Keine Stadt, die ich gut kenne, erstarrt so kunstvoll, so unmerklich wie Paris in den ältesten Quartieren. Das wurde mir kürzlich, beim Flanieren (auch so ein Ausdruck, der in alte Zeiten zurückweist) in den Strassen rund um die Kirche Saint Germain bewusst. Im quartier latin, an einer der noblen Ecken von Paris, wohnt der diesjährige Nobelpreisträger für Literatur, Patrick Modiano. Am 10. Dezember wird er den Preis in Stockholm entgegennehmen. Seit seinen Anfängen schreibt er in Variationen am gleichen Buch, am gleichen Stoff, der von Verschwundenen und ihren Geheimnissen handelt, von suggestiv beschworenen Pariser Strassen und Squares, von einer um 50 und mehr Jahre zurückliegenden Zeit zumeist. Ihn zu lesen, seine ebenso luzide wie poetische Prosa, das kann süchtig machen. Er gehört zu den eher schüchternen Autoren, hat öffentliche Auftritte zeitlebens nach Möglichkeiten vermieden. Ganz bedeckt kann er sich jetzt nicht mehr halten und so gewährt er an diesem Wochenende der „Zeit“ ein seitenlanges Interview. Das Quartier, in dem er lebt, hat, so meint er, mit dem was vor 50 und mehr Jahren war nichts mehr zu tun. Die Fassaden sind die gleichen und sie vermitteln das trügerische Bild einer unwandelbaren Realität. Aber es handelt sich um Kulissen. Um so etwas wie ausgestopfte Tiere, sagt Modiano. Oder Mumien. Wie gut, dass es Figuren wie ihn gibt, Autoren, die über die Gabe verfügen, erstarrtes Gemäuer, vergangenes Leben in die Gegenwart zurückzuführen!
Unmerkliches Erstarren
Wie sich Paris vor unseren Augen verändert und wir es kaum merken.