Man wird sich fragen, wie man im Jahr 2011 ernsthaft darüber nachdenken konnte, eine Technologie zu propagieren, die an Ineffizienz kaum zu überbieten ist. Ich spreche von der Atomenergie, deren Wirkungsgrad bei der Energieumwandlung 30 Prozent kaum übersteigt. Sie wollen es aber nochmals wissen, die grossen Stromkonzerne Axpo, BKW und Alpiq. Der Kanton Bern stimmt am 13. Februar als erster Kanton darüber ab, ob er sich auf das teure und ungewisse Experiment Neubau Mühleberg einlassen will. Sicherheit und Ökonomie sprechen dagegen.
Die im Rahmen der Gesuchstellung eingereichten Abklärungen zur Erdbebensituation sind ungenügend. Mühleberg ist durch Hangrutschungen gefährdet. Auch der Betrieb eines AKW ist nie von Störfällen ausgeschlossen. So hat sich gegenüber 2009 die Anzahl Zwischenfälle in Schweizer AKW verdreifacht. Auch die sicherheitstechnische Bedeutung der Zwischenfälle ist unerreicht. Gegen Beznau musste ein Strafverfahren eröffnet, gegen Gösgen Anzeige erhoben werden. Aus jedem kleinen Unfall kann durch menschliches Versagen Schlimmstes entstehen. Eine absolute Sicherheit gibt es nicht und wird es auch bei neuen AKW nicht geben.
Auch im High-Tech-Land Schweden hat es mit Forsmark einen Unfall gegeben, der in den Sicherheitsszenarien nicht vorgesehen war. Nicht menschliches Versagen, das nie auszuschliessen ist, sondern ein Versagen der Technik löste den Störfall aus. Aber nicht nur wir sind gefährdet. Die nicht nachhaltige Stromproduktion aus Uran gefährdet Menschen in den Abbaugebieten. Greenpeace hat im November 2009 im Niger in den Städten Arlit und Akokan, die ein paar Kilometer von den Uranminen weg liegen, die Radioaktivität gemessen. Die Urankontamination übersteigt in vier von fünf Wasserproben die Richtwerte der WHO. Zum Kundenstamm von AREVA gehören vier der fünf Schweizer AKW. Aber auch das Wiederaufbereitungsgeschäft ist schmutzig. Majak ist ein Name, der traurige Berühmtheit erlangt hat.
Es gibt für Wiederaufbereitungsanlagen wie Majak, bei der die Axpo Kundin ist, keine internationalen Standards. In Sellafield und La Hague existieren vergleichbare Anlagen. Wie in Majak wird aus abgebrannten Atombrennstäben Plutonium für zivile und militärische Zwecke gewonnen. Radioaktive Flüssigabfälle werden dabei ins Meer geleitet. In Mayak fliessen die Abwässer in ein System von Abwasserbecken und Seen. Können wir es verantworten, dass unsere Computer, Lampen und Fernsehgeräte mit Strom betrieben werden, dessen Produktion Leben gefährdet? Und der Abfall? Die Nutzung der Atomkraft versorgt uns wenige Jahrzehnte mit Strom, die Abfallproblematik beschert uns Probleme für mindestens eine Million Jahre. Auf der ganzen Welt gibt es kein Atommülllager für hochradioaktive Abfälle. Auch in der Schweiz wird so rasch keine befriedigende Lösung gefunden werden, trotz gegenteiliger Beteuerungen der Nagra.
Aber auch die Ökonomie spricht gegen das Klumpenrisiko AKW. Swisselectric, die Organisation der Verbundunternehmen Axpo, Alpiq und BKW, sieht bis 2035 Investitionen in zwei neue AKW, ein Gaskraftwerk und zu einem kleineren Teil in erneuerbare Energien vor. Eine Studie von Infras & TNC zeigt, dass diese Strategie nicht rentabel ist. Das liegt daran, dass die Erträge, die sich mit dem Verkauf des Stroms erzielen lassen, nicht ausreichen, um die Investitionen zu decken. Über die Lebensdauer gerechnet führt die Grosskraftwerk-Strategie zu volkswirtschaftlichen Verlusten von 9 Milliarden Franken.
Bei der Strategie «Stromeffizienz und Erneuerbare» sind die Investitionen zwar höher als bei Swisselectric, die Erträge gleichen die Investitionen aber aus. Über die Lebensdauer schreibt die Volkswirtschaft mit Investitionen in Effizienz und Erneuerbare einen Gewinn von 2,8 Milliarden Franken. Fazit: Atomstrom ist eine Form von kostenloser Kreditaufnahme bei kommenden Generationen. Bereits eine Haftpflichtsumme von 50 Mrd. € (statt 1,8 Milliarden Franken) würde die Produktionskosten von Atomstrom je nach Grösse des AKW um einige Rappen pro KwH erhöhen.
Da sich die Energiewirtschaft zu rund 85 Prozent im Besitz der öffentlichen Hand befindet, verfügen AKW über eine Existenzgarantie. Sie sind too big to fail. Giovanni Leonardi, Konzernchef Alpiq, gab bekannt, 40 Jahre (!) nach Inbetriebnahme seien die Investitionen der 60 Jahre laufenden Anlage amortisiert. Wieso aber so lange warten? Erneuerbare und Effizienz rechnen sich sofort. Infras geht zudem von Kosten von 27 Milliarden für zwei neue AKW à je 1600 MW aus. Die Berner Regierung wiederum nimmt an, dass ein AKW zwischen 9 und 15, 7 Milliarden Franken kosten dürfte, weil die Investitionskosten auf 8 bis 12 Milliarden Franken veranschlagt und weil Nachrüstungs- und Stillegungskosten von 1 bis 3,7 Milliarden dazu kommen.
Die BKW gibt Kosten von 7 bis 9 Milliarden an und moniert, dass der Regierungsrat die Kosten für Nachrüstungen und Stilllegung entgegen der geltenden Praxis dazugerechnet habe. Diese Zusatzkosten würden wie seit Jahren üblich durch den laufenden Betrieb finanziert. Das heisst wohl über den Strompreis. Auf die Frage, wer dafür gerade stehen müsste, falls die Kosten höher ausfallen als von der BKW angegeben, liess die Regierung zudem verlauten: «Käme die Unternehmung wegen der Unterfinanzierung des Bauprojekts in finanzielle Nöte, wäre nicht auszuschliessen, dass sich der Kanton Bern aufgrund der Wichtigkeit der BKW für den Kanton faktisch an der Finanzierung beteiligen müsste.»
Mit anderen Worten, die Konsumentinnen und Konsumenten kämen auch noch als Steuerzahlende an die Kasse. Dass Kostenüberschreitungen nicht auszuschliessen sind, zeigt der AKW-Neubauprojekt in Finnland. Interessant ist auch eine Aussage von Avenir Suisse. Sie hält in ihrer Studie von Dezember 2010 «Energiesicherheit ohne Autarkie. Die Schweiz im globalen Kontext» fest: «Aber auch neue Kernkraftwerke können Schwächen aufweisen, insbesondere wenn sie eine überdurchschnittlich grosse Leistung aufweisen. Erstens stellen sie aufgrund ihrer bedeutenden Grösse eine Art Klumpenrisiko für die Versorgung dar – steht nur ein einziges Kraftwerk still, entfällt ein signifikanter Teil der Gesamtproduktion. Und zweitens steigt mit der Grösse der Kraftwerke der Bedarf an Reserveleistung.»
Zum Glück gibt es Alternativen: Trotz Bankenkrise wuchs die Solarbranche weltweit im zweistelligen Bereich. Die Kostendegression beträgt 20% bei Verdopplung der Produktionsmenge. Die grossen Photovoltaikfirmen, die 2010 einen Umsatz von über 2 Milliarden Franken erreichten und mehrere Tausend Personen in der Schweiz beschäftigen, engagieren sich dafür, dass Photovoltaik 2020 eine rentable Technologie ist und dass die Schweizer Industrie einen starken Anteil am Weltmarkt hat. Dazu braucht es eine Entdeckelung der kostendeckenden Einspeisevergütung. Was das bewirkt, sehen wir in Deutschland: 2009 wurden pro Einwohner und Einwohnerin zehnmal mehr Solarstrommodule als hierzulande installiert.
Investitionen in erneuerbare Energien lösen 20-80% mehr Beschäftigung aus, wie für den Kanton Bern berechnet wurde. Firmen wie 3S in Lyss, die weltweit Anlagen zur Herstellung von Solarmodulen liefern, Meyer Burger in Thun, die Maschinen zum Schneiden der Solarzellen herstellt, Solarmax in Biel, die zu den Marktführern bei Wechselrichtern zählt oder Jenni Energietechnik in Oberburg, die Europa mit Solarspeichern beliefert, bieten über 1’000 Arbeitsplätze an. Die Infras-Studie «Stromeffizienz und erneuerbare Energien» zeigt: Bei Wertschöpfung und Arbeitsplätzen schneiden Investitionen in Stromeffizienz und erneuerbare Energien deutlich besser ab als das Investitionsszenario von Swisselectric. McKinsey geht in ihrer Studie «Wettbewerbsfaktor Energie – Chancen für die Schweizer Wirtschaft» bis 2020 von über 25'000 zusätzlichen Arbeitsplätzen in der Schweiz aus. Die Studie rechnet aber konservativ und bezieht sich auf die bestehende Basis, bei der die erneuerbaren Energien aufgrund der «gedeckelten» Einspeisevergütung blockiert sind.
Als eines der innovativsten Länder in Europa hat die Schweiz beste Chancen, mit Cleantech zur Lösung der globalen Herausforderungen beizutragen und den Wirtschaftsstandort Schweiz zu stärken. Ein Beispiel ist Solar Impulse, das erste Flugzeug, das mit Solarenergie die Welt umrunden soll. Das Wissen über Cleantech ist vorhanden, unsere Hochschulen und Unternehmen verfügen über das nötige Know-how.
Die Schweiz hat im Cleantech-Bereich nach einem Boom in den 1990er-Jahren aber an Boden verloren. Hier können und müssen wir aufholen, der Umwelt und der Wirtschaft zuliebe. Der Energieverbrauch im Gebäudebereich beispielsweise kann bis 2050 halbiert werden. In Bern gibt es ein Potenzial für 50'000 Gebäudemodernisierungen. Damit würden nicht nur lokale KMU profitieren, auch die Kaufkraft würde um 400–500 Millionen Franken zunehmen. Würden in Bern 90% aller gut geeigneten Dächer mit Photovoltaik ausgestattet, würde dies ca. Mühleberg ersetzen.
Setzen wir uns deshalb ein für ein «Schweizer und World Wide Web erneuerbar und effizient».