Nicht selten sind es Übungen, die wir früher mit den Studenten eher spaßeshalber durchexerziert haben, um ihren Sinn für grössere Zusammenhänge zu schärfen. Heute müssen wir uns ernsthaft damit beschäftigen. Das beginnt mit Geschichten, wie einem bedingungslosen Grundeinkommen für Jedermann, welches es doch tatsächlich bis zu einer Volksabstimmung gebracht hat. Nun ja, vielleicht macht diese Übung den Leuten endlich klar, dass die Anzahl Unterschriften, mit welcher eine Minderheit heute die Mehrheit der Stimmbürger in der Schweiz an die Urne rufen darf, zumindest überdenkenswert ist.
Weiter dann zu den unsäglichen Diskussionen zur Abschaffung von Bargeld, um einen finanziell gläsernen Bürger zu schaffen. Nur weil man in einigen Ländern nicht imstande (bereit?) ist, die immer weiter um sich greifende Schattenwirtschaft in den Griff zu bekommen. Wir brauchen hier nicht darüber zu philosophieren, wie lange es dauern würde, bis solche Verbote zum Entstehen von alternativen Zahlungsmitteln führen würden. Der mündige Bürger lässt sich ganz einfach von Big Brother (oder seinen Vertretern) nicht alles vorschreiben.
Vielerorts scheint man vergessen zu haben, dass ein Staatsgebilde keinem Selbstzweck dient, sondern zunächst einmal eine Dienstleistungsorganisation ist, die dem mündigen Bürger zuarbeitet. Und nicht umgekehrt. Und für die entsprechenden Dienstleistungen ist der Bürger auch bereit, etwas zu bezahlen. Wenn, 1. der „service public“ in den Augen des Bürgers etwas Wert ist, und 2. der entsprechende Preis mit diesem „Wert“ etwas zu tun hat. Da scheint es an verschiedenen Orten Ungleichgewichte und Unzufriedenheiten zu geben, die dazu geführt haben, dass sich viele Bürger ganz einfach aus dem System verabschiedet haben – mit all den Konsequenzen, nicht zuletzt für die Finanzen der entsprechenden Staatsgebilde.
Aber für mich als Geldtheoretiker, ist der dritte Punkt, den ich diskutieren möchte, der beste: die alte Geschichte von Milton Friedman’s Helikoptergeld. Da beschreibt doch tatsächlich P. Béguelin kürzlich in der Finanz&Wirtschaft Friedmans simples Denkspiel als „geldpolitisches Wundermittel“, das die Deflation heilen soll. Zuerst hoffnungsvoll verunsichert, hatte ich gegen Ende des Artikels leider nicht mehr das Gefühl, ich würde eine Satire lesen. In gewissen Kreisen scheint Helikoptergeld als finales Instrument der Geldpolitik zur Konjunkturankurbelung in der Deflation tatsächlich ernsthaft diskutiert zu werden (genau gleich wie in gewissen Kreisen das bedingungslose Grundeinkommen ernsthaft diskutiert zu werden scheint). Und je mehr der eine dem anderen abschreibt, desto salonfähiger wird die Sache plötzlich.
Es wäre an der Zeit, dass sich Politik und Zentralbanken wieder einmal darauf zurückbesinnen, was die Aufgabe einer Zentralbank eigentlich ist, und was Geldpolitik leisten kann und soll und was nicht. Ganz sicher ist es nicht die Aufgabe einer Zentralbank, strukturschwachen Volkswirtschaften (wie beispielsweise Herrn Draghis Italien) irgendwelche konjunkturelle Wachstumsschübe zu verpassen. Weder ist dies die Aufgabe einer Zentralbank, noch kann sie das nämlich leisten.
Eine Zentralbank soll mit adäquaten Mitteln für einen stabilen Geldwert sorgen. Punkt. Und die Politik soll mit vernünftigen Struktur-, Industrie- und Fiskalmassnahmen Rahmenbedingungen schaffen, die es dem Privatsektor ermöglichen, sein Innovationspotential auszuschöpfen; Arbeitsplätze zu schaffen, Gewinne zu erzielen, Wirtschaftswachstum sicherzustellen, damit schliesslich Steuersubstrat entsteht.
Dabei ist ein Inflationsziel von 2%, das irgendeinmal, irgendwo, irgendwie definiert wurde, nichts anderes als eine Richtschnur, die man mit Preisstabilität gleichgesetzt hat. Einfach eine Definition. Entsprechend sollte man auch nicht so tun, wie wenn ein Abweichen von diesem Ziel - auch unter Null - eine deflationäre Krise signalisieren würde, die mit allen Mitteln zu bekämpfen wäre. Deflation ist eine Situation in welcher die Bürger und Konsumenten wegen der Erwartung weiter sinkender Preise den Konsum boykottieren und damit eine Krise hervorrufen. Davon sind wir meilenweit entfernt. Negative Inflationsraten, die auf Effizienzsteigerungen, Globalisierung, sinkende Erdölpreise etc., etc. zurückzuführen sind, haben eben nichts mit Deflation zu tun. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ökonomen der EZB das anders sehen. Aber offensichtlich kommt das nicht bis zu Herrn Draghi. Und wenn jetzt plötzlich die Meinung vertreten wird, man könne doch einfach „über Notenpresse und Helikopter“ jedem Bürger z.B. 5'000 Euro zukommen lassen (nur so nebenbei – und bitte nicht ernst gemeint: damit könnte man doch die ersten beiden Jahre des bedingungslosen Grundeinkommens finanzieren?!), damit der dadurch initiierte Konsum uns aus der Krise holt, dann wähne ich mich gelegentlich im falschen Film. Welche Krise? Die US Konjunktur brummt kräftig vor sich hin, verschiedene Länder Europas wachsen zufriedenstellend. Das Problem ist, dass ein paar Länder Südeuropas einfach ihre strukturellen Probleme nicht anpacken wollen. Da kann man so viele Helikopter schicken wie man will, das verbessert die Strukturen keinen Deut.
Zum zweiten sollten wir nicht vergessen, dass verschiedene Zentralbanken den Pfad der Tugend schon lange verlassen haben. Auch in der Akademia war man sich seiner Zeit einig, dass eine Ausnahmesituation wie die Finanzkrise ausserordentliche Maßnahmen auch und gerade auf Seiten der Zentralbanken rechtfertigen. Das Problem ist nur, dass in dem Moment, als die Finanz- von der Staatsschuldenkrise abgelöst wurde, plötzlich das Gefühl entstand, eine Zentralbank könne ja wohl jede Art von Problem lösen. Von kaputten Bankbilanzen, über vermeintlich ungenügende Konjunkturzahlen, zu tiefe Inflation, zu hohe Verschuldung bis hin zu ungesunden Wirtschaftsstrukturen.
Dabei hat man vielerorts nicht nur vergessen, was das eigentliche Pflichtenheft einer Zentralbank ist, sondern auch, dass dieses schon unter normalen Bedingungen oft nicht einfach zu befriedigen ist. Die Wirtschaft ist eben nicht das mechanische Räderwerk, das viele meinen. Bei welchem einfach irgendwelche Stellschrauben an einem Ort gedreht werden können, um an einem anderen Ort die gewünschten Wirkungen zu entfalten. Die Wirtschaft ist eher wie ein unkontrollierbarer Bienenschwarm, der einzig und allein durch klar definierte (politische und monetäre) Rahmenbedingungen (wenn überhaupt) gelenkt werden kann. Dabei können Experimente an irgendeiner Stelle des Systems, die irgendwelchen Phantastereien entspringen, dramatische Konsequenzen an irgendeiner anderen Stelle des Systems haben. Diese können das System als solches gefährden. Wir sollten uns hüten zu meinen, wir würden alle Querverbindungen und Funktionsmechanismen des „Systems Wirtschaft“ kennen. Gerade im Teilbereich der Geldpolitik hat uns immerhin die Geschichte einige Lektionen gelehrt, die wir als systemgefährdend charakterisieren könnten. Nicht selten begannen sie damit, dass man der Notenbank die notwendige Selbständigkeit abgesprochen und sie zur Monetisierung von Staatschulden missbraucht hat ...
Der Autor ist Professor für Finanztheorie an der Universität Basel und Gründungspartner der Finanzausbildungsplattform fintool.ch. Er hat u.a. eine Habilitationsschrift zu „Theorie und Empirie der Geldnachfrage“ (Springer-Verlag) verfasst. Der vorliegende Aufsatz ist in einer leicht verkürzten Version unter dem Titel „Zurück zum Kerngeschäft“ in der Finanz und Wirtschaft vom 2. April 2016 erschienen.