„Alkahest“ nannten die mittelalterlichen Alchimisten ein geheimnisvolles universelles Lösungsmittel, das die Stoffe in ihre Grundbestandteile zerlegt, auf dass sie anschliessend rekombiniert werden konnten. Auf diese Weise, glaubte man, liesse sich der edelste aller Stoffe, Gold, in beliebigen Mengen gewinnen. Aber nicht nur materielles Gold wurde mit diesem Lösungsmittel anvisiert, sondern auch spirituelles, das edelste aller Ziele: Unsterblichkeit. Im Alkahest sah man das Elixier, das uns ewiges Leben bescheren würde: ein Erlösungsmittel von der Sterblichkeit. Der Kirche als Platzhalterin der Unsterblichkeit mussten solche Bemühungen höchst suspekt und subversiv vorkommen, stellten diese mit ihrem Prospekt auf selbstgemachtes Seelenheil doch eine seriöse Konkurrenz auf dem mittelalterlichen Erlösungsmarkt dar.
Die Allianz von Biowissenschaft und Kapitalismus
Alkahest – so nennt sich neuerdings auch ein Unternehmen in Kalifornien, das in Blut und Blutplasma „das“ Lebenselixier sieht. Es preist sich auf seiner Website so an: „Entwicklung von Therapien, die aus Blut und seinen Bestandteilen abgeleitet werden, mit dem Fokus auf Verbesserung der Lebensqualität bis ins hohe Alter.“ Das klingt auf Anhieb recht freundlich, trotzdem verdient diese Freundlichkeit hartnäckiges Misstrauen, vor allem wenn man solche Versprechen in einem aktuellen Kontext liest.
Dieser Kontext lässt sich so auf den Punkt bringen: Biowissenschaft und Kapitalismus gehen eine mächtige Allianz ein. Erstens tritt heute eine wissenschaftliche Avantgarde von neuen „Alchimisten“ auf den Plan, mit einem ungleich potenteren Forschungsinstrumentarium als im Mittelalter. Genetik, Neurologie, Künstliche Intelligenz, Bio-Informatik und andere Disziplinen wecken Erwartungen in eine Lebensverlängerung ad libitum. Und zweitens hat der Kapitalismus die Unsterblichkeit als investitionswürdig entdeckt. Vor allem in der kalifornischen Bay Area formiert sich eine „Unsterblichkeits-Bewegung“. Der Journalist Mark O’Connell beschreibt sie in seinem jüngst erschienenen Buch „To Be a Machine“ als ein gärendes Gemisch aus Unternehmern, Wissenschaftern, Ingenieuren, Küchen-und-Keller-Experimentatoren, Risikokapitalisten, Celebrities, Trickstern, Technoevangelisten. Auftrieb erhalten die Träume durch die „kalifornische Ideologie“, einer Mixtur aus Hippietum und Yuppietum.
Das Blut – der Jungbrunnen
Gerade Blut ist seit alters eine Obsession der Verjünger. Grausige Geschichten werden erzählt, etwa jene der ungarischen „Blutgräfin“ Elisabeth Báthory, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts junge Frauen ermordet haben soll, um in deren Blut zu baden. Der russische Arzt und Philosoph Alexander Bogdanow, Gegenspieler von Lenin, führte in den 1920er Jahren Transfusionen mit jungem Blut an sich selbst durch. Er starb, sagt man, als er sich Blut injiziierte, das von einem malariakranken Studenten stammte. In den 1950er Jahren wurden Altersforscher auf das Phänomen der Parabiosis aufmerksam. Man verbindet chirurgisch zwei Blutkreisläufe, zum Beispiel von Labormäusen. 2005 experimentierte der Stammzellenforscher Tom Rando in Stanford mit sogenannter heterochroner Parabiosis, Bluttransfusionen zwischen älteren und jüngeren Mäusen. Leber und Muskulatur sollen sich bei der älteren Maus verjüngt haben. Seither geraten die Tech-Tycoons in Kalifornien aus dem Häuschen: Das nächste grosse Ding steht an. Die Parabiosis-Forschung ist zum wissenschaftlichen Hotspot geworden, nicht zuletzt deshalb, weil man sich erhofft, experimentelle Erfolgsresultate im Nu in blühende Startups einschiessen zu können.
Experimente sind nicht eindeutig
Nur sind die Experimente vertrackt und zeigen keineswegs eindeutige Resultate. 2014 glaubte die Biologin Amy Wagers von der Harvard Medical School, im Blutplasma ein Protein entdeckt zu haben – mit der unspektakulären Bezeichnung GDF11 –, das für die Verjüngung des Hirns von Mäusen sorgt. Ein Team von Novartis replizierte das Experiment und fand tatsächlich das Gegenteil heraus. Nicht GDF11 ist ein kausaler Faktor, sondern die Unterdrückung von GDF11. Andere Teams wiederum ziehen das Novartis-Resultat in Zweifel. Frau Wagers kommentiert trocken: „Verschiedene Gruppen stellen fest, dass GDF11 mit dem Alter abnimmt, zunimmt oder gleich bleibt. Eine Gruppe muss sicher Recht haben.“ Ein atemberaubendes Forschungsresultat, fürwahr.
Ein neuer Goldrausch
Nicht dass hier die Mikrobiologie lächerlich gemacht werden soll. Situationen wie die eben skizzierte gehören zum Forschungsalltag. Aber die neuen Forschungsmethoden sind verführerisch. Das Aufkommen potenter Gentechniken wie zum Beispiel CRIPR bestärkt die Zuversicht, auf der Schwelle zu einem Zeitalter der Gen-Therapie zu stehen. Das Durchstöbern von Genmaterial nach Genen der Langlebigkeit erinnert einen mitunter an einen neuen Goldrausch. Schnell nehmen Forschungsresultate das Gepräge von Produktplatzierung an. Allerdings warnen Wissenschafter, dass die Identifikation von Genen ein schwieriges Unterfangen darstelle; so etwa der Molekulargenetiker George Church von der Harvard University: „Das Problem liegt darin, dass Grönlandwal, Kapuzineraffe oder Nacktmull, die weitaus länger leben als ihre nächsten Verwandten, sich von diesen Verwandten durch eine grosse genetische Distanz (Millionen von Basenpaaren in der DNA) unterscheiden.“ Wir könnten also nicht einfach einen einzigen Mechanismus von der Schildkröte ausborgen, um wie sie zweihundert Jahre alt zu werden. Wir müssten uns selbst „verschildkröten“.
Altern: Pfusch der Evolution?
Das dämpft den Enthusiasmus der Wissenschafter mitnichten. Die Langlebigkeitsforschung geht von der Grundannahme aus, dass Altern eigentlich ein Pfusch der Evolution ist. Steht im Genom geschrieben, dass wir altern? Das ist eine äusserst elektrisierende Idee. Wäre die Sterblichkeit in den molekularen Bausteinen des Lebens verschlüsselt, dann müsste es möglich sein, falls man den Schlüssel entdeckte, auch den Konstruktionsfehler des Alterns zu beheben. Wie es der Arzt und Hedgefondsmanager Joon Yun ausdrückt: „Altern ist kodiert. Wenn etwas kodiert ist, dann kann man den Code knacken. Und wenn man den Code knacken kann, kann man ihn auch hacken (ihn manipulieren).“
Also Life-Hacking als Weg zum Elixier der Biotechnologen. Man vermutet, dass nicht das Genom, sondern das sogenannte Epigenom eine Hauptrolle im Alterungsprozess spielt. Es handelt sich um Moleküle, die auf der Doppelhelix der DNA sitzen und für das An- und Ausschalten der Gene und die Ausdifferenzierung der Zellen zuständig sind: sogenannte Marker, quasi die Software auf der Hardware des Genoms. Diese Software lässt sich verändern, indem Marker hinzugfügt oder entfernt werden, und die Hypothese lautet dahin, dass zuviele Marker den Alterungsprozess herbeiführen.
Das Unbehagen an der Biologie
Wir befinden uns hier wohlgemerkt auf höchst hypothetischem Terrain, was die besonnenen Forscher auch sofort einräumen. Das hindert die einschlägigen Unternehmen nicht daran, schon jetzt von der Überwindung des Todes zu schwadronieren. Ungeachtet der Schmutzspur der Eugenik durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts, ist die Idee der Menschenverbesserung zum Fanal eines neuen Futurismus geworden. Google steckt einen Drittel seines Milliardenbudgets für Forschung in Startup-Projekte der Biotechnologie, mit Schwerpunkt Lebensverlängerung und Vergreisungsverhinderung. Der Kapitalismus entdeckt seinen grössten Gegner: den Tod. Bill Maris, Ex-Leiter von Google Ventures, der Geldquelle für Startups, verkündete 2015 in einem Interview, im Kampf gegen den Tod „versuchen wir nicht ein paar Yards, sondern das Spiel zu gewinnen“.
Solches Tönespucken gehört längst zum Usus in Konferenzen, TV-Shows und TED-Talks. Wir sollten auf den Grundton achten. Aus ihm hören wir eine höchst defiziente Anthropologie heraus: das Unbehagen an unserer Biologie. Der Körper des Menschen ist sein Grab, verkündeten schon die alten Gnostiker. Die neuen Techno-Gnostiker erspähen in diesem Grab eine Goldgrube. Die Biologin und Risikokapitalistin Laura Deming spricht von einem „Zweihundert-Milliarden-Dollar-plus-Markt“.
Die Fusion von Nanotechnologie und Narzissmus
Gewiss, die Visionen der Menschenverbesserer spiegeln durchaus plausible menschliche Wünsche. Der Krebskranke wünscht sich eine Therapie, die anschlägt; der Alzheimerkranke ein Mittel, das sein Hirn am Zerfallen hindert. Wir wollen nicht unsterblich werden, wir wollen einfach nicht vorzeitig sterben.
Vielleicht zwickt ja die Krösusse der Hightechindustrie auch bloss eine quälende Disproportionalität: Scheisse, jetzt haben wir soviel Geld zusammengehäuft, aber dieser Riesenhaufen steht in keinem Verhältnis zur armseligen Zeitspanne, die uns zur Verfügung steht, ihn zu geniessen. „Alle Lust will Ewigkeit!“ rufen sie mit Nietzsches Zarathustra. Und mit Chuzpe verkünden sie eine zukünftige glückliche Menschheit, wo doch diese Menschheit aus einer Clique von Superreichen besteht (sie wächst zum Beispiel auch in China), die sich an der Idee der machbaren Unsterblichkeit beschwipsen. Die Techno-Kapitalisten betreiben vor allem Enhancement ihrer selbst oder ihresgleichen. Denn Menschheit = Ich. In Silicon Valley fusionieren Nanotechnologie und Narzissmus.
Aus der griechischen Mythologie
Die griechische Mythologie erzählt die Geschichte von Eos, der Göttin der Morgenröte, die Zeus bat, ihrem Geliebten Tithonos ewiges Leben zu schenken. Zeus gewährte ihr den Wunsch. Sie vegass allerdings, um ewige Jugend zu bitten. So wurde Tithonos älter und älter, schrumpfte dahin in unsterblicher Senilität, bis sich Zeus seiner erbarmte und ihn in eine Zikade verwandelte. Und weil sie nicht gestorben ist, zirpt sie bis heute um ihre Erlösung.