Die EU wende „Megaphon-Diplomatie“ an, so der Vorwurf des israelischen Aussenministeriums, die kein Ersatz sei für zurückhaltenden diplomatischen Dialog und sicher nicht erreichen werde, was die EU sich vorgenommen habe. Dies gelte umso mehr, als die Europäer „wieder einmal die Frage der Sicherheit Israels und dessen Bedrohung“ überhaupt nicht erwähne.
Siedlungspolitik
Am Tag nach der Vereidigung der neuen israelischen Koalitionsregierung unter Benjamin Netanjahu hatte der Aussenbeauftragte der EU, Josep Borrel, in einem Glückwunsch-Schreiben im Namen der EU (ausser Ungarn) angemahnt, nicht mit einseitigen Annexionsbeschlüssen gegen das Völkerrecht zu verstossen. Die EU werde solches nicht anerkennen. Frankreich legte inzwischen nach und warnte, eine einseitige Annexion von Teilen der Westbank werde schwerwiegende Konsequenzen für die Beziehungen zwischen Israel und der EU haben. Und auch Berlin hat zusammen mit der Palästinensischen Regierung den israelischen Plan kritisiert.
Auch der neuen Regierung in Jerusalem ist natürlich klar, dass solch eine Einigung mit den Palästinensern utopisch ist: Das Westjordanland kam im Sechstagekrieg 1967 unter israelische Besatzung, und seitdem haben sämtliche israelischen Regierungen es darauf angelegt, diese Gebiete als Teil Israels zu betrachten und nennen die Gebiete mit ihren biblischen Namen „Judäa und Samaria“. Dort wurde gezielte israelische Siedlungspolitik betrieben, ergänzt durch so genannte „illegale Siedlungen“, die ohne Zustimmung der Regierung entstanden.
Sicherheit
Insgesamt existieren in der Westbank inzwischen mindestens 200 Siedlungen mit rund 400’000 Einwohnern (ohne das bis 1967 überwiegend arabische Ostjerusalem, wo heute rund 370’000 Palästinenser und 200’000 Israelis leben). Die Siedlungspolitik wurde vor allem unter dem Sicherheitsaspekt „verkauft“, weil man in politischen Kreisen Israels sehr wohl wusste, dass die Annexion besetzter Gebiete – wie überhaupt die Veränderung der Bevölkerungszusammensetzung dort – ein Verstoss gegen das Völkerrecht ist.
Erst mehrere Jahre nach dem Sechstagekrieg kam man auf die Definition, ein Gebiet könne nur dann als „besetzt“ gelten, wenn es zuvor Teil eines souveränen Staates gewesen war. Und dies traf weder auf die Westbank zu noch auf den Gazastreifen, der unter ägyptischer Verwaltung gestanden hatte. Ostjerusalem galt international als Rest der ursprünglich vom Völkerbund geplanten „internationalen Stadt Jerusalem“, die freilich nie verwirklicht wurde.
Das Oslo-Abkommen
Seine Neudefinition von „besetzt“ machte es Israel leicht, sich über entsprechende Völkerrechtsvorgaben hinwegzusetzen. Auch blieb die Kritik des Auslands an der Siedlungspolitik so lange mehr als zurückhaltend, wie die Palästinenser von einem eigenen Staat „an Stelle“ Israels sprachen und nicht „neben“ dem jüdischen Staat. So wie es der Teilungsplan von 1947 und später die international akzeptierte Zweistaatenlösung vorgesehen hatte.
Dies änderte sich spätestens mit dem Oslo-Abkommen, in dem die Grundlage für eine palästinensische Autonomie und spätere Staatsgründung geschaffen wurde. Entschiedenster Gegner dieses Abkommens auf israelischer Seite war „Likud“-Chef Netanjahu, der bis heute davon träumt, ein Gross-Israel im Gebiet des biblischen Landes Israel zu gründen. Netanjahu fühlt sich darin gestärkt durch US-Präsident Trump, dessen Verwaltung die israelische Siedlungspolitik vom Vorwurf der Völkerrechtswidrigkeit freigesprochen hat und der eine Annektierung weiterer palästinensischer Gebiete in seinem angeblichen Friedensplan für Nahost ausdrücklich vorschlägt.
Historische Gefahr
Allerdings vermeiden Trump und auch Netanjahu meistens den Begriff „Annexion“. Sie sprechen von der „Ausweitung der israelischen Souveränität“ auf das Gebiet der israelischen Siedlungen in der Westbank. Da deren Einwohner Israelis sind, mag das auf ersten Blick harmlos klingen. Das ist es aber nicht: Die Siedlungen liegen weit verstreut und wenn diese zu einem Teil Israels würden, dann bliebe den Palästinensern keine Chance mehr, Herr im eigenen Haus zu bleiben; auch nicht in einem Teil davon. Sie würden aber auch nicht Bürger Israels, das ja „Jüdischer Staat“ bleiben soll. Und so würden die Palästinenser als weitgehend Rechtlose weiter im Rest ihrer Heimat leben – weitgehend recht- und schutzlos – und das wäre nun sicher keine Grundlage für die längst überfällige Beilegung des Konflikts mit Israel. Wobei hier allerdings nicht unerwähnt bleiben darf, dass dies „nur“ die Westbank betrifft, nicht aber den Gazastreifen, wo die islamistische „Hamas“ und andere radikale Gruppen weiter von der Abschaffung Israels träumen.
Durch die Bildung der neuen Regierung in Jerusalem ist die Situation nicht einfacher geworden: Koalitionspartner von Netanjahu ist der angebliche Mitte-Links Ex-General Benny Gantz. Dieser wollte eigentlich Netanjahu verhindern, jetzt aber koaliert er mit ihm – als dessen Verteidigungsminister. Dann wollte er eine einseitige Annektierung möglichst verhindern, auch das aber scheint er verdrängt zu haben. Der seiner „Blau-Weiss“-Bewegung angehörende neue Aussenminister jedenfalls machte das mehr als deutlich: Auch der Ex-General, erwiderte Gabi Ashkenazi, sehe im Trump-Plan und der geplanten Annexion eine „historische Chance, die Zukunft des Staates Israel auf Jahrzehnte hinaus zu gestalten“. Eher im Gegenteil: Dies ist eine historische Gefahr, den Konflikt weiter am Leben zu halten. Wenn das nicht „Megaphon-Diplomatie“ ist.