Ohne Künstler wären die Autos weiterhin Kutschen. Mit einer geschlossenen Karosserie für die Herrschaften, einem offenen Sitz für den Chauffeur und anstelle der starken Pferde einen schwachen Motor an der Hinterachse. Die technischen Leistungen verbesserten die Ingenieure, die Formen die Künstler, Architekten und Designer. Vom Jugendstil geprägt, wurden der Österreicher Joseph Maria Olbrich (1867-1908) sowie die Deutschen Ernst Neumann-Neander (1871-1954) und Otto Kuhler (1894-1977) zu Pionieren einer Entwicklung, die zur ästhetischen Eigenständigkeit und Unverwechselbarkeit der Autos führte. Sie präsentieren sich von Epoche zu Epoche ändernd immer wieder in künstlerischer Hochform. Es ist darum angemessen, den jetzt zu Ende gegangenen Genfer Automobilsalon rückblickend auch als Kunstausstellung zu würdigen. Das ökologisch Ungehörige sei einen Artikel lang erlaubt.
Vernunftberaubend
Zahlreiche Aussteller zeigten eine Gegenwartskunst in Perfektion. Nicht bloss atemberaubend, sondern auch vernunftberaubend schön. Angesichts der Harmonie von Materialien, Formen und Farben und im Anblick der versammelten Kraft weichen die Gedanken an Verbrauchs- und Abgaswerte der hellen Begeisterung. Für einige Momente bestimmt die Kunstwelt und nicht die Umwelt unsere Gefühlswelt.
Die mobilen Skulpturen in Weiss, Rot, Gelb, Blau und Schwarz wollen aus allen Winkeln ergründet und bewundert sein. Das Industriedesign erreicht Museumsqualität. Die werbende Argumentation mit dem "puren Fahrspass", dem "unglaublichen Handling" oder den "2.8 Sekunden bis auf 100 km/h" reduziert die Kunstwerke leider auf einen schnöden praktischen Zweck.
Unschuld und Stolz
Der Fiat 124 Spider aus dem Centro Stile in Turin zitiert die Design-Ikone von 1966 und interpretiert sie kompromisslos neu. Das Weiss ist eine trotzige Manifestation der Unschuld. Was ein Auto an Unheil stiften kann, tritt uns in reiner Güte entgegen.
Die knappen Masse und die ausgewogenen Rundungen nehmen dem Spider jede Protzigkeit. Er adelt die Strasse als Laufsteg, auf dem es nur Eleganz und weder Raserei noch Stau gibt.
Zum Sprung bereite Wucht zeichnet das Corvette Grand Sport Coupé aus. Das Gelb lässt Aggressivität erahnen, aber zügelt sie. Die Dimension des Kühlers verweist ehrlich darauf, dass bei diesem Wagen der Motor wesentlich wichtiger ist als der steuernde Pilot und der mitfahrende Gast.
Auf Schub und Tempo kommt es an. Eigentlich braucht es niemanden, der einsteigt und nichts als losrasen und einen Unfall bauen kann. Stolz genügt sich das Coupé selber. Das ist beinahe eine Antwort auf sämtliche Verkehrsprobleme.
Luxus in Demut
Dazu liefert der Koenigsegg Regera den Superlativ. Das Rot signalisiert den Behauptungswillen, die Raketenform die Einlösung des Versprechens. Das Auto ist ein Mahnmal, dessen blendende Schönheit raffiniert übersehen lässt, wo die mobilen Träume enden, nämlich im Ausbau eines jeden Verkehrsnetzes zur Rennstrecke mit dem Weg in Höchstgeschwindigkeit als Ziel.
Dagegen erscheint der Bugatti Chiron als engelbrave Bellezza. Sie verleiht dem Understatement die Krone. Seinen Designern gelang das Meisterstück, technischen und gestalterischen Luxus in Demut zu kleiden. Das sanfte Blau birgt den Kaufpreis von 2.4 Millionen Euro als Geheimnis. Die Kunst besteht in der optischen Reduktion.
Sicherheit mit Ästhetik
Die Freude über die mobilen Kunstwerke mit der Perfektion in spannenden Varianten erklärt sich aus der Biederkeit der meisten Autos, die langweiliges Designer-Grau verbreiten und den Mut zur Kühnheit leichtsinnig jenen aufdrängen, die hinter dem Steuer glauben wettmachen zu müssen, was die Hersteller versäumen.
Insofern könnte eine erstklassige Ästhetik zur Verkehrssicherheit beitragen. Und das wäre abschliessend eine gehörige Bemerkung.