Die ägyptische Verfassungsversammlung von 498 Abgeordneten wird in Etappen vom 28. November bis zum 5. Dezember gewählt werden. Ein komplizierter Wahlmodus wurde zu diesem Zweck konstruiert. Alle Ägypter werden zweimal wählen, und zwar in verschieden begrenzten Wahlkreisen. Einmal nach Listen von Parteien und ein zweites Mal unter unabhängigen Kandidaten. Die als Unabhängige Gewählten werden ein Drittel der Versammlung ausmachen. Die Hälfte aller Gewählten sollen Bauern und Arbeiter sein.
Dies wurde nach längerem Hin und Her zwischen dem regierenden Höchsten Rat der Militärs (SCAF), der von diesem Rat ernannten Regierung und den heute bestehenden resp. jenen Parteien festgelegt, deren Aufbau von Politikern in nebulöser Weise vorangetrieben wird.
Der Einsatz der Wahlen ist unbestimmt
Worum es in diesem Wahlen aber eigentlich gehen soll, steht noch nicht wirklich fest. Unklar geblieben ist nämlich, wie genau der Verfassungsausschuss zusammengesetzt werden wird, der den künftigen Verfassungsvorschlag auszuarbeiten hat. Und ebenfalls immer noch in Diskussion ist, wie weit die Verfassungsversammlung frei wird agieren können.
Leitlinien für die Verfassung?
Schon kurz nachdem das Plebiszit vom 19. März dieses Jahres über die Wahl einer Verfassungsversammlung vom Volk angenommen worden war, begann in den Kulissen zwischen den militärischen Machthabern und der von ihnen mit der Leitung der laufenden Geschäfte betrauten Übergangsregierung eine Diskussion darüber, ob Ägypten eine "Grundsatzerklärung" benötige, welche "Leitlinien" festlege, nach denen die geplante Verfassung zu schreiben sei.
Die Idee fand vorsichtige Zustimmung bei den säkularen Politikern und scharfe Ablehnung bei den islamischen. Der Grund dafür war, dass die säkularen, eben erst im Entstehen begriffenen Parteien und ihre Leiter befürchteten, die muslimischen Parteien könnten die Wahlen gewinnen. Also die Partei der Muslimbrüder "Demokratie und Gerechtigkeit" und die zahlreichen Gruppierungen von Salafisten, die einen islamischen Staat nach dem Vorbild Saudi Arabiens anstreben.
Wenn dies geschähe, so fürchteten die Säkularisten, könnten die Islamisten die neue Verfassung nach ihren Vorstellungen prägen. Die Idee einer "Grundsatzerklärung" erschien ihnen attraktiv, weil eine solche erlauben könnte, die säkulare Natur des künftigen Staates festzuschreiben und damit auszuschliessen, dass ein "muslimischer" Staat entstehe.
Ursprünglich ein Damm gegen die Islamisten
Die islamistischen Gruppen waren gegen die Idee. Sie erklärten, die künftige gewählte Verfassungsversammlung habe die Verfassung und ihre Grundsätze zu entwerfen. Leitplanken dafür würden eine Bevormundung des Volkes und seines Willens bedeuten. Trotz dieser Widerstände wurden die Leitplanken oder Verfassungsgrundsätze im stillen Komitee der herrschenden Generäle und der Regierung unter Zuziehung von juristischen Fachleuten weiter diskutiert. Am 1. November, unmittelbar vor Beginn der Vorwahlperiode, wurde zum ersten Mal Geladenen unter den wichtigsten Parteioberhäuptern vom amtierenden Stellvertretenden Ministerpräsidenten, Ali as-Selmi, ein Text vorgelegt, der die vorgeschlagenen Verfassungsgrundsätze umschrieb.
Die Islamisten kamen teilweise gar nicht zu der Zusammenkunft und jene, die sich einstellten, verliessen sie eiligst wieder, als sie den Text zu Augen bekamen. Sie erklärten darauf, sie blieben bei ihrer Ablehnung, denn die künftige Verfassungsversammlung dürfe nicht bevormundet werden.
Doch mehrere Verantwortliche der säkularen Parteien begannen den vorgeschlagenen Text zu diskutieren. Er enthielt Zusagen, dass der künftige Demokratische und Islamische Staat Ägypten kein religiöser Staat werden solle. Doch zu ihrer Überraschung fanden die Parteivertreter auch einen Paragraphen 9 und einen Paragraphen 10, die beinhalteten, die militärische Institution unterstehe nicht der parlamentarischen Kontrolle, die Offiziere könnten alle Gesetzgebung verbieten, die sich auf die Militärs beziehe, ein Sicherheitsrat, gebildet aus den zuständigen Ministern und Militärspitzen, sei für die Sicherheitsfragen zuständig. Die Armee sei die "Protektorin der konstitutionellen Legitimität".
Ein "ausgewählter" Verfassungsausschuss?
Der Vorschlag enthielt auch "Leitideen" für die Bildung des Verfassungsausschusses, der die Verfassung auszuarbeiten habe. Er solle aus ernannten juristischen Fachleuten neben den aus der gewählten Verfassungsversammlung – von wem? - "auszuwählenden" Volksvertretern zusammengesetzt werden.
Aufruf zu Demonstrationen durch die Islam Politiker
Die genauen Texte der Vorschläge wurden nicht publiziert, weil es sich um Ideen handle, die noch von den Verantwortlichen diskutiert würden. Doch wurde bekannt, dass auch die säkularen Parteisprecher die Formulierungen ablehnten, die darauf abzielen, der Armee und ihren Chefs eine über-parlamentarische Stellung einzuräumen. Der Stellvertretende Ministerpräsident sagte zu, die Vorschläge sollten entsprechend den Einwänden der Parteipolitiker revidiert werden. Neue Zusammenkünfte wurden angesagt.
Die säkularen Politiker zeigten sich bereit, die Diskussion fortzuführen. Doch die Islamischen Gruppierungen, Muslimbrüder und Salafisten, erklärten, sie würden Demonstrationen gegen das Vorhaben von "Leitideen" durchführen, und sie setzten Freitag, den 18. November als einen Tag für Grossdemonstrationen fest.
Einige der Politiker, die sich selbst als künftige Präsidentschaftskandidaten ansehen, stimmten in die Kritik ein. Einer von ihnen, Mohammed al-Baraday, der Nobelpreisträger und frühere Chef der Internationalen Atomagentur, erklärte bündig: "Es gibt einen Unterschied zwischen einem demokratischen Staat, der die Menschenrechte garantiert, und militärischer Bevormundung".
Noch keine Beschlüsse
Wie gross die Massen sein werden, welche die islamischen Gruppen und Parteien auf die Strasse bringen können, bleibt abzuwarten. Was das Geschick der "Leitideen" am Ende sein wird, ist ungewiss und wird vermutlich teilweise von dem Ausmass der angekündigten Proteste abhängen.
Man kann jedoch darauf hinweisen, dass es schon bei früheren Gelegenheiten zu derartigen Diskussionen und Konfrontationen zwischen den Parteien und "der Regierung" gekommen ist, welche in Wirklichkeit als Sprachrohr und Handlungsbeauftragte des Militärrates dient. Dabei haben die Militärs stets die gleiche Taktik gebraucht. Sie gaben den Begehren der Parteien und ihrer Sprecher zwar elastisch nach, indem sie einen Teil ihrer Anliegen berücksichtigten, aber sie dekretierten am Ende eine Version ihrer eigenen Vorschläge, nur entsprechend den Wünschen der Politiker leicht abgeändert, als Gesetz.
Der komplexe Wahlmodus mit den doppelten Wahlkreisen, der nun gilt, ist auf diesem Wege zustande gekommen.
Die Offiziere in der Position der Schiedsrichter
Die Offiziere sind in der Lage, die Gegensätze unter den Politikern, die ja stets auch Konkurrenten und Rivalen sind, dazu zu nützen, sich selbst als die Schiedsrichter zu positionieren, die zwischen den verschiedenen politischen Strömungen arbitrieren, und sie nützen dies, um ihre eigenen Anliegen einzubringen.
Der Hauptgegensatz besteht zwischen den islamisch orientierten und den säkular ausgerichteten Parteien und politischen Gruppierungen.
Altlasten aus der Vergangenheit
Beide Seiten fürchten einander. Die Muslime waren in den letzten 60 Jahren dem Druck Abdel Nassers ausgesetzt, dann einer Instrumentalisierung durch Sadat und weiter der Niederhaltung durch Mubarak. Diesmal wollen sie vermeiden, dass das neu entstehende demokratische Regime sie einmal mehr ausgrenzt. Die Angst der säkularen sowie auch der Mehrheit der koptischen Politiker und Gesellschaftsschichten ist dagegen, dass sie nach einer absehbaren muslimischen Mehrheit in den Wahlen und mittels einer von dieser formulierten Verfassung selber ausgegrenzt werden.
Die Ziele der herrschenden Militärs
Die Gängelbande, welche die Offiziere für die noch ungeborene Verfassung bereit zu stellen versuchen, zeigen deutlicher als ihre vorausgegangenen politischen Manipulation die Absichten auf, welche sie verfolgen. Man kann sie als die Erhaltung und Absicherung ihrer bisherigen, sehr bedeutenden, politischen und wirtschaftlichen Privilegien umschreiben.