Die Manifestanten werfen diesen vor, an den wachsenden Missständen in ihren Ländern – besonders der sich immer weiter verschlechternden Wirtschaftslage – schuld zu sein.
Im Irak wie auch im Libanon fordern die Demonstranten den Rücktritt ihrer jeweiligen Regierungen. Die Politiker scheinen in beiden Fällen aber ratlos zu sein, denn sie wissen, dass ein Nachgeben der Anfang vom Ende ihrer eigenen Machtposition sein dürfte. In beiden Ländern handelt es sich bisher um nicht zentral gesteuerte Proteste der einen oder anderen ethnischen, religiösen oder politischen Gruppe, sondern um umfassende Volksbewegungen – was umso mehr verdeutlicht, wie berechtigt die Klagen der Demonstranten sind.
Mehr als hundert Tote im Irak
Unterschiedlich fällt hingegen die Reaktion der Regierungen in Beirut und Bagdad aus: Die libanesischen Sicherheitskräfte sind zwar im Dauereinsatz, sie halten sich bisher aber weitgehend zurück. Ganz im Gegensatz dazu ihre irakischen Kollegen: Bei Zusammenstössen mit den Demonstranten sind allein in der letzten Woche über hundert Personen umgekommen und Hunderte verletzt worden. Grund genug für Präsident Barham Salih, das harte Vorgehen gegen die Demonstranten zu kritisieren, aber ohne unmittelbare Auswirkungen.
Kritik war auch von Moqtada As-Sadr zu hören, einem einflussreichen Schiitenführer, dessen Bewegung der Regierung kritisch gegenübersteht. Aus seinem Umkreis ist aber wenig Ermutigendes zu hören: Die Demonstranten würden wohl kaum aufhören zu protestieren und die Politiker seien nicht in der Lage, deren Forderungen zu erfüllen.
Keine „Whatsapp“-Steuer
Die Forderungen basieren in beiden Ländern auf der Erkenntnis, dass es der breiten Bevölkerung immer schlechter gehe und die Politiker sich gleichzeitig bereicherten. Im Irak hat eine Zeit vergleichsweiser Ruhe keine Verbesserung der Wirtschaftslage gebracht und im Libanon ist es mit der Wirtschaft des Landes unaufhaltsam bergab gegangen, sodass das Land heute mit rund 80 Mrd € zu den höchstverschuldeten Staaten der Welt gehört.
Immerhin ergriff der libanesische Regierungschef Sa‘ad Hariri die Initiative und versprach drastische Verbesserungen. So drastisch waren diese dann aber doch nicht: Ministergehälter sollen auf die Hälfte gekürzt werden, auch sollen Politiker ihre Einkünfte offenlegen und einige andere kleinere Massnahmen. Kaum ausreichend, um die unzufriedene Bevölkerung umzustimmen. (Eine ihrer ersten Protestaktionen war ausgelöst worden, als die Regierung angekündigt hatte, sie wolle von „Whatsapp“-Usern monatliche Gebühren einfordern. Eine Forderung, die die Regierung im ersten Schreck über die Proteste schnell wieder fallen gelassen hatte.)
„Hisbollah“ distanziert sich
Die libanesische Regierung zeigt sich weiterhin wenig entschlossen. Verschiedene Politiker wollten sich zwar „dem Volk verbunden“ zeigen, ermahnten dann aber die Libanesen, sie sollten doch nicht den Rücktritt der Regierung fordern.
Gebran Bassil, Aussenminister und Schwiegersohn von Präsident Michel Aoun, warnte, dass das Land „ohne Regierung und ohne Sicherheit, Geld in den Banken, Mehl und Benzin“ noch schlimmer dran sein würde als jetzt. Bassils „Freie Patriotische Bewegung“ kooperiert politisch mit der schiitischen „Hisbollah“ und deren Anführer, Hassan Nasrallah, hat sich nach anfänglicher Zurückhaltung inzwischen auch von den Protesten zu distanzieren begonnen, nachdem diese ihn offen zur Gruppe der kritisierten Politiker gezählt hatten.
Iran lobt den Bürgerprotest
Die Folge sind Spannungen und erste Auseinandersetzungen selbst zwischen verschiedenen schiitischen Gruppen im Libanon – so, wie es jetzt auch im Südirak zu Spannungen und Zusammenstössen unter Schiiten gekommen sein soll.
Obwohl zahlreiche schiitische Milizen im Irak wie auch die „Hisbollah“ im Libanon vom Iran unterstützt werden, ist bei ihnen offenbar nicht angekommen, dass der iranische Aussenminister Mohamed Javad Sarif lobende Worte für den Bürgerprotest zumindest im Libanon gefunden hatte.
Misere im Libanon
Das Motiv hierzu dürfte in den aussenpolitischen Hintergründen liegen: Seit Beginn der offenen Spannungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran sind die politischen und auch wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Staaten auf der Arabischen Halbinsel und dem Libanon merklich abgekühlt und dies hat beträchtlich zur Verstärkung der Wirtschaftsmisere im Libanon beigetragen.
Ein weiterer Aspekt sind die Auswirkungen der US-amerikanischen Iran-Sanktionen, die – direkt und indirekt – auch die libanesische Wirtschaft treffen. Die USA sollen zwar Bereitschaft zur finanziellen Unterstützung signalisiert haben, solange die Hisbollah stärkste Partei im Parlament ist, kann damit kaum gerechnet werden.
Keine Fortschritte im Irak
Selbst im Irak könnten die Versuche Saudi-Arabiens, die einst sehr engen Beziehungen zu Bagdad wiederherzustellen, mit eine Ursache für Spannungen und Wirtschaftsmisere sein. Abgesehen davon, dass die Präsenz US-amerikanischer Truppen im Irak proiranischen wie Iran-kritischen Irakern ein Dorn im Auge ist und sie hierin nicht nur den Grund für wiederholte israelische Luftangriffe im Iran sehen, sondern auch dafür, dass das Land auch sechzehn Jahre nach Saddam Hussein nicht die erhofften Fortschritte macht.