Nicht-Geimpften soll es an den Kragen gehen, fordern italienische Wissenschaftler.
Ein Impfzwang sei der letzte Schritt zur Verwirklichung einer „Orwellschen Gesellschaft“, sagt die postfaschistische italienische Parteipräsidentin Giorgia Meloni. Die italienischen Populisten haben den Unter-Vierzigjährigen empfohlen, sich nicht impfen zu lassen. Die Gefahr, schwer zu erkranken, sei für jüngere Leute minim.
Der renommierte und international bekannte italienische Volkswirtschaftler und Akademiker Tito Boeri wirft den Populisten vor, von Volkswirtschaft rein gar nichts zu verstehen. Boeri hat den Impfverweigerern den Kampf angesagt.
Er sagt, die Populisten hätten den Ernst der Lage nicht erkannt. Selbst wenn die Gefahr für die Gesundheit bei Jüngeren klein wäre: als Spreader seien sie eine Gefahr für die gesamte Gesellschaft.
Enorme Kosten für die gesamte Gesellschaft
„Selbst wenn es wahr wäre, dass das Risiko bei Jüngeren nicht vorhanden ist (was nicht der Fall ist), dient das Impfen dem Schutz anderer, der eigenen Eltern, Freunden, Kollegen“, schreibt Boeri in einem vielbeachteten Artikel in der Römer Zeitung La Repubblica.
Jene, die sich nicht impfen lassen, würden der Gesellschaft „enorme Kosten für die Behandlung der erkrankten Impfverweigerer verursachen“.
Boeri erwähnt das Beispiel „Rauchen“. Wenn ein Raucher an Lungenkrebs stirbt, sei das seine Sache. Doch in einem geschlossenen Raum gefährdet ein Raucher eben auch die Nicht-Raucher. Deshalb habe der Staat das Rauchen in geschlossenen Räumen verboten.
„Meine Freiheit endet, wo die Rechte anderer beginnen.“
Im Klartext: Wenn ein Impfverweigerer an Corona stirbt, ist das seine Sache. Doch bevor er stirbt, steckt er eben – als Spreader – auch andere an. Damit verursacht er Gesundheitskosten, die die Gesellschaft tragen muss.
„Meine Freiheit endet dort, wo die Rechte anderer beginnen“, schreibt Boeri (Foto: twitter). Der heute 62-Jährige war von 2014 bis 2019 Präsident des Nationalen Instituts für soziale Sicherheit. Er ist ausserordentlicher Professor an der renommierten Mailänder Bocconi-Universität. Er war Berater des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank, der Europäischen Kommission und der italienischen Regierung sowie von 1987 bis 1996 leitender Wirtschaftswissenschaftler bei der OECD.
Weggefegt von den Sommerwinden?
Auch die italienische Virologin Ilaria Capua schlägt laute Töne an. Sie bezeichnet die Impfverweigerer als „unerträgliche Egoisten“ und ein „Heer von Verblendeten“.
Ilaria Capua gehört heute zu den gefragtesten Corona-Expertinnen. Sie schreibt für verschiedene Tageszeitungen und tritt regelmässig im Fernsehen auf. Die 55-Jährige wurde bekannt für ihre Forschung an Grippeviren, vor allem am Vogelgrippevirus H5N1. Sie lebt und arbeitet in den USA.
Die Impfverweigerer würden glauben, „dass diese Gesundheitskrise auf wundersame Weise verschwinden wird, weggefegt von den Sommerwinden“, schreibt sie in einem „Corriere della sera“-Artikel.
Ungeimpfte belasten die Spitäler
Die Daten aus allen westlichen Ländern würden übereinstimmen: Die neuen, bei den EU- und US-Behörden registrierten Impfstoffe seien „voll wirksam gegen die schwere Form der bestehenden Varianten. Was wollen wir mehr?“.
„Die Opfer von heute und der kommenden Zeit werden Menschen sein, die sich nicht impfen liessen.“ Also: „Es sind nur Ungeimpfte, die im Spital landen. Und unabhängig vom Alter sind es nur Ungeimpfte, die die Budgets der Spitäler belasten.“
„Jeder Corona-Patient, der in die Intensiv- oder Subintensivpflege aufgenommen wird, kostet mehrere zehntausend Euro“, sagt sie. Die Corona-Patienten hätten das europäische Gesundheitswesen „unweigerlich mit Hunderten Millionen Euro belastet“.
2’000 Euro pro Tag für Ungeimpfte
Aus diesem Grund fordert Capua, dass Ungeimpfte zahlen müssen. „Wer nicht geimpft ist und ins Spital kommt, solle den Krankenhäusern pro Tag 1’000 bis 2’000 Euro bezahlen.“ Das sei zwar nur ein kleiner Teil der Kosten, die sie verursachen.
„Jene, die sich weigern, sich impfen zu lassen“, sagt Capua weiter, „schaffen die Bedingungen für einen weiteren Winter mit Schliessungen und Krankenwagen mit heulenden Sirenen, mit verschobenen Krebsvorsorge- oder Kontrolluntersuchungen. So schaffen sie in diesen harten Jahren noch mehr Schmerz und Leid.“
Suspendierung ungeimpfter Ärzte und Lehrer
Tito Boeri verlangt, dass es auch Ärzten und Lehrern, die sich nicht impfen lassen wollen, an den Kragen geht: „Wenn wir wollen, dass die Schulen Anfang September wieder in vollem Umfang geöffnet werden, müssen wir den physischen Zugang jener, die sich nicht impfen oder nicht täglich testen lassen wollen, verhindern.“
Er fordert: „Lehrer, die diese Bedingungen nicht erfüllen, werden vorübergehend suspendiert. Sie dürfen später Fernunterricht erteilen, mit geringerer Bezahlung als diejenigen, die im Klassenzimmer arbeiten.“
Die Gesellschaft habe zudem das Recht, „einem nicht geimpften Arzt die Ausübung seines Berufes zu verbieten“. Hier sei das Problem der Nicht-Erkennung besonders gross. „Wenn ich in einem Notfall ins Krankenhaus eingeliefert werde, wie kann ich wissen, ob der Arzt, der mich untersucht oder operiert, geimpft ist oder nicht?“
Die gesamte Weltbevölkerung impfen
Boeri kritisiert auch die Kurzsichtigkeit der reichen Länder. „Die Entscheidung, Impfstoffe fast ausschliesslich auf reiche Länder zu konzentrieren, ist nach hinten losgegangen, weil sie die Entstehung von Varianten in ärmeren Ländern begünstigt hat, die auch in reicheren Ländern verheerende Folgen haben können.“
Der Volkswirtschaftler rechnet vor: „Wenn man die Kosten für eine Dosis Impfstoff und den wirtschaftlichen Schaden der Delta-Variante in den reichen Ländern kurz durchrechnet, so ist es wahrscheinlich, dass die reichen Länder besser daran täten, der gesamten Weltbevölkerung so schnell wie möglich kostenlose Impfstoffe zur Verfügung zu stellen.“