Als Mao Dsedong – nachweislich den Reizen junger, schöner Frauen bis ins hohe Alter nicht abgeneigt – nach dem Sieg im Bürgerkrieg 1949 an die Macht kam, war China ein Sündenpfuhl. Dem «Grossen Steuermann» missfiel das asiatische Sodom und Gomorra. Er wollte der sozialistischen Tugend, so wie er sie verstand, zum Durchbruch verhelfen. Die erste Kampagne gegen Prostitution wurde zu einem Erfolg. Die Arbeiterinnen des ältesten Gewerbes der Welt wurden arretiert und umerzogen. Während der Mao-Zeit gab es deshalb keine öffentlich wahrnehmbare Prostitution mehr. Sozialistische Prüderie war das Gebot der Stunde. Auch das Glücksspiel wurde verboten. Und Drogen im ehemaligen Opiumparadies sowieso.
Hartes Durchgreifen
Nach Beginn der Reform flossen die alten Verderbtheiten und Verirrungen wieder in den Alltag der «sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung» ein. Korruption, Prostitution, Glücksspiel und Drogen wurden erneut zum Thema. So wurden in den letzten fünfunddreissig Reformjahren unzählige Kampagnen landauf, landab inszeniert: gegen Korruption, gegen Drogen, gegen das Sexgewerbe und gegen das Glücksspiel. Offenbar, wie sich jetzt gerade wieder zeigt, ohne durchschlagenden Erfolg.
Parteichef Xi Jinping, der im Herbst 2012 zur obersten Autorität des Landes aufstieg, zog andere Saiten auf als seine Vorgänger. Er ordnete «hartes Durchgreifen» an. Zunächst befahl Xi den Beamten ulitmativ Frugalität, also Bescheidenheit und Dienst am Volke, von ganz oben in Peking bis hinunter in die letzte Präfektur, den letzten Kreis und das letzte Dorf.
Fortan galt zum Beispiel das Prinzip «Vier Gerichte – eine Suppe». Vorbei die Zeiten üppiger Bankette mit Haifischflossen, Vogelnestsuppe und teuren Tropfen französischer Provenienz. Darauf folgte, einmal mehr, eine harte Anti-Korruptionskampagne. Es ging gegen «Tiger und Fliegen», wie Partei-Supremo Xi Jinping sich metaphorisch auszudrücken pflegt. Einige Tiger sind tief gefallen, so ein Politbüromitglied, ebenso Minister und hohe Beamte. Auch unzählige Fliegen traf es natürlich.
Drei Laster
Und jetzt, seit Mitte Februar, sollen einmal mehr die «drei Laster» ausradiert werden. Das Ministerium für öffentliche Sicherheit warnte Beamte auf allen Stufen landesweit, dass sie für illegale Aktivitäten bei Prostitution, Glücksspiel und Drogen zur Verantwortung gezogen würden. Unnachgiebig und streng nach geltendem Gesetzt selbstverständlich. Die Volkszeitung Renmin Ribao – das Sprachrohr der Partei – liess denn auch verlauten, dass das Sicherheitsministerium «grossen Wert auf die Kampagne lege und resolut untersuchen, streng bestrafen und unbeugsam die Organisatoren, Betreiber und ‚schützenden Schirme‘ hinter der Prostitution attackieren» werde.
Die Kampagne der Zentralregierung wurde offensichtlich von Aktionen in der weltoffenen Südprovinz Guangdong (Kanton) inspiriert. Unter dem Slogan «Vernichtet das Gelbe!» wurde dort zunächst gegen Prostitution vorgegangen. Gelb wird in China mit Pornographie in Verbindung gebracht. Die Sittenpolizei durchkämmte Hunderte von Saunas, Karaokebars, Coiffeursalons, Wellness-Spas, Massagesalons und Hotels. Sexarbeiterinnen, Hintermänner und auch Beamte wurden zu Dutzenden verhaftet.
Die Initiative der Anti-Gelb-Kampagne ging von der Zehn-Millionen-Metropole Donggaun aus. Ausgerechnet! Dongguan ist Symbol für die südchinesische «Werkstatt der Welt». In Dongguan wird vom iPhone über den elektrischen Reiskocher bis hin zu PCs und Textilien alles hergestellt. Dongguan gilt aber auch als Sex-Hauptstadt Chinas. Kein Wunder, denn für Hunderttausende von Wanderarbeitern ohne Familiennachzug ist das vielfältige «gelbe» Angebot Dongguans ein Segen. Profitiert haben – und profitieren wohl noch immer – die Abertausende von Geschäftsleuten aus Taiwan, Hongkong, Japan und Südkorea. Viele der lokalen Parteikader mischten und kassierten wacker mit und bildeten das, was in den Chinesischen Medien jetzt als «Schutzschirme» bezeichnet wird.
Profunde Lektion
Um das wüste Treiben – einmal mehr – zu beenden, griff die Partei ungerührt durch. Yan Xiaokang, Polizeichef und Vize-Bürgermeister von Dongguan, musste über die Klinge springen und wurde «wegen Pflichtversäumnis» entlassen. Parteisekretäre von vier Stadtteilen exkulpierten sich pflichtschuldig in aller Öffentlichkeit. Parteisekretär Ye Kongxin etwa wird in der lokalen Presse mit folgenden, die öffentliche Moral hebenden Worten zitiert: «Ich habe eine profunde Lektion erhalten und will von jetzt an ergeben und genau die Befehle der Zentral-, Provinz- und Stadtregierung ausführen im Kampf gegen die Prostitution.»
Von Dongguan und der Provinz Guangdong aus erfasste die Anti-Gelb-Kampagne das ganze Land. Doch ob nach drei Monaten am Ende der Kampagne gegen illegalen Sex, illegales Glücksspiel und gegen Drogen der angestrebte Erfolg eintreten wird, ist mehr als fraglich. Selbst die offizielle englischsprachige Regierungszeitung China Daily zweifelt daran. Bei ähnlichen Kampagnen zuvor, so ein Kommentator, hätte man immer dasselbe gehört. Jetzt dürfe man gespannt darauf sein, ob Sexgewerbe, Glücksspiel und Drogen wie immer nach solchen Kampanen ein Comeback feiern werden. Blumig kommt China Daily zum Schluss: «Prostitution ist wie ein Präriegras, das auch durch Feuer nicht zerstört wird.»
Einige Chinesische Sozialwissenschafter mahnen zur Besonnenheit. Eine Legalisierung der Prostitution, so die Argumentation, wäre wohl die beste Lösung. Das aber sei schwierig, weil das offizielle Ziel seit 1949 die totale Elimination des Sexgewerbes sei. Der Schlag gegen das gelbe Laster in Dongguang hat eine für die Partei auch weniger schmeichelhafte Folge. Im Internet erhielten die Prostituierten tausendfach Unterstützung. Ein Blogger schrieb auf dem chinesischen Twitter-Ersatz Sina Weibo, die Behörden sollten sich doch gefälligst auf wichtigere Probleme wie etwa Korruption oder Drogen konzentrieren. Die Volkszeitung Renimin Ribao, ultimative Stimme der allmächtigen KP, reagierte alsogleich und geisselte solche Äusserungen in den sozialen Medien als «Blasphemie gegen die Zivilisation».