Die Belagerung von Mosul hat begonnen, doch die Stadt ist noch nicht vollständig eingekreist. Es sind die Elitetruppen der sogenannten Goldenen Division, die in einige der östlichen Aussenquartiere der Stadt eingedrungen sind. Sie sind dort auf unerwartet heftigen Widerstand gestossen.
Die gefährlichsten Gegenschläge kommen von Selbstmord-Attacken mit Autos, die mit Sprengstoff geladen sind. Der IS scheint über eine beliebig grosse Menge davon zu verfügen. Es gibt auch ein Gewirr von unterirdischen Gängen, aus denen Stosstrupps von IS-Kämpfern plötzlich auftauchen und den irakischen Truppen in den Rücken fallen.
Zivilisten als Geiseln des IS
Scharfschützen halten Positionen auf Dächern von Häusern, die weiterhin von Zivilisten bewohnt sind – wodurch diese Häuser nicht bombardiert werden können. Die Goldene Division hatte zuvor in Ramadi und in Falludscha gekämpft. Dort waren die Städte weitgehend von der Zivilbevölkerung entleert. Sie war im Laufe der langen Vorbereitung vor dem eigentlichen Ansturm geflohen. Dies machte es den Elitetruppen leicht, Unterstützung der Luftwaffe der Amerikaner und ihrer Verbündeten anzufordern, wo immer sie auf Positionen des IS stiessen, die sich als schwer zu erobern erwiesen. Die Stellungen wurden dann bombardiert.
In Mosul jedoch hat der IS dafür gesorgt, dass die Bewohner der Stadt ihre Häuser nicht verliessen. Er hat sogar die Bewohner der näher liegenden Dörfer kurz vor dem Angriff gewungen, ihre Ortschaften zu verlassen und in die Stadt zu ziehen. Dies geschah in der offensichtlichen Absicht, die Zivilisten zu missbrauchen als Schutz gegen Luftangriffe auf ihre Verteidigungspositionen.
Unwillkommene Flüchtlinge
Auch die irakische Regierung hat dazu beigetragen, dass die Bewohner von Mosul zuhause blieben. Sie hatte zu Beginn der des Vormarsches gegen die Stadt die dortige Bevölkerung aufgefordert, in ihren Häusern zu bleiben. Dies geschah, weil eine Massenflucht von Millionen zu Zuständen geführt hätte, die von der Regierungsseite schwer zu bewältigen gewesen wären. Doch nun sollen die Offiziere der Goldenen Division angeregt haben, dass die Regierung ihre Ratschläge ändere und im Gegenteil die Bewohner auffordere, bei sich bietender Gelegenheit den Versuch zu machen, aus Mosul zu entkommen. Wenn sich die Stadt von Bewohnern leert, können mehr Kampfflugzeuge mit Raketen eingesetzt werden.
Die Zahl der Geflohenen ist inwischen auf gegen 150’000 angewachsen; das ist nur ein geringer Teil der Einwohner von Mosul. Etwa 80’000 von ihnen kommen aus den umliegenden Ortschaften. Fast die Hälfte aller Flüchtlinge sind Kinder. Die irakische Armee trennt die Männer von ihren Familien und hält sie gesondert fest. Sie versucht mögliche IS-Kämpfer zu erwischen, die sich unter die Flüchtlinge gemischt haben könnten. Dabei verlässt sich die Armee oft auf Aussagen von Flüchtlingen, die ihre Mitbürger kennen. Doch natürlich besteht dabei die Gefahr, dass Unschuldige von irgendwelchen persönlichen Feinden angezeigt und dann als IS-Verdächtige festgehalten oder vielleicht auch misshandelt werden. Die Familien wissen nicht, ob und wann ihre Männer zurückkehren werden. Allen hat die Propaganda des IS eingeredet, die irakische Regierung werde sie blutig verfolgen. Was natürlich die Unruhe der Angehörigen noch steigert.
Steigende Verlustzahlen
Eine weitere Erschwerung der Lage der Elitetruppen kommt daher, dass die reguläre Armee, die sich aus Süden stromaufwärts Mosul annähert,die Stadt noch nicht erreicht hat. Sie ist noch immer damit beschäftigt, die dazwischen liegenden Dörfer zu erobern und abzusichern. Wenn der IS von zwei Seiten her angegriffen würde, wäre seine Verteidigung wahrscheinlich weniger wirksam ausgefallen. Die Elitetruppen erklären, der irakische Ministerpräsident habe ihnen befohlen, sofort mit dem Angriff auf die Stadt zu beginnen, sobald sie sie erreicht hätten. Der Ministerpräsident persönlich fungiert als der Oberkommandant der Goldenen Division.
Die Verluste der Angreifer scheinen erheblich zu sein. Das irakische Militär gibt keine Verlustmeldungen heraus, doch die wenigen Journalisten, die den Angriff begleiten, sprechen von einem beständigen Hin und Her der gepanzerten Wagen, die Verwundete und Tote von der Front in die Etappe transportieren. Die Uno, die über eigene Beobachter verfügt, gab bekannt, im November habe sich die Zahl der Todesopfer gegenüber dem Vormonat verdreifacht, von 672 zu 1959. Zusätzlich meldet die Uno den Tod von 926 Zivilisten.
Diese Zahlen schliessen die Massengräber nicht ein, die beim Vormarsch der irakischen Truppen in vielen der Dörfer gefunden werden. Der IS hat offenbar in letzter Stunde, als die Mosul-Offensive begann, eine grosse Zahl von Zivilisten erschossen, denen er nicht trauen zu können glaubte. Typisch etwa: Frühere Polizisten der irakischen Regierung, die entsprechend den damaligen Weisungen des IS vor zwei Jahren ihre Reue erklärten und Vergebung erhielten, wurden nun aufgesucht, gefangen genommen und erschossen. Offenbar suchte der IS auf diesem Weg möglichen Aufständen heimlicher Feinde zuvorzukommen. Der Massengräber sind so viele, dass der irakische Staat zur Zeit nicht in der Lage ist, die Leichen auszugraben und zu identifizieren. Die Grabfelder werden meist für spätere Untersuchungen abgegrenzt und markiert.
Trinkwasser fehlt
Im Verlauf der Kämpfe wurde eine wichtige Trinkwasserleitung getroffen, was dazu führte, dass 15 Stadtdistrikte ohne Trinkwasser blieben. Etwa 650’000 Menschen seien davon betroffen. Reparaturen seien nicht durchführbar, weil die Beschädigung im Raum der Kampfhandlungen liege. Das bedeutet, dass mehr als eine Halbe Million Menschen notgedrungen unsauberes Wasser trinken müssen mit den Gefahren von Seuchen, die dies bedingt.
Von den fünf Brücken, die in Mosul den Tigris überqueren, sind vier durch Bombardierungen der Koalition unbrauchbar geworden. Der Zweck dieser Massnahme soll sein, die Beweglichkeit der IS-Kämpfer und ihrer Autobomben in der Stadt einzuschränken. Die Altstadt von Mosul und das eigentliche Stadtzentrum liegen auf der westlichen Seite des Stroms, gekämpft wird derzeit jedoch in den Quartieren des Ostens.
Es heisst nun, dass die Belagerung länger als erwartet dauern werde, Wochen oder Monate. Je länger aber die Kämpfe sich hinziehen, desto verzweifelter wird die Lage der Stadtbewohner.