«Rosinenpickerei», Aussenminister Steinmeier, «müssen unsere Beziehungen überprüfen», Aussenminister Fabius, «das Ergebnis wirft erhebliche Probleme auf», Kanzlerin Merkel. Das sind nur drei der staatstragenderen Reaktionen aus dem Euroland, ersparen wir uns Zitate aus Brüsseler EU-Kreisen (oder Verbalinjurien aus deutschem Parlamentariermund wie «Die spinnen, die Schweizer»). Wunderbar, denn sie entlarven sich selbst. Dahinter schimmern die beiden wahren Probleme auf, die nicht die Schweiz, sondern die EU hat.
Denn eigentlich steckt hinter dem geheuchelten «Respekt» vor einer souveränen Schweizer Volksentscheidung ein aus nackter Angst gespeistes: «Ein Volk stimmt über so was ab, und erst noch falsch? Geht’s noch? Na warte!»
Problem eins
Der Schweiz geht es wirtschaftlich, sozial und politisch sehr gut. Nicht, obwohl sie kein EU-Mitglied ist, sondern genau deswegen. Weil sie keineswegs «Rosinenpickerei» betreibt, sondern ihr Verhältnis zur EU mit bilateralen Verträgen geregelt hat, denen, wenn ich mich nicht täusche, auch die EU zustimmte. Die EU ist zwar ein grosser Handelspartner der Schweiz, aber die Eidgenossenschaft ist auch der drittgrösste Handelspartner der EU.
Aber viel wichtiger und problematischer für die EU ist: Die kleine Schweiz mitten in Europa, ohne Naturschätze oder Kolonien, beweist jedem EU-Bürger, dass es allen Bewohnern, Schweizern wie Ausländern, besser geht, weil das Land nicht Mitglied im Trümmerhaufen Euroland ist. Sie hält also den Regierenden in allen Eurostaaten den Spiegel vor, in dem deren ganze Unfähigkeit und Verantwortungslosigkeit klar erkennbar ist.
Neben allem Getöse und mehr oder minder verhüllten Drohungen ist das die Ursache des Ärgers; in Berlin, Brüssel, Paris und in vielen anderen Eurohauptstädten. Alle den dort Regierenden ginge es viel besser, wenn es mitten in Europa nicht ein Beispiel gäbe, wie man als Kleinstaat und Nicht-EU-Mitglied erfolgreich sein kann.
Problem zwei
Nicht in den offiziellen Verlautbarungen und den sie abbildenden Medienberichten, aber massenhaft in den Kommentaren wird immer wieder bemerkt: Die Schweizer dürfen doch tatsächlich über so was abstimmen. Verräterisch ist diesbezüglich die Bemerkung des deutschen Regierungssprechers, dass die Möglichkeit zu einem ähnlichen Volksentscheid «kein Thema für diese Bundesregierung ist».
Blenden wir kurz zurück. In Frankreich stimmte 2005 eine Mehrheit der Bevölkerung gegen den damaligen EU-Verfassungsvorschlag. Folge: Das Parlament beschloss, dass das von nun an seiner alleinigen Entscheidung unterliegt. Auch die Niederlande lehnten den Verfassungsentwurf ab. Macht ja nichts.
Also verabschiedeten die europäischen Staats- und Regierungschefs 2009 den Verfassungsvertrag von Lissabon. Der wurde wiederum von der irischen Bevölkerung abgelehnt. Macht ja nichts, die Abstimmung wurde wiederholt, und unter der Androhung von Tod und Teufel im Rahmen der damaligen Finanzkrise stimmte die Bevölkerung im zweiten Anlauf zu.
Also die wenigen Male, bei denen europäische Völker die Chance hatten, ein Wort zur EU zu sagen, sagten sie Nein. Ein bedauerlicher Betriebsunfall, der sich in der ach so demokratischen EU ja nicht wiederholen darf. Verständlich, dass auch in dieser Beziehung die Schweiz ein Schreckgespenst für alle Eurokraten ist.
Dumme Völker?
Die Personenfreizügigkeit gehört zu den sogenannten Grundrechten innerhalb der EU. Die dadurch im Rahmen der EU-Wirtschaftskrise ausgelösten Migrationsströme, die Einwanderung in vorteilhaftere Sozialsysteme und bessere Arbeitschancen, sind eine Folge davon. Selbstverständlich werden dadurch Ressentiments geschürt, selbst in Staaten, die allesamt bedeutend niedrigere Anteile an Ausländern haben als die Schweiz, wenn man den Stadtstaat Luxemburg als Sonderfall ausnimmt.
Statt diese Befürchtungen ernst zu nehmen, werden sie notfalls mit der Rassismuskeule niedergeschlagen. Es werden dumpfe Warnungen gemurmelt, dass populistische, wenn nicht rassistische Parteien sich da ihr Süppchen kochen würden, besorgniserregend.
Die Beobachtung ist richtig, nur verwechselt sie Ursache und Wirkung. Auch hier wurde das Schlamassel von den Regierenden angerichtet, die Bewirtschaftung der Folgen durch rechtsnationalistische Gruppierungen ist nur die Folge davon.
Hält die Schweiz durch?
Das Verhalten der Schweizer Regierung beim Thema Steuerstreit gibt nicht allzu viel Anlass zu Optimismus. Aber während sich zu dieser Angelegenheit weder das Parlament noch das Volk äussern konnte – die abgelehnte Lex USA wurde einfach zu einer nicht referendumsfähigen Regierungsvereinbarung umgebogen –, liegt hier nun aber ein klarer Volksentscheid vor.
Der zudem genügend Spielraum lässt, damit in bilateralen Verhandlungen mit der EU für ein Mal auch der Schweizer Standpunkt verteidigt werden kann. Oberste Maxime dabei sollte sein: Die EU verfügt, im Gegensatz zu den USA, über keine Kavallerie. Wirklich nicht. Und die bilateralen Verträge haben zwar eine Guillotine-Klausel, aber keine Bange: dass Verträge gekündigt werden, ist das Normalste auf der Welt. Anschliessend werden neue ausgehandelt. Grosses Ehrenwort: Wäre nicht das erste Mal in der Geschichte Europas ...