Propagandakrieg und Vertuschung
Ein Argument, das zwar nicht von der Hand zu weisen ist, angesichts der Schwere des Unglücks vom Mittwoch aber kaum dazu taugt, den Streit mit den USA nun auf diese Weise fortzusetzen. So scheinen es auch viele Iraner zu sehen, die sich inzwischen offen kritisch über die eigene Führung äussern und ihr vorwerfen, sie habe die Ursachen des Flugzeugabsturzes vertuschen und statt dessen einen Propagandakrieg mit denen starten wollen, die Zweifel an der iranischen Darstellung des Absturzes geäussert hatten.
Solche Kritik an der iranischen Führung wird zusätzlich unterstützt durch das Argument, die Führung habe sich als unfähig erwiesen, auf die Herausforderung der gegenwärtigen Krise zu reagieren. So habe man zwar Imagepflege betrieben, indem man bei der iranischen Antwort auf die Ermordung des iranischen General Kassem Soleimani durch die USA bewusst die Tötung oder auch nur Verletzung amerikanischer Soldaten vermied, aber gleichzeitig keine Schritte zum Schutz der zivilen Luftfahrt im iranischen Luftraum unternahm. Wie schon ausländische Luftfahrtfahrtexperten vor ihnen fragen zahlreiche Iraner nun zum Beispiel offen im Internet, warum man am Tag der iranischen Raketen-Antwort auf die Ermordung des Generals nicht ein Flugverbot über Iran verhängt haben. Und nicht wenige scheinen überzeugt, dass die Führung nicht wirklich die Gründe hierfür aufdecken und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen wird.
„Technische Gesichtspunkte“
Immerhin aber haben die „Revolutionsgarden“ („Pasdaran“) inzwischen offiziell die Verantwortung übernommen. Deren Kommandeur der Luftwaffe, General Amir Ali Hadschisadeh, erklärte sich bereit, die Konsequenzen aus dem Vorfall zu ziehen, er liess aber wenig später auch wissen, dass ein technischer Fehler im Kommunikationssystem letztlich dazu geführt habe, dass das ukrainische Flugzeug für ein Flugmarschkörper gehalten und abgeschossen wurde. Womit er sich schützend vor seine Mitarbeiter stellt, nachdem er zuvor bereits die Mitarbeiter des Flughafens gegen Kritik in Schutz genommen hatte: Sie hätten den Vorfall nach „technischen Gesichtspunkten“ betrachtet und nichts über die militärischen Abläufe gewusst.
Die Reaktionen aus der Bevölkerung verdeutlichen einmal mehr, welch gefühlsmässige Wechselbäder diese durchmacht: Vor einigen Monaten noch gingen viele von ihnen auf die Strasse, um gegen steigende Benzinpreise und Korruption zu demonstrieren, die nächsten Demonstrationen waren die grössten, die der Iran je erlebt hatte: Die Solidaritäts- und Beileidsbekundungen für den ermordeten Kassem Soleimani. Und nun dies: Eine neue Krise im Verhältnis zu den USA, neue Militäraktionen, neue Sanktionen und gleichzeitig das Versagen der politischen Führung. Und weiterer Unmut dürfte programmiert sein, denn über die Hälfte der umgekommenen Passagiere des ukrainischen Flugzeuges waren Iraner oder Doppelstaatsbürger des Iran und anderer Staaten (zu Beispiel Kanadas).