Wenn es finanziell eng wird für die Bürger, greift ihnen der Staat mit «Entlastungen» unter die Arme. Das ist nicht nur in Deutschland so. Auch andere Länder wollen «Härten abfedern». Dabei werden wichtige Fragen nicht einmal mehr gestellt.
Der deutsche Bundeskanzler Scholz unterbrach jüngst seinen Wanderurlaub im Allgäu, um mal eben kurz nach Berlin zu fliegen, Staatshilfen für das Energieunternehmen Uniper bekannt zu geben und den Bürgerinnen und Bürgern zu versichern, dass sie auch in Zukunft mit staatlichen Hilfen im Zusammenhang mit den erwarteten Energieengpässen rechnen dürfen: «Keine Bürgerin, kein Bürger wird mit seinen Problemen alleingelassen», auch «kein Unternehmen». Der Staat werde «das tun, was erforderlich ist, und so lange, wie das notwendig ist.»
Vorher hatte die deutsche Aussenministerin Annalena Barbock vor drohenden «Volksaufständen» gewarnt, und der gegenwärtig beliebteste deutsche Politiker, Wirtschaftsminister Robert Habeck, lässt seit Wochen immer mal wieder durchblicken, dass in nächster Zeit mancher «den Gürtel enger schnallen» müsse. Diese beiden Politiker der Grünen schlagen also einen anderen Ton an als der Kanzler. Der sich verschärfende soziale Konflikt der nächsten Monate lässt sich in ihren Augen nicht allein durch staatliche Zuschüsse wegmoderieren.
Man kann darüber spekulieren, ob bei den Grünen liberales Gedankengut eher eine Rolle spielt als bei der SPD. Sicher aber ist, dass in der Tradition der Grünen die aktiven Bürger mit ihren Initiativen eine weitaus grössere Bedeutung haben als in der SPD. Die SPD setzt auf den allzuständigen und umfassend umsorgenden Staat. Aber die Differenz zwischen den Grünen und der SPD tritt derzeit nicht so klar hervor, wie dies für eine ernsthafte politische Debatte nötig wäre. Aus einer Reihe von Gründen hat die dafür eigentlich zuständige FDP viel zu wenig politisches Gewicht.
Zugespitzt stellen sich drei Fragen: Kann es Aufgabe des Staates sein, jede erdenkliche soziale Härte des Einzelnen abzufedern? Überschreitet er nicht seine Kompetenzen, wenn er dafür tief in Wirtschaft und Preisgefüge eingreift? Und ist es zu rechtfertigen, zur Abmilderung von individueller Not die Staatsverschuldung immer weiter zu erhöhen?
Olaf Scholz liebt es, seine nahezu tonlos vorgetragenen Reden mit bombastischen Worten aufzumöbeln. So sprach er zu Beginn des Ukraine-Krieges von «Zeitenwende» und jetzt will er – fast wie es Udo Lindenberg in seinem Song «Ich schwöre» versprochen hat – für jeden Einzelnen da sein, «kommt es einmal hart auf hart» (Lindenberg). Für die Frage, ob es nicht auch Aufgabe des Staates sein müsste, zur Eigeninitiative zu motivieren, fehlt ihm jedes Verständnis. John F. Kennedy formulierte 1961: «Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann, fragt, was ihr für euer Land tun könnt.» Wenn aber der Staat für alles und jedes mit Geld bereit steht, werden Eigeninitiative und die Arbeit von Hilfsorganisationen erstickt. Soziologen wissen das. Scholz offenbar nicht.
Die Bundesregierung hat der Versuchung, Ticketpreise im ÖPNV aus politischen Gründen auf eine rein symbolische Grössenordnung zu drücken, nachgegeben. Zugleich gibt es Subventionen beziehungsweise Steuerabschläge für diverse Energieträger. Damit gewöhnt der Staat die Wähler daran, Preise nur noch politisch zu sehen und im Zweifelsfall staatliche Hilfen zu fordern. Wehe dem Politiker, der diesen Wünschen nicht sogleich nachgibt.
Und da alles immer virtueller erscheint, werden auch immer höhere Schuldenlasten nicht mehr so recht ernst genommen. Umfragen und Wählerstimmen haben für Politiker einen weitaus höheren Realitätsgehalt. Derzeit zahlt nicht nur Deutschland einen hohen Preis, weil sich kaum jemand dafür interessiert hat, woher das Gas kommt. Ähnlich ist es jetzt beim Geld für die staatlichen Wohltaten. Wenn der Zahltag für die Überschuldung der Staaten anbricht, wird es an allem fehlen.