Da hatte man sich gefreut, dass mit der Wahl Joe Bidens der Auftakt gemacht werde für eine neue Politik Washingtons im Nahen und Mittleren Osten. Nicht nur Washingtons, sondern des Westens schlechthin.
Propaganda
Denn zum ersten Mal in den knapp drei Jahren, seit Biden-Vorgänger Trump das Atomabkommen mit Teheran verlassen und den Iran erneut unter massiven Druck internationaler Sanktionen gestellt hatte, war ein Wind des Wechsels aufgekommen: So, wie er Trumps Ausstieg aus dem Pariser Umweltabkommen und aus der Weltgesundheits-Behörde WHO und eine lange Liste von Entscheidungen des Vorgängers rückgängig machen wollte – und auch tatsächlich machte – so hatte Biden ziemlich weit oben auf seiner Revisionsliste auch die Rückkehr der USA zum 2015 unterzeichneten Atomabkommen mit dem Iran stehen. Nichts aber geschah bisher.
Im Gegenteil: Es entwickelte sich ein Propagandastreit der Vorwürfe und Gegenvorwürfe, der – mit tatkräftiger Unterstützung einschlägiger Medien-Berichte und -Kommentare – in Vergessenheit verdrängte, worum es hier eigentlich ging. Und weiterhin geht. Nämlich um die Wiederherstellung des Atomabkommens, wie es von 2015 bis 2018 existiert hatte. Der Iran hielt sich an die Vorschriften des Abkommens, das Ausland – vor allem die westeuropäischen Unterzeichnerstaaten – normalisierten weitgehend ihre Beziehungen zum Iran, dessen Wirtschaft sich daraufhin von den Folgen vergangener Sanktionen zu erholen begann.
Leere Worte
Die neuen Sanktionen seit 2018 kamen überraschend, weil sie durch nichts im Atomabkommen gerechtfertigt waren, und sie stürzten das Land in eine wirtschaftliche Notlage ohnegleichen. Das umso mehr, als auch die Europäer sich daran beteiligten. Notgedrungen zwar, weil ihnen sonst US-Sanktionen gedroht hätten. Aber eben ohne jede Rechtfertigung oder Berechtigung.
Die Europäer versprachen Iran zwar, weiter am Abkommen festzuhalten. Es blieb aber bei leeren Worten. Teheran begann Monate später, Schritt für Schritt Punkte des Abkommens zu missachten – etwa, Uran höher anzureichern als vereinbart – dies geschah aber jedesmal nach offizieller Bekanntmachung und mit dem Zusatz, dass dies nur solange geschehe, wie die USA mit ihren Sanktionen gegen das Abkommen verstiessen.
Unter Trump reagierte man mit neuen Vorwürfen und Drohungen. Der Iran arbeite weiterhin an der Entwicklung von Nuklearwaffen und entwickle Raketen, die Atombomben transportieren könnten. Weiter unterstütze er terroristische Gruppen und mische sich militärisch im Mittleren Osten ein – zum Beispiel in Syrien und dem Jemen. Solange diese Dinge nicht auch im Abkommen geregelt seien, würden die Strafmassnahmen gegen den Iran anhalten.
Fehlende Initiative
Kein Wort dazu, was diese Punkte mit dem Atomabkommen zu tun haben. Ausser dem ersten. Aber den glaubte man 2015 ja doch abgehakt zu haben: Die anderen Punkte wurden nicht in das Abkommen aufgenommen. Teheran lehnte also Trumps Forderung nach Verhandlungen über eine Erweiterung des Atomabkommens ab und zog sich auf die Formel zurück: Wenn Washington zum Atomabkommen zurückkehre, dann werde Teheran dies auch tun.
Auf den ersten Blick wäre es Biden damit ein Leichtes gewesen, auch dieses Problem zu lösen. Wenn nicht plötzlich die Frage im Raum gestanden hätte: Wer muss denn nun den ersten Schritt tun? Kleinkariert, denn die USA haben den ersten Schritt aus dem Abkommen gemacht, also sollten sie auch den ersten Schritt zurück unternehmen. Durch die Aufhebung der Sanktionen.
Biden beim Wort nehmen
Der iranische Aussenminister Mohammad Javad Zarif versuchte vergeblich, die EU zur Vermittlung zu motivieren. Die Reaktion war enttäuschend: Aus Frankreich, Grossbritannien und Deutschland war die Aufforderung an Teheran zu hören, erst einmal seine „Verstösse“ gegen das Atomabkommen zu korrigieren, auch war zu hören, dass man sich mit dem Iran zu neuen Verhandlungen treffen könne. „Neue Verhandlungen“? Über die Frage, wer zuerst nachgeben müsse? Entweder hatte man in Europa nicht richtig aufgepasst oder einfach die US-Formel von „neuen Verhandlungen“ übernommen.
Eine Formel, die eigentlich von Trump kam und die nun offenbar in Washington die Runde macht. Und von der bekannt ist, dass sie keine Lösung des Problems bringen wird. Erst recht nicht, weil im Juni Präsidentschaftswahlen in Iran stattfinden und mit Sicherheit ein Hardliner Nachfolger des verhinderten Reformers Rohani wird. Noch gibt es keine Kandidaten-Namen, aber sicher ist auch dies: Wenn das Problem nicht so bald wie möglich gelöst wird, dann wird eine Lösung ab Juni so gut wie unmöglich.
Dies sollten die Europäer auch bedenken und statt in der IAEA eine Verurteilung des Iran wegen seiner „Verletzungen des Abkommens“ zu planen, sollten sie vielleicht Biden beim Wort nehmen und prüfen, ob er wirklich eine neue Kooperation mit der EU plant.