Weniger bekannt dürfte sein, dass Chinesen und Chinesinnen in den letzten zwanzig Jahren zu den grössten Biertrinkern geworden sind.
Im vergangenen Jahr wurden weltweit 1,9 Milliarden Hektoliter Bier gebraut, immerhin 60 Millionen mehr als im Jahr zuvor. Die Chinesen haben derart dem aus Reis und Gersten gebrauten Saft zugesprochen, dass sie ihre Führungsposition weiter ausbauen konnten.
Satte 40 Millionen Hektoliter mehr sind in chinesische Kehlen geflossen. Mit einem Jahreskonsum von 490 Millionen Hektolitern liegt China damit einsam an der Weltspitze. Wer hätte das zu Beginn der Wirtschaftsreform anfangs der 1980er-Jahre auch nur zu träumen gewagt. Auf Platz zwei der Biertrinker folgen abgeschlagen die USA mit 225 Millionen Hektolitern, gefolgt von Brasilien mit 133 Millionen, Russland mit 98 Millionen und erst auf Rang 5 positioniert sich die Mutter aller Bierländer, Deutschland, mit einem Ausstoss von nur noch 95 Millionen Hektolitern.
** Tsingtao-Bier**
Immerhin, die Deutschen können sich brüsten, Bier in China eingeführt zu haben. In der ehemaligen Kolonie Tsingtao – heute Dsingdao – sorgten vor hundert Jahren deutsche Brauer dafür, dass ihre kolonialistischen Landsleute auf der Halbinsel-Provinz Shandong nicht nach dem heimischen Gerstensaft dürsten mussten. Das Tsingtao-Bier wurde eine Erfolgsgeschichte. Heute ist Tsingtao die grösste Bierbrauerei Chinas und weltweit immerhin die Nummer 10. Mittlerweile ist das sehr leichte Tsingtao-Bier bekannt in aller Welt, wird in über 50 Staaten exportiert und ist in Städten erhältlich von Atlanta, München bis New York und von Buenos Aires über Kapstadt bis Zürich.
Der Anteil des Tsingtao-Biers am riesigen Heimmarkt ist derzeit mit rund 18% ansprechend gross. Es zeigt aber auch, dass der Markt sehr fragmentiert ist. Praktisch alle grossen ausländischen Bierbrauereien haben die Finger im Markt, meist über Zukäufe lokaler Marken. Der Chinese und die Chinesin lieben eben – ähnlich wie der Schweizer und die Schweizerin – das lokal gebraute Bier über alles.
Bier aus 3‘200 Metern Höhe
Ein weiterer, ebenfalls international zu beobachtender Trend sind die zahlreich landauf, landab gegründeten Mikro-Brauereien. Meist stellen die rührigen chinesischen Brauer dann ein Bier her, das sich von der hauptsächlich auf Reisbasis hergestellten Massenware deutlich unterscheidet, weniger leicht ist und eher der Vorliebe der europäischen Gaumen entspricht.
Das Shangri-la-Bier zählt zu dieser Kategorie. Im Tibeter-Gebiet der Provinz Yunnan, nahe am Himalaya-Gebirge gleich unter dem Himmel auf 3'200 Meter über Meer braut es ein Schweizer, will sagen ein Tibeter, der in der Schweiz geboren, aufgewachsen, zur Schule ging und studierte, mithin perfekt Schweizerdeutsch spricht und in der Schweizer Immobilien-Branche arbeitet.
Alle Friedens- und Harmonie-Sehnsüchte
Shangri-la ist ein sagenumwobenes Gebiet irgendwo im Himalaya. Wo genau, ist unter Abenteurern, Forschungsreisenden und Geographen umstritten. Der Name nämlich ist eine Fiktion. Der Amerikaner James Hilton schrieb mitten in der Weltwirtschaftskrise zwischen den beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts einen Bestseller mit dem Titel „Shangri-la“. Die spannende Geschichte erzählt einen Flugzeugabsturz im Himalaya-Gebirge. Die Überlebenden können sich ein Kloster retten, das von einem 200 Jahre alten belgischen Abt geleitet wird. Kurz, es ist die Geschichte vom absoluten Frieden, der immerwährenden Harmonie. Und so hat der Name Shangri-la überlebt als Auffangbecken alles Friedens- und Harmonie-Sehnsüchte der westlichen Welt.
Adolf Hitler hat eigens eine Expedition ins Himalaya-Gebirge entsandt, in der Hoffnung, den idealen Arier zu finden. US-Präsident Roosevelt wiederum benannte seinen Sommersitz Shangri-la, das heutige Camp David. Auch kommerziell wurde der Name genutzt, unter anderem von einer bekannten internationalen Hotelkette.
Der Bierbrauer betreibt Waisenhäuser
Geschäftlich genutzt wird Shangri-la in grossem Stil auch heute. In der „sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung“ ist alles Unmögliche möglich geworden. Nach langem Antichambrieren gewährte die chinesische Regierung vor rund zehn Jahren dem Ort Zhongdian im tibetischen Teil der Provinz Yunnan das Recht, sich Shangri-la nennen zu dürfen. Die Altstadt wurde wieder aufgebaut, ein grosses Lama-Kloster – ein kleiner Potala – nach den Zerstörungen der „Grossen Proletarischen Kulturrevolution“ wieder renoviert. Heute ist Shangri-la im Verzeichnis der UNESCO als Weltkulturerbe eingetragen. Millionen und Abermillionen von Chinesinnen und Chinesen besuchen die touristische Attraktion. Eine gut ausgebaute Strasse führt von Li Jiang aufs Hochplateau hinauf, wo auch ein moderner Flughafen – mit allem was dazugehört – gebaut worden ist.
Und mitten in der Altstadt das Restaurant Soyala. Womit wir wieder beim Tibet-Schweizer wären. Soyala ist das Pendant zum Schweizer Jutzer, erklärt in perfektem Schweizerdeutsch Songtsen Gyalzur, ein Ausdruck der Freude. Songtsens Mutter stammt aus Lhasa, der Vater wurde in Zhongdian, also Shangri-la geboren. Vater Lobsang Gyalzur, einst Lehrer, hat fast vierzig Jahre in einer Schweizer Fabrik gearbeitet. Mutter Tendol Gyalzur kam vor etwas mehr als 20 Jahren zum ersten Mal zurück nach Tibet. In Lhasa gründete sie, die einst selbst Waisenkind war, 1993 das erste Waisenhaus Tibets mit dem Namen Toelung bei Lhasa. 1997 kam in der Provinz Yunnan das zweite Waisenhaus in Gzalthag/Kham dazu. In beiden Waisenhäusern kümmern sich Pflegeletern liebevoll um die Kinder. Tendol und Lobsang Gyalzur verbringen mehrere Monate im Jahr persönlich in den Waisenhäusern. Ein drittes Projekt schliesslich in der Provinz Sichuan finanziert die Schulausbildung von bedürftigen Nomadenkindern. All diese Projekte werden von einer Stiftung geführt. (www.tendol-gyalzur-tibet.ch // [email protected] )
“Swiss Experts“ hilft
Hier kommt der 39 Jahre alte Sohn Songtsen Gyalzar und das Restaurant Soyala ins Spiel. Er kam vor vier Jahren erstmals nach Shangri-la, den Geburtsort seines Vaters. Zur Ausbildung von Waisenkindern aus der Stiftung seiner Mutter gründete er das Restaurant, wo jedes Kind eine Lehre machen kann. Bereits jetzt arbeiten die ersten Abgänger erfolgreich in Hotels und Restaurants. Songtsen, unterdessen verheiratet mit einer Frau aus Shangri-la und Vater eines zwei Jahre alten Knaben und eines acht Monate alten Mädchens hat, neben seinen Immobilien in der Schweiz, weitere Pläne.
Weil es kein lokales Bier gab, kam er auf die Idee, ein eigenes zu brauen. Mit Hochlandgerste entstand daraus nach einigen Versuchen ein feines Bier mit dem Namen „Shangri-la“ natürlich. Songtsen hat in der Schweiz Braukurse absolviert. Doch irgendwie war er von seinem Hochland-Bier nicht überzeugt. Auch der dann angestellte chinesische Braumeister bekam es nicht in den Griff. Durch „Swiss Experts“ fand er den pensionierten und passionierten Brauer Fredy Stauffer. Nach einigem Tüfteln im Labor fand Stauffer den richtigen Trick, in dieser Höhenlage mit den andern Druckverhältnissen und den Temperatur-Siedpunkten richtig umzugehen. Kam dazu, dass die Hochlandgerste anders reagiert als die Braugerste. Das in der Mikro-Brauerei hergestellt bernsteinfarbige Bier verkauft sich jetzt wie verrückt.
Wenig Begeisterung bei den Exil-Tibetern
Bereits sind Pläne reif, eine Brauerei für Spezialitäten-Bier mit einem jährlichen Ausstoss von 18 Millionen Litern. Ein Grundstück von 32'000 Quadratmetern ist bereits gesichert, die Verhandlungen mit den Lokalbehörden in einem fortgeschrittenem Stadium. Das Projekt soll „nachhaltig“ werden, erklärt Songtsen Gyalzur. So können Bauern, die ähnlich wie in abgelegenen Schweizer Alptälern ihre Felder aufgegeben haben, wieder Hochlandgerste anpflanzen. Die Brauerei sorgt zudem für Arbeitsplätze. Der Glaube und die Hoffnung der Familie Gyalzur: langsam und stetig das Los der Tibeter verbessern. Das hat unter den Exiltibetern in der Schweiz wenig Begeisterung ausgelöst. Im Gegenteil. Als Songtsen Gyalzur eine Städtepartnerschaft von Arosa mit Shangri-la angeregt und auch durchgebracht hat, trug ihm das unter Exil-Tibetern heftige Kritik ein.
Unterdessen hat Songtsen für sein Shangri-la-Bier von einem Cousin – ein ebenfalls in der Schweiz geborener Tibeter – eine differenzierte Analyse des chinesischen Biermarktes anfertigen lassen sowie einen detaillierten Businessplan aufgestellt (Infos unter: [email protected]) und schliesslich auch die Marke „Shangri-la-Bier“ rechtlich sichern lassen.
Bei einem saftigen Yak-Burger im Soyala-Restaurant schlürfen wir natürlich Schangri-la-Bier,hergestellt aus dem reinen örtlichen Quellwasser, mildem Hopfen, einer Mischung aus tibetischer Hochland- und australischer Braugerste sowie Spitzen-Hefe aus der Schweiz. Prosit!!