Mit einem in der „Zeit“ geführten Interview hat der Chef der deutschen Jungsozialisten, Kevin Kühnert, in den Medien und in der Classe politique seines Landes einen gehörigen, aus viel Empörung und wenig Zustimmung gemischten Sturm entfacht. Die beiden Aussagen, an denen sich die Diskussionen erhitzen, entsprechen sozialistischem Urgestein: Grosse Industriebetriebe, BMW zum Beispiel, sollten kollektiviert werden, also in Besitz der dort Beschäftigten übergehen; und Wohnraumbesitz dürfe nicht über den reglementierten Eigenbedarf hinausgehen. Dass solche Forderungen im heutigen Deutschland nicht mehrheitsfähig sind, dürfte Kühnert genau so klar sein wie seinen echt oder künstlich erregten Kontrahenten.
Interessanter als der Streit um die beiden Reizthemen wäre eine Debatte über Natur und Form von gesellschaftlichen Utopien, wie sie Kühnert anzustossen versucht. Er wird nicht müde zu erklären, dass sein Sozialismus demokratischen Regeln gehorchen solle, in kleinen Schritten zu realisieren sei, nicht re- sondern evolutionär entwickelt werden müsse. Utopien, die zu diskutieren sich lohnt, bestehen aus verführerischen Gedankenspielen und Fantasien, sind etwas Grosses und Fernes, entwickeln sich mit Vorliebe auf unentdeckten Inseln, nach dem Muster der berühmten „Utopia“, mit der der Engländer Thomas More das Genre im 16.Jahrhundert begründet hat. Schwer vorstellbar, dass sie in kleinen Schritten im demokratischen System zu realisieren wären.
Was Kühnerts Thesen und Vorschlägen fehlt, sind zukunftsweisende Elemente. Utopien, auch sozialistische, können nicht aus der Schublade gezogen werden, müssen anders gedacht, der Jetztzeit und, noch besser, der kommenden Zeit angepasst oder anspekuliert werden. Spannende gesellschaftliche Utopien, ob evolutionär oder revolutionär konzipiert, können durchaus auf real existierende, unbefriedigende Zustände einwirken. Aber sie müssen schon Ideen enthalten, die dem Anspruch des bisher so noch nicht Gedachten, genügen. Davon ist bei Kühnert wenig zu finden.