Sind die Genfer Syrienverhandlungen noch zu retten? Uno-Vermittler Staffan de Mistura fordert ein Treffen der Aussenminister der USA, Russlands und der anderen Mitglieder der „Internationalen Syrien-Unterstützungsgruppe“. Sie sollen die Waffenruhe in Syrien festigen und ihren Druck auf die Kriegsparteien verstärken.
Toter Punkt
In der ersten Morgenstunde am Donnerstag trat de Mistura sichtbar ermüdet in Genf vor die Presse, um die Vertagung der Syriengespräche zu verkünden. Zuvor hatte er über eine Video-Schaltung den Weltsicherheitsrat in New York unterrichtet. Sein Fazit: Der am 27. Februar von Washington und Moskau durchgesetzte Waffenstillstand kann jederzeit zusammenbrechen.
Alle 25 Minuten wird in Syrien durch das Wiederaufflammen der Kämpfe ein Mensch getötet, rechnete de Mistura vor. Die Friedensverhandlungen sind am toten Punkt. Erst wenn die Angriffe in Aleppo und anderen Orten aufhören, könne ein neuer Termin für die Syriengespräche angesetzt werden.
Die triste Wirklichkeit
Die wichtigste Oppositionsgruppe, das von Saudi-Arabien unterstützte „Hohe Verhandlungskomitee“ (HNC), hat die „intersyrischen Gespräche“ bereits vor einer Woche verlassen. Sie machte das Asad-Regime für das vorläufige Scheitern verantwortlich. Zu direkten Verhandlungen war es ohnehin nie gekommen. De Mistura agierte bloss als Briefträger zwischen den Konfliktparteien.
Die triste Wirklichkeit ist, dass seit der ersten Genfer Syrienkonferenz 2012 keine Seite das geringste Zugeständnis in Richtung auf eine politische Lösung des Syrienkonflikts gemacht hat. Die Opposition fordert weiterhin den Rücktritt Asads, der keinen Platz im geplanten Übergangsprozess habe. Die Regierungsseite will der Opposition jedoch bloss einige Ämter in einem neuen Kabinett zugestehen. Die künftige Rolle Asads stehe in Genf „nicht zur Diskussion“.
Bedrohlicher Flüchtlingsstrom
Während dieses Ringens um die bessere Verhandlungsposition sind die Kämpfe wieder aufgeflammt. Die Regierungstruppen greifen ihre Gegner erneut in Aleppo und anderen Orten an. Dabei wurde auch ein Spital bombardiert. Nach den Schätzungen von de Mistura und seinem Team ist die Zahl der Todesopfer des syrischen Bürgerkriegs inzwischen auf 400.000 angewachsen. Diese Hochrechnung wird noch nicht von den politischen Organen der Uno übernommen, ist aber durchaus plausibel.
Der Flüchtlingsstrom bedroht mittlerweile die Stabilität Europas. Wie kann dem Wahnsinn Einhalt geboten werden? Viele Möglichkeiten gibt es nicht. Deshalb sind die Genfer Verhandlungen so wichtig, obwohl sie von der breiten Öffentlichkeit mangels Ergebnissen kaum mehr zur Kenntnis genommen werden. Im Genfer „Palais des Nations“ haben sich neben der Syrienkonferenz zwei sogenannte „Task Forces“ eingerichtet, in denen die USA und Russland zusammenarbeiten. Die eine hat die Überwachung der seit zwei Monaten geltenden Waffenruhe zur Aufgabe, die andere die humanitäre Hilfe für die syrische Zuvilbevölkerung.
Widerstreitende Interessen
Ohne Druck von aussen wird der syrische Bürgerkrieg wohl ewig dauern. Das Problem liegt aber darin, dass die USA, Russland, Saudi-Arabien, die Türkei und Iran unterschiedliche Interessen verfolgen. Besonders undurchsichtig ist die Rolle Moskaus. Russland sucht zweifellos eine Stabilität im Nahen Osten, weil die radikalen islamischen Gruppen in seinen „weichen Unterleib“ im Kaukasus vordringen. Darüber hinaus kämpfen die Russen um ihre seit 1971 bestehende einzige Flottenbasis im Mittelmeer, Tartus im Süden Syriens. Tartus ist kein eigentlicher Militärstützpunkt, sondern ein Versorgungslager für die russische Marine.
So lange Russland keine Zusicherung erhält, dass es die Hafenanlagen von Tartus auch unter einer künftigen syrischen Regierung benutzen darf, wird es weiterhin das Asad-Regime unterstützen. Was hingegen den Kampf gegen den „Islamischen Staat“ und die syrischen Ableger von Al-Kaida betrifft, so arbeiten Washington und Moskau eng zusammen. In der Genfer Task-Force zur Überwachung des Waffenstillstands, der nicht für „terroristische Organisationen“ gilt, sitzen amerikanische und russische Militärs.
Der Gordische Knoten
Der US-Regierung muss man ihre zwiespältige Haltung gegenüber den syrischen Kurden vorwerfen. Auf Verlangen der Türkei widersetzte sich Washington der Einladung der Kurden nach Genf, die 15 Prozent der syrischen Bevölkerung ausmachen und die Hauptlast im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ tragen. Die Russen wiederum sind mit den syrischen Kurden nicht nur militärisch, sondern auch politisch verbündet, was zu einem ernsten Konflikt mit Ankara geführt hat.
Saudi-Arabien ist in Syrien vor allem aus ideologischen Gründen und wegen der Rivalität mit Iran um die regionale Vorherrschaft verwickelt. Unter umgekehrten Vorzeichen unterstützt Iran die Regierung in Damaskus mit Elitesoldaten und die von Teheran finanzierten libanesischen Hizbullah.
Diesen Gordischen Knoten zu entwirren, wird noch lange dauern, sofern man ihn nicht mit dem Schwert durchschlägt. Im Moment erhält die kriegerische Variante Auftrieb. Ob daran ein neues Aussenministertreffen der „Internationalen Syrien-Unterstützungsgruppe“ etwas ändern kann, ist fraglich.